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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

auf und meldete mit lauter Stimme: „Mein Eheherr Bruno von Weßnitz!“

Mitten im Zimmer stand Edda, hochaufgerichtet, mit herabhängenden Armen und zitternder Unterlippe, zwischen den Augenbrauen eine tiefe Falte.

„Sieht sie nicht herrlich aus?“ rief Lore.

Bruno war erstaunt über Eddas eigenartige Erscheinung; er reichte ihr rasch den Arm. „Wollen Sie mir das Vergnügen machen, sich von mir hinunterführen zu lassen?“

Sie verharrte regungslos. Energisch hob er ihre linke Hand auf seinen Arm und führte sie hinaus. Wie mattes Elfenbein ruhte ihr fast zu zarter Arm auf dem schwarzen Tuch seines Frackes.

Gleichzeitig mit ihnen langten die ersten Gäste in den Gesellschaftszimmern an. Prinz Sissi, heiter, strahlend, eilte allen voran. Er hatte einen herrlichen Strauß weißen Flieders in der Hand, den er der Dame des Hauses überreichte. „Ich bin ungeheuer vergnügt,“ meinte er nach der ersten Begrüßung, „denken Sie sich, ich habe etwas gearbeitet, bin unter die Journalisten gegangen – Teufel, wer ist das dort?“ rief er und deutete mit den Blicken zu Edda hinüber, die etwas weiter zurück neben ihrem inzwischen ebenfalls eingetroffenen Vater stand. „Wahrhaftig, die kalte Doktorin! Superb!“

„Sie haben Geschmack,“ sagte Lore, mit dem linken Fuß ihre Schleppe langsam zurückschiebend.

Prinz Sissi klemmte das Monocle fest ins rechte Auge, musternd flog sein Blick über die Gestalt des Mädchens. Die ganze Figur fast eckig wie die eines sechzehnjährigen Kindes, aber dennoch graziös, fein, ebenmäßig! Darüber das ernste Haupt mit dem matten Teint, zu dem der leuchtende dunkelrote Atlas vortrefflich stand, die geschwungenen leicht geöffneten Lippen, die großen in tiefen Augenhöhlen ruhenden Augen, die ein wenig zaghaft aus dem klugen Gesicht hervorschauten, weil sie die Aufmerksamkeit des Prinzen auf sich gerichtet fühlten – sie war in der That eine Erscheinung von eigenartigem Reiz.

Eine Zeitlang fühlte sich Edda wirklich verlegen, dann aber ein Ruck, als zöge die wuchtige Fülle ihrer Haare den Kopf plötzlich in den Nacken, die Falte zwischen den geradlinigen Augenbrauen vertiefte sich, und sie schaute unnahbar, eisig dem Prinzen ins Auge.

„Nun, Prinz, so ganz aus der Fassnüg?“ lachte Lore etwas gezwungen auf. „Was sagen Sie zu meiner Toilettenkunst?“

„Ausgezeichnet wie immer!“ meinte er, zerstreut seine Augen auf Lores Gestalt richtend.

„O nicht doch, Prinz! Ich spreche nicht von mir, Sie wissen das ganz genau, ich meine mein Verdienst an Edda Helms Erscheinung.“

Er betrachtete eine Weile sinnend den linken Handschuh und das seidene Futter seines Klapphutes, dann, langsam aufblickend und mit einem schwer zu beschreibenden Ausdruck in den Zügen, sagte er: „Man könnte sich fürchten. Da ist vulkanisches Feuer unter der Asche.“

„Gehen Sie, Prinz – Sie wollen geistreich sein!“

Er schüttelte den Kopf. „Darf ich Sie zu Tisch führen, gnädige Frau?“

„Nein, heute nicht – mein Schwager wird mich zu Tisch führen. Aber holen Sie sich Fräulein Helm, ich möchte die vulkanische Glut einmal leuchten sehen. Wir setzen uns zusammen.“

Sie hatte Hermanns Erscheinen bemerkt und wandte sich ihm entgegen.

„Wie Sie befehlen,“ erwiderte Prinz Sissi zurücktretend. „Aber Sie haben die Verantwortung zu tragen.“

Noch zwei andere Augen hatten Hermanns hohe mächtige Gestalt im Thürrahmen erspäht. Edda hatte das Gefühl, als müßte sie in den Boden sinken. Er wird mich abscheulich, widerwärtig finden, flog es ihr durch den Sinn. Zerstreut und ungeschickt erwiderte sie die Grüße der ihr vorgestellten Herren.

„Kann ich die Ehre haben, Sie zu Tisch zu führen?“ ertönte plötzlich Prinz Sissis Stimme neben ihr, während er sich in seiner nachlässigen und trotzdem verbindlichen Weise verbeugte. Edda blickte ihn stumm an, als fehlte ihr das Verständnis für seine Worte. Dann plötzlich kam sie zum Bewußtsein. „Ja, ja,“ erwiderte sie hastig.

Da dem Prinzen durchaus nichts Besseres einfallen wollte, fragte er sie, während seine Augen sie ungeniert musterten. „Ist dies wirklich die erste Gesellschaft, welche Sie besuchen?“

Edda hätte ihn ohrfeigen können. „Ja, meine erste und letzte!“

Langsam breitete sie den großen Fächer aus, so daß er darüber hinweg nur ihre dunklen blitzenden Augen sehen konnte.

„Ich werde in vier Stunden noch einmal dieselbe Antwort von Ihnen erbitten.“

Was wollte er damit sagen? – „Mit Vergnügen, Durchlaucht, wenn Ihr Gedächtnis dies erfordert.“

Der Russe lächelte, vielleicht zum erstenmal in seinem Leben etwas fassungslos, weil ihn eine Dame schlecht behandelte. Und doch reizte ihn das Zurückstoßende in ihrem Wesen, schon weil es ihm fremd war. Er war um eine Antwort verlegen und dem Lieutenant von Weßnitz sehr dankbar, als dieser jetzt nähertrat.

Hermann reichte Edda einfach die Hand. Sie atmete erleichtert auf. Da war wenigstens ein ruhiges festes Gesicht, kein konventionelles Lächeln und keine musternden Blicke. Unbewußt nahmen Eddas Züge einen freundlicheren Ausdruck an.

„Sie sahen aus, als bereuten Sie Ihre Zusage für den heutigen Abend, Fräulein Helm,“ sagte Hermann, dicht neben sie tretend.

„Nicht so ganz – es hat wenigstens den Reiz der Neuheit für mich. Doch kann ich nicht leugnen, wäre ich im Besitz einer Wünschelrute, deren Kraft mich unverzüglich in unsere Wohnstube befördern könnte, in die Gesellschaft eines guten Buches, so würde ich nicht zögern, den Zauber anzuwenden. Aber das geht nun nicht, also vorwärts!“

„Sie können in einer Gesellschaft keine lehrreichen Gespräche verlangen. Ich habe übrigens in den Heften gelesen, die Sie mir neulich geliehen haben.“

„Nun?“

„Mir fehlt der Glaube.“

„Weshalb?“

„Das läßt sich nicht so einfach sagen, besonders nicht in der Unruhe einer Gesellschaft, die sich erst entwickelt. Wir können das später bei Tisch in Ruhe besprechen; ich habe meine Schwägerin als Tischnachbarin, und wie sie mir mitgeteilt hat, werden Sie neben uns sitzen. Wollen Sie etwas Interessantes sehen? Dort am Thürpfosten der Herr mit dem etwas wirren grauen Haar, fast häßlich, und doch ein anziehender Kopf. Welche Augen! Ein Blick, als mache er sich über das ganze Getreibe hier lustig. Man wünscht fast, von diesen Augen nicht bemerkt zu werden.“

Sie folgte aufmerksam der Richtung seiner Blicke. „Jener alte Herr dort?“

„Ja; jetzt spricht Lore mit ihm. Wer mag das sein?“

„Es ist mein Vater.“

Hermann drehte sich rasch zu ihr um. „Verzeihung! Das ahnte ich nicht. Entschuldigen Sie meine Offenheit.“

Edda lachte vergnügt auf. „Weshalb entschuldigen? Sie haben meinen Vater gut gezeichnet. Es würde mich verletzt haben, wenn Sie seinen Kopf nur eben schön gefunden hätten.“

„Ich werde mich sofort mit ihm bekannt machen lassen.“

Eilig drängte er sich durch die Gäste nach dem Standort des Doktors. Eddas Augen folgten ihm. Er hat Geist, weiß zu sehen, zu beobachten und findet das Interessante richtig heraus, dachte sie. Jetzt schüttelten sich die beiden die Hände. Edda setzte sich in eine stillere Ecke des Zimmers; sie fühlte sich nun ganz ruhig, im Besitz der vollen Unbefangenheit und fähig, prüfend um sich zu blicken. Wozu nur das Getriebe, wozu dieser Aufwand von eleganten Toiletten und Lackstiefeln? Nur um zu sehen und gesehen zu werden? Was wollten alle diese Menschen hier zusammen? Zu welchem Zwecke opferten sie ihre Nachtruhe? Nur um nichtssagende Gespräche zu führen oder ihre Reize zu zeigen? – –

„Gestatten Sie, Herr Doktor, mich selbst vorzustellen – Lieutenant von Weßnitz. Ich freue mich sehr über Ihr Erscheinen, um so mehr, da ich weiß, welches Opfer Sie damit den Wünschen meiner Schwägerin gebracht haben,“ redete Hermann den alten Herrn, der jetzt allein stand, zuvorkommend an.

„Hätte ich selbst nicht gewollt, würde ich doch kaum den Bitten dieser reizenden Frau widerstanden haben. Aber es ist für mich eine Freude, nun auch den ältesten Sohn meines lieben Jugendfreundes kennenzulernen. Ihr jüngerer Brnder ähnelt dem Vater mehr; der war auch ein so lieber lustiger Kerl! Wie geht es Ihrem Vater?“

„Er ist sehr gealtert in letzter Zeit.“

„So, so. Ja, die Jahre! Uebrigens – mich ergötzt wirklich diese Umgebung. Wie viele Stunden habe ich als Student

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 522. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_522.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2023)