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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


Wie zufällig schob sie den Strauß an den Rand des Bettes, so daß er hinabrollte. „O, nichts! Doch Du solltest etwas peinlicher mit Deiner Garderobe sein!“ sagte sie mit tonlosem Lachen. Ihr Zeigefinger deutete auf das Haar an seinem Rock; er faßte danach und es blieb, im Lichte glänzend, an seinen Fingern hängen.

„Es war doch ein Herrenabend heute, nicht wahr?“

Zuerst wollte er laut auflachen in dem Gefühl, daß seine Frau grundlos eifersüchtig sei. Er hatte doch nichts Unrechtes gethan! Konnte er etwas dafür, daß die eine der Schauspielerinnen, mit denen er zusammengewesen war, ihr Ohr an seine Brust legte, weil er behauptet hatte, ihr Austernappetit verursache ihm Herzklopfen?

„Es ist ja Unsinn, Lore! Du wirst doch nichts Schlimmes von mir glauben? Ein Zufall!“

„Nein – glauben nicht! Aber ich bin müde.“ Wortlos drehte sie den Kopf auf die andere Seite.

Er wollte ihr später alles erklären; in solchen Augenblicken war es ja weise, Frauen in Ruhe zu lassen; sie nahmen da doch keine Vernunft an. Innerlich freute er sich über seine Ruhe und seine Kenntnis des Frauenherzens und schlief bald ein mit dem Vorsatz, am andern Morgen nach dem Frühstück alles zu erzählen. Lore aber lag mit geöffneten brennenden Augen da; sehnsüchtig wartete sie auf ein Wort von ihm, wartete bis zum Morgengrauen, schlaflos, reglos, mit ängstlichem halberstickten Herzschlag.

Schwatzhafte Spatzen lärmten bereits vor den Eisblumen der Fenster, als Bruno sich erhob. Früher als gewöhnlich rief ihn eine zwingende Pflicht in das Auswärtige Amt. Lore war noch nicht aufgestanden, und die beabsichtigte Beichte bei der Frühstückscigarre ging so verloren.

Bruno hatte den ganzen Tag zu thun und am Abend fand er seine Frau wie immer, vielleicht etwas bleicher als sonst, ein wenig, aber kaum merklich ruhiger und kälter. Sie wird gar nicht mehr an die Geschichte denken, sagte er sich, als er ihr den Gutenachtkuß gab. Allein seine Lippen fanden ihren Mund nicht, sondern nur ihre halb abgewandte Wange.




Es war eine Woche vergangen. Hermann hatte seine Schwägerin abgeholt, um sie zur Schlittschuhbahn im Tiergarten zu begleiten, da Bruno das Vergnügen des Eislaufs nicht liebte. Edda Helm dagegen hatte den Bitten der Freundin nachgegeben und ihr Erscheinen ebenfalls in Aussicht gestellt.

Die Wangen von der frischen Winterluft gerötet, schritt Lore neben dem Schwager her, der schweigsam den Blick über die blattlosen schwarzen Baumäste schweifen ließ, von denen der Ostwind zuweilen den letzten Schnee in leichten Wolken herabstäubte. Verstohlen wandte Lore von Zeit zu Zeit das Gesicht zu ihm und verfolgte prüfend die scharfgeschnittene Linie seines Profils mit den Augen. Wie fest und markig diese Züge waren, als hätte die Natur absichtlich darauf verzichtet, etwas Schönes zu schaffen, nur um ungehindert ein Bild herber abgeschlossener Männlichkeit geben zu können! Und dennoch erinnerte sie sich, wie das Antlitz des Knaben und des ganz jungen Offiziers weich und offen gewesen, wie die Augen einst fast harmlos, mit einem leichten Anflug von Träumerei in die Welt geschaut hatten! Er war doch sehr verändert. Unwillkürlich verglich sie das Gesicht des Schwagers mit dem ihres Mannes. Eine gewisse Aehnlichkeit war vorhanden, zweifellos; nur daß bei Bruno Leben war, was hier Ruhe, bei Bruno alles weich, gefällig, was hier hart und fest.

Lore hatte jene Nacht nicht vergessen können, in der Bruno ihr die Blumen brachte. Sie hatte gerungen mit der Erinnerung Tag und Nacht, dem Zauber nachgespürt, den ihres Mannes Persönlichkeit noch immer auf sie ausübte, und sie hatte versucht, ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Es wollte jedoch nicht recht gehen damit.

Eine unheimliche Ahnung, die schon während der Jahre in Paris leise in ihr aufgetaucht war, beherrschte ihr Gefühl, wenn er in ihre Nähe kam, ein Gefühl, als hätte Bruno niemals offen seine Seele, seinen Charakter vor ihr enthüllt, als decke er vieles, vieles mit seiner Liebenswürdigkeit zu. Ihr Vertrauen zu ihm war erschüttert.

Konnte dieser Mann zugleich mit anderen Frauen tändeln und ihr die Treue bewahren? Konnte er das, ohne zu lügen? Und warum sollte er nicht lügen? Er konnte ja alles!

Lore gehörte zu den Frauen, die wenig in der Welt lernen. Ihr Gemüt war sehr fein angelegt, sie empfand rein, aber kam selten zür Klarheit und wurde bei der kleinsten Ursache, die ihr Gemütsleben verletzte, leicht hilflos.

Wie fest Hermann mit seinen großen etwas steifen Schritten den knirschenden Schnee trat! Das Gefühl äußerer und innerer Sicherheit in seiner Nähe war bezwingend. Unwillkürlich schob sie ihre Hand unter seinen linken Arm.

„Gehe ich zu schnell, Lore?“

„Nein, nein. Es ist gerade recht so.“

Sie lehnte sich fest an ihn und ihre Gedanken schweiften weit zurück zu den Tagen der Kindheit und blieben dann an ihrem Zusammensein jüngst in der Dämmerstunde haften.

Der unbezwingliche Wunsch stieg in ihr auf, wieder an diese Sache zu tasten, ganz vorsichtig, um zu erfahren, ob denn ein Mann wie dieser wirklich mit solch einer Jugendliebe fertig werden, abschließen konnte. Das Gefährliche dieses Wunsches ward ihr selbst nicht klar; sie wußte nicht, daß dahinter etwas Unheimliches, Drohendes in ihrer eigenen Seele schlummerte, das schon seit Jahren und vollends in den letzten Monaten in ihr heraufdämmerte, ein inneres Sichlösen von ihrem Gatten, ein Lockern des Bandes, das sie mit ihm vereinigte. Eine große wahre Liebe hatte sie eigentlich nie für Bruno empfunden; nur das Wohlgefallen des unerfahrenen Mädchens an seiner äußeren Person, an der Liebenswürdigkeit seines Wesens, das schwärmerische Gefühl für den verwundeten Offizier. Das hatte sie gefangen genommen wie ein Rausch, hatte ihr die Augen zugedrückt unter seinen Küssen. Aber nun? Manchmal graute es ihr vor dem fast bewußtlosen Zustand ihrer Seele.

„Glaübst Du, Hermann, daß es Männer giebt, die gleichzeitig mehrere Frauen lieben können?“ fragte sie plötzlich, ganz unvermittelt.

Er versuchte scherzend dieser Frage auszuweichen. „Warum nicht? Bei einiger Uebung.“

„Nein, nicht so! Ich frage ganz ernsthaft.“

Hermann ahnte, worauf sie hinanswollte, und blickte eine Weile zur Seite.

„Ja – und nein! Das heißt, ein großes Gefühl müßte jede Zuneigung anderen Frauen gegenüber töten. Wie lange ein solches Gefühl besteht, weiß ich nicht; bei einigen sicherlich ein ganzes Leben lang. Uebrigens ist das ein Thema, das mit einer Dame gründlich zu erörtern unmöglich ist.“

Lore runzelte unmutig die feinen Brauen. „Weshalb? Ich bin verheiratet, wir kennen uns genau, Du brauchst nicht zimperlich zu sein.“

„Nein,“ sagte er kurz. „Aber außerdem läßt mich das Thema kalt, weil es für mich nicht von praktischem Wert ist.“

Sie begriff, daß er nicht weiter zu bringen sei. „Was sagst Du zum Prinzen Sissi?“

„Du kennst ihn besser als ich,“ wich er aus.

„Und Du bist unausstehlich heute, Hermann! Findest Du meinen Verkehr mit ihm unpassend?“

„Für deutsche Verhältnisse, ja!“

„Mag sein,“ antwortete Lore und wiegte den Kopf langsam hin und her, „obgleich es lächerlich ist, darin etwas zu finden. Dieses erwachsene Kind verehrt mich wirklich selbstlos und würde sich eher die Zunge abbeißen, als irgend ein Wort sagen oder etwas thun, was mich zwingen würde, den Verkehr abzubrechen. Dieser Prinz Sissi ist ein aus Gegensätzen zusammengesetzter Charakter, ich weiß genau, wenn er nicht mehr zu mir kommen könnte, würde er untergehen.“

„Weißt Du so ganz genau, Lore, daß dieser Russe nie die Grenzen überschreiten wird, die er sich bis jetzt in Eurem freundschaftlichen Verhältnis gezogen hat? Und wenn auch – eine Frau von Weßnitz steht hier nicht außerhalb der Welt!“

„Bah, die Klatschmäuler! Wer kann sich davor schützen? Die Hauptsache ist doch das eigene Gewissen.“

„Das sieht niemand!“

„Also wieder die Mitmenschen, die wir fürchten sollen! Nein, nein! Der Prinz ist imstande, irgend eine entsetzliche Dummheit zu machen, wenn ich ihn fortjage, ich übe wirklich einen guten Einfluß auf ihn aus.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 503. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_503.jpg&oldid=- (Version vom 26.10.2022)