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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


wir wollen Gott und den Himmel suchen als treue Brüder! Wir haben gesündigt, doch unsere ganze Schuld ist, daß wir Menschen sind. Wir leben in Drang und Not, wir suchen nach Gott, und der Zweifel ist unser Los – doch in vollem Zweifel unser einziger Trost, all unsere Hoffnung nur wieder der Glaube!“

Von der Trümmerstätte kam einer der Männer gelaufen. „Herr, Herr! Wir haben ein Weib unter den Balken stöhnen hören!“

„Komm, Sigenot, zu Gottes Dienst!“

Eberwein eilte dem zerschmetterten Haus entgegen, und ihm voran stürzte Sigenot den Trümmern zu. er bedurfte keiner Picke – mit der Schulter wälzte er die Felsen, mit den eisernen Armen hob er die Balken. Als die anderen aus der Gasse, die er gebrochen, das gerettete Weib emporhoben, stand er seitwärts und wischte den Schweiß von der Stirn.

„Wohin jetzt, Herr?“

„Zum nächsten Haus!“ erwiderte Eberwein.

Seite an Seite waren sie rastlos thätig, bis der Abend kam. Bei Feuerschein wurde die Arbeit fortgesetzt, und erst gegen Mitternacht vergönnten sich die schwer Ermüdeten ein paar Stunden der Ruhe. Die Männer, deren Hütten noch standen, kehrten heim, während die Obdachlosen mit Eberwein und Sigenot unter freiem Himmel nächteten. Ein Moosfetzen, von einem zerschlagenen Dach gelöst, war ihr Kissen. Eberwein lag schlaflos und dachte seiner Brüder. Ueberall hatte er nach ihnen gefragt, doch niemand wußte von den Verschwundenen; mit trauerndem Herzen mußte er sie verloren geben.

Nach der Schlacht.
Nach einem Gemälde von G. v. Boddien.


Am folgenden Morgen wählte Eberwein aus den Männern, welche von entlegenen Gehöften zur Hilfeleistung kamen, zwei Häuflein; das eine sollte mit Sigenot zum Schönsee ziehen, um nach Reckas Leiche zu suchen. Sigenot wehrte mit der Hand, wortlos und zitternd – und dennoch ließ er die Führung keinem anderen. Als er gebeugten Hauptes davonschritt, blickte ihm Eberwein mit feuchten Augen nach. „Geh’ und suche … ob es Dir auch das Herz zerfleischt! Besser diese letzte Qual als in kommenden Jahren der nagende unsagbare Vorwurf, daß Du nicht das Aeußerste versuchtest … und wär’ es auch nur, um ihres Todes gewiß zu sein!“

Mit den anderen Männern wollte Eberwein zur Stätte hinter dem König Eismann ziehen, auf welcher die Oedhütte gestanden. Da hörte er den ersten Widerspruch. Wohl ging der Haß dieser Männer wider den ungerechten Bedrücker nicht über den Tod hinaus. Fast war Herr Waze mit den Seinen schon vergessen – in solchen Tagen des Unheils lebt man die Augenblicke aus, da werden die Stunden zu Jahren und das Alte erlischt unter dem Schwall des Neuen wie Lampenschein in der flutenden Helle eines Blitzes. Doch wie sie ein Wunder Gottes in jeder unbegreiflichen Rettung erkannten, so sahen sie in diesem furchtbaren Untergang eines ganzen Hauses auch den Zorn des Himmels und sein Strafgericht. „Frommer Herr! Zieh’ nicht aus wider Deinen Gott! Sell droben ist nimmer Leben! Schau’ hinauf! Versteinert steht Herr Waze mit seinen Buben in der Höh’, versteinert für ewige

Zeiten!“ Um die Männer seinem Willen gefügig zu machen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 497. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_497.jpg&oldid=- (Version vom 30.10.2018)