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verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Anderthalb Monate später, am 28. Oktober 1866, klagt er: „Mit dem erneuten und erhöhten Kostenanschlage unseres künftigen Hauses hat der Teufel uns ein neues Basiliskenei ins Nest gelegt. Das geht mir denn doch etwas über den Kreidstock! Aber was thun? Die nötigen Sprengarbeiten sind gemacht, die Grundmauern sind fertig, der Großherzog hat infolge der Einsicht in den Plan und in die Fassade mir das Versprechen der Anlage eines schönen Weges zu meinem Hause gegeben: soll ich nun die ganze Geschichte umstoßen, anders bauen? schlechter? kleiner? – Schlecht will ich nicht bauen, es soll nicht heißen, daß ich ein liederlich Gebäude nach meinem Tode in der Welt zurückgelassen habe, kleiner auch nicht, ich will nicht wieder in solchem kleinen Kasten mich halbtot räuchern. Also es wird nichts helfen, ich werde in den sauren Apfel beißen müssen.“

Nun, die siegreiche Gewalt von Reuters Dichtergenius hat dafür gesorgt, daß das Opfer nicht allzu schwer wurde; als ein stattlicher und doch behaglicher Bau ist die „Villa Reuter“ vollendet worden. In welcher Weise die „Deutsche Schillerstiftung“ das ihr zugefallene Vermächtnis praktisch verwerten wird, ist zur Stunde noch nicht bekannt. Am schönsten wäre es, wenn Fritz Reuters Haus auch für die Zukunft ein „Dichterheim“ bleiben dürfte.

Vom XI. deutschen Bundesschießen in Mainz. (Zu dem Bilde S. 473.) Es gab eine Zeit, wo den deutschen Schützenfesten, ebenso wie den Turner- und Sängerfesten, eine hohe politische Bedeutung zukam. Sie waren Feiertage des nationalen Gedankens, der nach einem Ausdruck rang, da die politische Gestaltung Deutschlands so weit davon entfernt war, dem patriotischen Empfinden Befriedigung zu gewähren. Auf diesen Festen durfte sich die vaterländische Gesinnung, die sonst unter dem Drucke vieler unerfüllter Wünsche litt, voll ausleben, und das Ergebnis war nicht bloß ein schnell verrauschender Taumel der Begeisterung, sondern eine mächtig fortwirkende Stärkung des Gemeingefühls, in dem sich alle Brüder deutscher Zunge zusammenschlossen. So wurde auf diesen Schützen-, Turner- und Sängertagen ein Stück Vorarbeit für das große Einigungswerk geleistet.

Ein Gruß vom Mainzer Schützenfest.

Heute, da das Werk vollbracht ist, haben diese Feste einen Teil ihrer Bedeutung abgestreift. Aber ein Hauch des alten Geistes ist ihnen doch geblieben, ein Abglanz jener Poesie, welche in den Tagen des nationalen Ringens sie verklärte. Und ein Umstand ist es, der diesem Glanze immer wieder Nahrung giebt: diesen Festen strömen auch solche Deutsche zu, die nicht im Reichsverbande stehen. Oesterreicher, Schweizer, ja sogar Deutschamerikaner finden sich ein, und aus den Berichten leuchtet stets hervor, daß diese Gäste mit besonderem Jubel empfangen wurden.

Die deutschen Bundesschießen nahmen ihren Anfang mit jenem großen deutschen Schützen- und Turnfest zu Gotha 1861, das in der nationalen Bewegung jener Tage eine so bedeutsame Rolle spielte. 1863 folgte das Bundesschießen zu Frankfurt a. M., 1865 das zu Bremen, dann nach längerer Pause 1872 eines in Hannover. Von nun ab wiederholte sich das Fest in regelmäßigen Fristen von 3 zu 3 Jahren, Stuttgart, Düsseldorf, München, Leipzig, Frankfurt a. M., Berlin bildeten die Feststädte.

Das XI. deutsche Bundesschießen wurde, nach einem ausnahmsweise vier Jahre dauernden Zwischenraum, in den Tagen vom 16. bis 24. Juni in Mainz abgehalten. Das Hauptstück der Festlichkeiten bildete ein großer historischer Festzug, dessen Grundgedanke der war, eine Anzahl voll Bildern aus der reichen Vergangenheit der Stadt Mainz zur Anschauung zu bringen. Historische Gruppen wechselten mit solchen mehr allegorischer Art, dazwischen waren die Schützen selbst nach Landes- oder Stadtverbänden eingeordnet. Eine der prächtigsten Gruppen, die dritte in der Reihe, hat unser Zeichner herausgegriffen. Sie ist Arnold Walpod gewidmet, dem Gründer des Rheinischen Städtebundes (1254), dem Mainz eine Zeit großer Blüte und glänzender Machtstellung verdankt. Im Hintergrunde des Bildes zeigt sich der altehrwürdige Mainzer Dom, der sich, wie die ganze Stadt, zu Ehren des Festes in lustigen Flaggenschmuck gehüllt hat.

Wie herkömmlich, war für Volksbelustigung aller Art auch auf dem Mainzer Festplatz jenseit der herrlichen „Neuen Anlagen“ kein Mangel, und fast unendlich die Menge der „trinkbaren“ Gelegenheiten. Eine dieser letzteren zeichnete sich durch besonders groteske Form aus. Es war ein Riesenelefant, auf dem ein Turm von mehreren Stockwerken ruhte, gekrönt mit einer stattlichen Champagnerflasche. Das 37 Meter hohe seltsame Bauwerk hatte eine Schaumweinfabrik auf den Platz stellen lassen und verschenkte darin ihren Sekt.

Die Großmutter. (Zu dem Bilde S. 469.) Der Maler Max Liebermann zahlt zu den entschiedensten Vertretern der modernen Richtung in der Malerei, die nichts als die Wahrheit, die wirkliche thatsächliche Wahrheit zur Darstellung bringen will, die allem Zurechtgemachten, Glatten, Einschmeichelnden abhold ist. Als er, fünfundzwanzigjährig, 1874 zum erstenmal in Berlin mit einem Bilde dieser Art auftrat, seinen „Gänserupferinnen“, da erkannte man wohl das hervorragende Talent, aber die häßlichen alten Weiber erregten schwere Mißbilligung. Seither haben sich die allgemeinen Anschauungen von Kunst etwas geändert: in Paris und Brüssel preist man Liebermann als einen der ersten Meister der Gegenwart, in München und Berlin haben ihm die Preisrichter Medaillen zugesprochen und eine große Schar von deutschen Künstlern und Kunstschriftstellern folgt seiner Fahne. Max Liebermann hat trotz der angedeuteten künstlerischen Ueberzeugung die Grenzen des Würdigen stets einzuhalten verstanden. Der Grundsatz der Wahrheit verwandelt sich bei ihm nicht in die Verpflichtung zum Schmutz. Er ist der Maler der Armen, der Mühseligen und Beladenen, des Dorflebens, wie sein großes französisches Vorbild, François Millet, mit dem ihn die Malerkolonie zu Barbison im Walde von Fontainebleau zusammengeführt hat. Als eine Probe der Liebermannschen Art legen wir heute unsern Lesern das Bild der alten Großmutter vor. Wohl fehlt ihm zur vollen Wirkung die Farbe, aber die Grundzüge der oben geschilderten künstlerischen Richtung lassen sich auch im Holzschnitt erkennen.

Ein unbändiges Reitpferd. (Zu dem Bilde S. 477.) Der Sprung ist gelungen und der Leopard sitzt fest auf dem Rücken des afrikanischen Zebras … Ein Stöhnen, ein wildes Aufbäumen – und fort geht es in toller Jagd durch die savannenartige Hügellandschaft! Wie wird der Ritt enden? Sicher wie der des „Wüstenkönigs“ auf dem Rücken der „Seraphe“, der Lieblichen, den Freiligrath so ergreifend besungen! Wer das denkt, der kennt nicht das Zebra, das stolze mutige Roß afrikanischer Steppen und Bergeshöhen. Es weiß sich zu wehren, und selbst in dem gefährlichen Augenblicke, den uns das treffliche Bild von Alb. Kull vorführt, brauchen wir es nicht verloren zu geben. Noch ein paar gewaltige Sätze, dann wird in dem Hengste der Selbsterhaltungstrieb erwachen, er wird zu Boden stürzen und den siechen Räuber abwälzen; dann wird der Abgeschüttelte unliebsame Bekanntschaft mit den Hufen des Steppensohnes machen und mit blutigem Maule sich trollen müssen. Kämpfe zwischen Zebras und Leoparden haben oft diese Wendung genommen.*      

In der Ramsau. (Zu dem Bilde S. 481.) Die großartigen Naturschönheiten der Ramsau, jenes Thales, das von Berchtesgaden gegen den Hintersee sich hinaufzieht, haben schon viele begeisterte Lobredner gefunden. Unsern Lesern sind sie durch die unvergleichlichen Schilderungen in Ludwig Ganghofers „Martinsklause“ gerade gegenwärtig besonders nahe gerückt. Den Worten des Dichters fügen wir heute das Bild des Malers hinzu. Hat auch die neuzeitliche Kultur, die mit ihren Kunststraßen auch in diese weltentlegenen Winkel eindrang, die ursprüngliche Wildheit in manchen Stücken gemildert, so ist doch noch genug von dem alten Gepräge übrig geblieben. Auch unser Bild führt uns an eine Stelle, die in keinem Stücke die Spuren der glättenden Kultur verrät, und nichts hindert die Phantasie, sich beim Beschauen dieses Blattes hinaufzuträumen in die Tage, da Eberwein die Martinsklause gründete.



Inhalt: Die Brüder. Roman von Klaus Zehren (1. Fortsetzung). S. 469. – Die Großmutter. Bild. S. 469. – Vom XI. deutschen Bundesschießen zu Mainz. Bild. S. 473. – Aus dem Lande der Kanäle. Von Herbert Franz. S. 474. – Ballhäuser und Spielhallen. S. 475. Mit Abbildungen S. 476. – Die Martinsklause. Roman aus dem 12. Jahrhundert. Von Ludwig Ganghofer (27. Fortsetzung). S. 477. – Bergzebra, von einem Leoparden überfallen. Bild. S. 477. – In der Ramsau. Bild. S. 481. – Blätter und Blüten: Das Haus Fritz Reuters. S. 483. – Vom XI. deutschen Bundesschießen zu Mainz. S. 484. (Zu den Bildern S. 473 und 484.) – Die Großmutter. S. 484. (Zu dem Bilde S. 469.) – Ein unbändiges Reitpferd. S. 484. (Zu dem Bilde S. 477.) – In der Ramsau. S. 484. (Zu dem Bilde S. 481.)


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig
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