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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

in Verbindung, um für den Bau der Mikroskope die sichere wissenschaftliche Grundlage zu gewinnen. Dieses Ziel wurde in mühevollen, jahrelangen Arbeiten erreicht und das „glastechnische Laboratorium in Jena“ von Schott und Genossen ins Leben gerufen, auch eine staatliche Unterstützung dafür erwirkt. (Vergl. „Gartenlaube 1888, Nr. 8.) Nunmehr steht Deutschland in der Herstellung wissenschaftlicher Instrumente vom Auslande völlig unabhängig da; die Anstalt von Karl Zeiß aber ist das größte, den Bau rein wissenschaftlicher Mikroskope betreibende Unternehmen der Welt.

Außer dieser Musteranstalt, die zu den jüngsten Fortschritten der Wissenschaft so ungemein viel beigetragen hat, besitzt Thüringen noch viele Geschäfte, die meteorologische und andere Instrumente für den gewöhnlichen praktischen Gebrauch liefern. Von Thüringen aus wird z. B. die halbe Welt mit Thermometern versorgt; den Mittelpunkt dieser Industrie bilden namentlich Ilmenau, Stützerbach und die benachbarten Orte.

Das sind die hervorragendsten Beispiele des so verschiedendartige Zweige umfassenden emsigen Fleißes der Thüringer. Wir könnten noch viele andere anführen, die berühmten Paraffinfabriken des Thüringer Vorlandes, die Gerbereien von Weißenfels, unmöglich aber ist es, die Thüringer Blumengärtnerei und den Gartenbau mit Stillschweigen zu übergehen. Erfurt gebührt in dieser Hinsicht die führende Stelle, Erfurt, das durch seinen eigenartigen Feldbau schon in längst vergangenen Zeiten berühmt war; verdankt doch die Stadt ihre einstige Macht und Blüte dem Anbau der nordischen, den Indigofarbstoff spendenden Pflanze, des Färberwaids! Im 15. Jahrhundert war Erfurt der Mittelpunkt des deutschen Waidbaus und Waidhandels. Der Waid baute den Erfurtern ihre Paläste, und so oft die „Waidjunker“ eine Raubburg erobert und zerstört hatten, pflegten sie dort Waidsamen auszustreuen, um der Nachwelt zu zeigen, daß die streitbaren Erfurter diese Zerstörung vollbracht.

Die Einfuhr des Indigo aus Ostindien, die um die Mitte des 17. Jahrhunderts erfolgte, legte diesen Zweig des Feldbaus völlig lahm. Inzwischen entwickelte sich aber am Dreienbrunnen vor den Thoren Erfurts ein schwunghafter Gemüsebau. Man zog hier Brunnenkresse, den schwarzen Winterrettig, von dem 5 bis 6 Stück bisweilen einen Centner wogen, Kohlrabi und Blumenkohl, der um das Jahr 1660 von der Insel Cypern eingeführt wurde. Seit dem vorigen Jahrhundert kam die Zucht der Blumen in Erfurt in Aufnahme, und namentlich sind es die Levkojen, welche den Erfurter Blumensamenhandel berühmt gemacht haben. Im Anfang unseres Jahrhunderts hatte Erfurt seinen „Levkojenkönig“, Christoph Lorenz. Vor fünfzig Jahren wurde die Georginenkultur durch Erfurt gehoben; heute ist es in Bezug auf Blumenzucht und Handel mit Blumensämereien einer der wichtigsten Mittelpunkte des Weltverkehrs. Ein einziges Haus hat ein Preisverzeichnis von 8000 Nummern und setzt jährlich gegen 20000 Centner Blumen- und Gemüsesamen ab, ein anderes beschäftigt 1000 Arbeiter. Von Erfurt breitete sich der Gartenbau über viele andere Orte Thüringens aus.

Schließlich hat Thüringen seine herzlichen schattigen Laubforste und duftenden Nadelwälder; alljährlich öffnet es dieselben zahllosen Fremden, die aus dem Lärm der Städte, aus der eintönigen Tiefebene ins Gebirge eilen, um dort ihren Leib und ihre Seele zu erfrischen. Tausende und Abertausende dieser Sommergäste reisen gegenwärtig über Erfurt, an der Ausstellung vorbei. Ob diese Ausstellung des Besuches wert ist? Ist sie nicht lediglich eine provinziale Ausstellung? Sicher, sie umfaßt nur ein kleines Gebiet, aber wir haben angedeutet, wie groß und mannigfaltig Thüringens Gewerbfleiß ist und welche Früchte er gezeitigt hat!

Und wenn auch dieser und jener hervorragende Fabrikant und Meister mit seinen Werken zu Hause geblieben ist, es versäumt hat, die an der Heerstraße des Touristenverkehrs liegende Ausstellung zu beschicken, so bietet doch das, was auf der Daberstedter Stanze zusammengetragen worden ist, ein erschöpfendes, fesselndes und höchst lehrreiches Gesamtbild der hohen Blüte der Thüringer Industrie. Dabei ist der Aufenthalt in der Ausstellung selbst durchaus angenehm und erquickend. Der Raum ist weit, und inmitten schöner anmutiger Gartenanlagen, an Springbrunnen und Teichen vorbei wandert man von Halle zu Halle. Gegenüber dem schmucken Hauptausstellungsgebäude erhebt sich der Kunstpavillon, in dem namentlich wertvolle Kunstaltertümer die Bewunderung der Besucher erregen. Hinter ihm steht ein „Thüringer Bauernhaus“ aus dem Ende des siebzehnten Jahrhunderts, mit der breiten Thoreinfahrt, mit Stall und Scheune. Die goldenen Gaben der Ceres finden wir in der letzteren nicht, oft aber eine fröhliche Schar, die König Gambrinus huldigt. In dem Wohnhause selbst sind die Wohnstube und der Alkoven mit echtem alten Hausrat ausgestattet, während die oberen Räume in ein kleines Museum für Thüringer Trachten, Tiere und Pflanzen und alte Kräuterbücher verwandelt sind. Ein Gegenstück zu diesem Bauernhaus bildet in der Nähe der Pavillon für Frauenarbeit und Hausfleiß; hier ist die neuzeitliche Kunstfertigkeit der Thüringer Frauen und Jungfrauen vertreten; hier bietet sich jedem, der Sinn für Schönes und Geschmackvolles besitzt, Gelegenheit, reizende und auch teure, aber wirklich wertvolle Andenken an die Ausstellung zu erwerben. Durch schöne Gartenanlagen führt der Weg zur Gartenbauhalle, in welcher die seltensten Blumen das Auge des Beschauers erfreuen und die bunten Blattpflanzen mit diesen Blüten aus allen Weltteilen in der Farbenpracht wetteifern.

Von hohem Interesse ist die Abteilung für Forstwirtschaft. Da fallen zunächst die mächtigen Scheiben von starken Stämmen ins Auge, an deren Jahresringen man das Wachstum des Holzes in verschiedenen Waldbeständen zu erkennen vermag. Da sehen wir verschiedene Mißbildungen der Nutzbäume, Verwachsungen von Fichten infolge von Verletzungen der jüngeren Pflanzen, sowie Stamm- und Wurzelverwachsungen von Buchen und Tannen mit Buchen. Auf Tischen stehen kleine Modelle von Thüringer Pechhütten und Teeröfen; die Gewinnung von Pech- und Kienruß blüht ja noch immer in Thüringen und „Meiningen hat das meiste Pech“, wie der Volkswitz sagt. Dicht daneben befindet sich eine künstliche Brutanstalt, welche den Brutprozeß von Forellen veranschaulicht. Der Anblick der kleinen Fischlein erfüllt den Touristen gewiß mit Freuden; ist er doch eine Verheißung kulinarischer Genüsse, die seiner in irgend einem Thüringer Mühlengrunde harren. Aber auch an Ort und Stelle, auf dem Ausstellungsplatze selbst ist in liebenswürdiger Weise für die leiblichen Bedürfnisse des Wanderers gesorgt. Vielerorts kann man dort in schmucken Bauten den Durst löschen, und wer Lust hat, zu steigen, dem winkt der hohe Aussichtsturm entgegen, von dessen Höhen man über die Ausstellung und das thurmreiche Erfurt weit in die Thüringer Lande hinausschauen kann. Aber – wir wollen keinen „Führer“ durch die Ausstellung schreiben, sie verfügt bereits über einen ausgezeichneten, äußerst lehrreichen Wegweiser. Es ist der offizielle Katalog. Einer der trefflichsten Kenner Thüringens, Dr. Fritz Regel, Professor der Geographie an der Universität Jena, hat als Einleitung zu dem Katalog eine zwölf Druckbogen umfassende Abhandlung über „Die wirtschaftlichen und industriellen Verhältnisse Thüringens“ geschrieben. Er war dazu berufen wie kaum ein anderer und wird dafür gewiß den Dank vieler Tausende ernten. Diese Schrift bietet bei weitem mehr als den Schlüssel zu dem sonst für den Laien so schwierigen Verstehen einer Ausstellung; sie führt uns in das herrliche grüne Thüringer Land ein, sie ist ein kundiger Wegweiser für jeden, der nicht nur Berge und Thäler schauen, sondern auch die Menschen in ihrem nützlichen Wirken, in ihrer rastlosen Arbeit kennenlernen will; sie enthüllt uns die schönsten Seiten des genügsamen und fleißigen Thüringers, und indem wir uns in diese Schilderungen vertiefen, lernen wir Thüringens Gewerbfleiß hochschätzen.

Der Aussichtsturm.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 458. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_458.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2023)