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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

den Mund. Es war prachtvoll, zu sehen, wie sie selbst erst jetzt bemerkte, daß sie mich lieb hätte. Sagtest Du etwas, Bruder?“

„Nein, nein, nur der Novemberwind braust in den Bäumen.“

„Ach ja, der Winter beginnt.“

„Ja, der Winter beginnt.“

„Es ist kalt hier,“ meinte Bruno und fröstelte zusammen. „Du solltest noch einige Scheite Holz auflegen, ich fühle mich doch noch etwas schwach. Sie sagten damals, ich hätte sehr viel Blut verloren.“

„Hast Du Deiner Braut etwas von der Sache gesagt?“ fragte Hermann und wandte dem Bruder sein ernstes festes Gesicht zu.

„Der Lore das sagen?“ klang es fast angstvoll zurück.

„Du würdest dann vielleicht Ruhe finden. Ein Weib, das liebt –“

„Aber sie würde mich –“ Er brach ab und sprang auf. „Doch wenn Du meinst – Du kennst ja die Lore! Gut, es soll sein, sie mag entscheiden! Obgleich – es ist eine mißliche Sache, sich selbst in den Schmutz zu ziehen – aber wenn Du mir rätst … “

„Ich rate es Dir. Gute Nacht, Bruno! Es ist Mitternacht vorüber!“

„Gute Nacht!“

Hermann folgte dem langsam Hinausgehenden mit den Blicken. Eine unbezähmbare Aufregung bemächtigte sich seiner. Sein Blick fiel auf das kleine Etui; hastig öffnete er es, nahm den Ring heraus und schleuderte ihn zu Boden. In Sprüngen rollte derselbe davon, drehte sich im Kreis und fiel klirrend auf die Eisenplatte vor dem Ofen. Hermann war ihm gefolgt; er setzte den Absatz darauf; knirschend splitterte der Stein ab. Aber der Reif ließ sich nicht zermalmen. Im Ofen war noch Feuer; rasch warf er den Ring auf eine Schaufel und legte sie auf die glühenden Kohlen. Das Gold begann zu schmelzen, es zitterte in der Schaufel – er stieß sie in die Asche.

„Vorbei!“

Mühsam richtete er sich auf und kleidete sich vollends aus. Dann, während er die Lampe auslöschte, murmelte er. „Narr, kindischer Narr, der ich bin!“

Im Hofe schlug ein Hund an, dann war es ganz still; auch der Sturm draußen schien schwächer zu werden. Ob er es der Lore sagen wird? – –

(Fortsetzung folgt.)


Thüringens Gewerbfleiß.

Von C. Forst. Mit Zeichnungen von W. Hoffmann

Das Eingangsthor der Thüringer Ausstellung.

Den Reisenden, der in diesem Sommer auf den Flügeln des Dampfes durch Thüringen eilt und die Gartenstadt Erfurt berührt, grüßen, wenn er zum Wagenfenster hinausschaut, von der alten „Daberstedter Schanze“ die vielfarbigen Fahnen der Thüringer Staaten. Stolz flattern sie im Winde von Türmen und Kuppeln luftiger Gebäude, der großen Hallen und der schmucken Pavillons, die inmitten reizender Gartenanlagen die „Thüringer Gewerbe- und Industrie-Ausstellung“ beherbergen. Einladend winken sie dem Fremden entgegen und mahnend scheinen sie zu rufen: „Hemme deinen Lauf, eiliger Wanderer! Steige zu uns herauf durch das altertümliche Portal: schenke uns einen Tag, um Thüringens Schätze aus alter und neuer Zeit, des Waldlandes Gewerbfleiß zu schauen. Du wirst dieses ‚Opfer‘ sicher nicht bereuen, reich beschenkt wirst du heimwärts ziehen!“

Thüringens Gewerbfleiß! Welch eine Flut menschlichen Sinnens und Trachtens, welch eine ungeheure Summe rastlosen Arbeitens und Ringens umfassen diese zwei kurzen Worte! Wohin wandern nicht die Werke, die des Thüringers feste Hand geschaffen hat? Man kennt sie in Nord und Süd, vom Fels zum Meer, in allen Gauen des deutschen Vaterlandes, das Dampfroß trägt sie hinaus in alle Länder Europas und auf Schiffen ziehen sie über die Oceane nach den vier anderen Weltteilen. Millionen Kinder jauchzen alljährlich einem Teil dieser Erzeugnisse entgegen, denn Thüringen ist das echte und rechte Spielwarenland, in dem das Christkind seine schönsten Gaben sammelt. Vor zwei Jahrhunderten war es, da Sonneberg in Thüringen die Erbschaft Nürnbergs antrat und in der Erzeugung der Spielwaren die Führung übernahm, und trotz aller Wandlungen der Zeiten behauptet es noch heute den hohen Rang.

Für die Sonneberger Ausfuhrfirmen, deren es etwa 60 giebt, ist die ganze Umgebung mit über 30 Ortschaften thätig, und kaum wird in Deutschland ein zweiter Raum von etwa 5 Quadratmeilen Ausdehnung gefunden werden, welcher die Zweige der Spielwarenfabrikation in derartiger Ausdehnung und Mannigfaltigkeit pflegt, von der größten Schieferplatte bis zum einfachsten Griffel, von der leichten Holzschachtel bis zu den feinsten Werken der Modellierkunst. Treffend ist gesagt worden: „Mit den Sonneberger Waren spielen unsere Kinder, mit ihnen schmückt sich der indianische Häuptling, der Malaie des Stillen Meeres, der Neger des sonnenverbrannten Afrika. Kein Palast und keine Hütte ist ihnen verschlossen.“

Berühmt sind die Sonneberger Puppen. Manche Firmen erzeugen jährlich je 20000 bis 30000 Dutzend Puppen oder Puppenköpfe. Und welche Fortschritte hat hier das uralte Mädchenspielzeug gemacht! Auf der Londoner Weltausstellung 1851 erregten die „Schreipuppen“ zum erstenmal Aufsehen, bald darauf hatten die Puppen „Papa“ und „Mama“ rufen gelernt, jetzt sprechen sie und singen Lieder. Wie wurde in Sonneberg der „Teint“ der Puppenköpfe verbessert, bis die zarten Gesichtchen waschbar und wetterfest wurden, in der Tropenhitze nicht erweichten und in der frostigen Kälte des Nordens keine Sprünge bekamen! Die Thüringer Fabrikanten wetteiferten auch erfolgreich mit den Ausländern in dem Bestreben, Leben in den starren Puppenleib hineinzubringen, bis unter ihren sorgsamen Händen die Gelenke beweglich wurden und die Puppen sogar gehen lernten.

Außerdem entstand in Waltershausen ein zweiter bedeutender Mittelpunkt der Puppen- und Spielwarenfabrikation, und an vielen anderen Orten regen sich zahlreiche fleißige Hände, um Spielzeug zu schaffen. Berühmt ist Ruhla auf diesem Gebiete durch eine Besonderheit: erzeugt doch hier eine einzige Firma in jedem Jahre gegen 15 Millionen Stück Kinderuhren, darunter auch Stand- und Wanduhren für Puppenstuben, welche, wenn sie in der Regel auch nicht gehen, doch an Naturtreue nichts zu wünschen übrig lassen!

Doch verlassen wir die Stätten, in welchen allerlei Tand für arme und reiche Kinder bereitet wird! Seit Jahrhunderten standen die Thüringer Schmiede in hohem Ansehen: es waren naturgemäß kleine Meister, die in der Neuzeit durch die in anderen, günstiger gelegenen Gebieten erwachsenen Fabriken überflügelt wurden. Trotzdem wirken in Thüringen noch heute Tausende von Kleinfeuerarbeitern und fertigen allerlei Kurzwaren, die sich durch geschmackvolle und zierliche Arbeit, durch schöne Politur und Reinheit auszeichnen. In Schmalkalden, Zella, Mehlis und Suhl giebt es Großhändler, welche illustrierte Kataloge über 2000 und mehr verschiedene Gegenstände aus den Werkstätten dieser Schmiede dem Handel zur Verfügung stellen und Musterlager nicht nur in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 456. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_456.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2023)