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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

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Das Schachspiel und seine Meister.

Von Rudolf von Gottschall.      Mit Zeichnungen von A. Liebing.

„Komm, die schattige Laube hält
Fern dem sinnenden Geist jedes Geräusch der Welt,
Streut nur selten ein fliegend Blatt
Aufs gewürfelte Brett – komm, vom Gespräche matt,
Das ein modischer Kreis dort pflegt,
Das nur Richtiges rühmt, Geist nicht und Herz bewegt,
Fliehend leerer Gesellschaft Zwang,
Bannen wir an dies Brett ernsten Gedankengang!“

So konnte ich vor mehr als dreißig Jahren eine Ode an das Schach beginnen; denn es war damals noch die Zeit der Schachidyllen, wo man das „Königliche Spiel“ in aller Ruhe und Stille pflegte, wo der Name eines tüchtigen Schachspielers an seinem Wohnort bekannt war und gelegentlich auch, bei der Begegnung mit einem auswärtigen Spieler, in weiteren Kreisen genannt wurde. Im vorigen Jahrhundert konnte sogar Heinse in seinem Romane „Anastasia und das Schachspiel“ dies Spiel in einen Liebesroman verflechten. Wohl hatte man damals schon zahlreiche Lehrbücher und Musterspiele, und in dem Heinseschen Roman findet sich sogar die eingehende Zergliederung einer Spielweise, des sogenannten giuoco piano, der einfachsten und regelmäßigsten Spieleröffnung. Italiener und Franzosen waren aber in Bezug auf diese Lehrbücher und gesammelten Spielproben von Meistern den Deutschen bedeutend überlegen. Das Schachspiel war im ganzen ein häuslicher Genuß; es wurde auf Schlössern wie in Bürgerhäusern, im Familienkreise, gelegentlich wohl auch in Gasthäusern gespielt, immer aber nur zur Unterhaltung und ohne daß ein weiterer Kreis sich daran beteiligt hätte. Bis zur Mitte unseres Jahrhunderts dauerte diese Schachidylle, und wenn sich hier und dort einzelne Schachklubs bildeten, so ging der idyllische Reiz des Spiels, das nur zuweilen ein mehr wissenschaftliches Gepräge annahm, nicht verloren.

Seitdem ist aber eine große Wandlung eingetreten; das Schachspiel, außerordentlich vervollkommnet durch hervorragende Meister und eine fortschreitende Theorie, ist ein internationaler Sport geworden; ehrgeizige Ritter turnieren jetzt um Zeitungsruhm und hohe Geldpreise, und das Schachspiel in der stillen Laube gehört zu den patriarchalischen Vergnügungen einer längst verschollenen Zeit.

Man trete jetzt in einen größeren Schachklub - da wird man allerlei hören und erfahren, was selbst einen neuauferstandenen Philidor und andere Größen des vorigen Jahrhunderts aufs höchste befremden würde. Auch unser großes Publikum liest ja in den Schachspalten der illustrierten Blätter und der politischen Zeitungen vielerlei, worauf es sich keinen Vers zu machen weiß. Das Schachtreiben hat eben eine ganz andere Gestalt angenommen, und auch denjenigen, die nur gelegentlich von seinen Genüssen gekostet oder einen Blick in seine tieferen Rätsel gethan haben, wird es willkommen sein, etwas Näheres über diese Wandlung zu erfahren.

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Das Blindlingsspiel.   Im Schachklub.
( gemeinfrei ab 2028)

Aus dem Tabaksgewölk, das in der Regel über einer Schachgemeinde schwebt, lösen sich verschiedene Gruppenbilder ab, die man in jedem Klub beobachten kann. Da giebt es zunächst noch einige Duellanten der alten Schule, die zufrieden sind, wenn sie irgend einen Spieler am Schachbrett sich gegenüber haben und sich um alles andere, was in der Schachwelt vorgeht, nicht im entferntesten kümmern. In der Regel ist es ein bevorzugter Gegner, denn es sind Paare, die immerfort gleichsam zusammengewachsen sind; sie sind sehr eifrig in ihr Spiel vertieft, nicht weniger als die Meisterspieler, von denen ja auch der Lichtwersche Vers gilt:

„Wenn sie nicht hören, sehen, fühlen,
Mein Gott, was thun sie denn? Sie spielen.“

Jeder kennt die Redensarten des anderen auswendig; denn wie der eifrige Skatspieler, so hat auch der Schachspieler einen Hausschatz von geflügelten Worten, die er gewohnheitsmäßig in das Spiel einstreut. Die Gegner gehören oft den verschiedensten gesellschaftlichen Schichten an; wie Klopstock von einer Gelehrtenrepublik sprach, so kann man auch von einer Schachrepublik sprechen. Vor einigen Jahrzehnten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 437. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_437.jpg&oldid=- (Version vom 5.9.2023)