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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


Der Alte schüttelte den Kopf. „Wenn der Fischer den Richtmann gutwillig herausgiebt, hat die ganze Sach’ ein End’!“ Er redete nach, was er in der Herrenstube erlauscht hatte.

Seit dem Abend wußte Herr Waze, daß er die Sühne für den erschlagenen Knecht nicht von Sigenot, sondern von dem Richtmann zu fordern hatte. Wohl blieb es ihm ein Rätsel, was den Mann, der im Thing wider die Klosterleute und für den Spisar gesprochen, zu dieser Gewaltthat getrieben hatte, doch die Aussage, die der Hanetzer gethan, sprach zu deutlich. Und hatten nicht die Knechte, welche den Richtmann greifen sollten, seinen Hag verlassen und alle Thüren versperrt gefunden? Wohin er mit seinen Leuten geflüchtet wäre, diese Frage war nach Wazes Meinung leicht gelöst: in den Hag des Fischers. Mit dem Morgen wollte er den Schuldigen fordern; er hoffte, daß ihm Sigenot diese Forderung verweigern möchte, und fürchtete zugleich, daß der Fischer sie erfüllen könnte. „Er muß sich ja denken, daß ich dem Richtmann nicht zu hart ans Fleisch geh’ ... ich bin doch der Narr nicht, daß ich die beste Milchkuh’ niederschlag’, die ich hab’ in meinem Land! Und giebt er ihn heraus ... was thu’ ich dann? Den Fischer will ich, den Fischer! Und hab’ kein Recht mehr wider ihn!“

Recht! In all seinem Leben hatte Herr Waze dieses Wort nicht so oft im Munde geführt als seit der Stunde, in welcher er das Bußloch leer gefunden. Seine gährende Wut drängte nach einem wilden Ausbruch, doch die abergläubische Furcht, die ihn jäh befallen, war um seine Kraft und seine Sinne gelegt wie ein eiserner Reif. Den Zwiespalt, der in ihm tobte, löste der Met. Schwer trunken sank er in später Nacht auf das Spanbett und schnarchte mit offenem Mund, während draußen im grell erleuchteten Burghof die Knechte unter den vorspringenden Dächern der Ställe saßen, die Pechkränze flochten, das Kienholz für die Fackeln schliffen und die Reisigbündel fertigten, welche den Hag des Fischers in Asche legen sollten.

Noch ehe der Morgen graute, versiegte der Fall der Flocken. Weiß schimmerten im Zwielicht der weichenden Nacht alle Dächer um den Burghof her, und der steigende Bergwald war mit Schnee behangen. In den Lüften wallte das Gewölk, die grauen Massen teilten sich, und durch die Klüfte der ziehenden Nebel schimmerten mit sanftem Glanz die erlöschenden Sterne nieder.

Das Schneelicht warf einen matten Dämmerschein in die Herrenstube. Da wurde Herr Waze geweckt. Stöhnend richtete er sich vom Spanbett auf und hörte einen Hahnenschrei. „Verfluchtes Vieh! Hab’ ich denn keinen Morgen Ruh’ vor Dir!“ Aber da merkte er, daß nicht der Hahn ihn geweckt. „Auf, auf!“ klang die Stimme Hennings, der vor dem Lager seines Vaters stand und ihn am Arme rüttelte.

Mit stumpfem Blick hob Herr Waze die Augen. „Was soll’s? Was willst Du?“

„Fragen will ich, ob ein Heiliger, der in der Nacht durch Mauern geht, die Weiber weckt,“ rief Henning mit heiserem Lachen, während seine Brüder lärmend aus ihren Stuben kamen. „Fragen will ich, ob ein Heiliger, der doch fliegen kann, über Treppen steigen muß und durch die Zeugkammer schleichen.“

„Treppen . . . Zeugkammer ...“ stotterte Herr Waze. „Was soll der Unsinn?“

„Unsinn? So frag’ die Knecht’ ... ich mein’ schier, sie wissen, wer der Heilige gewesen ist, der dem Pfaffen alle Thüren aufgethan.“

„Einer vom Gesind’ muß es gewesen sein!“ kreischte Eilbert aus dem Lärm der Brüder.

Herr Waze griff sich an die Stirne, schüttelte den Kopf und tastete nach der Hüfte, als trüge er am Gürtel noch den Schlüsssel verwahrt. Henning packte ihn an der Brust und rüttelte ihn. „Schlafst Du noch allweil’? Wach’ auf, wach’ auf und hör’ mich an! Jetzt gerad’ ... ich bin aufgewacht und hab’ am Fenster den Laden aufgezogen ... da hab’ ich die alte Hex’, die Ulla, im Hof gesehen. Sie hat den Knechten die Schüssel mit der Morgensupp’ zugetragen und ist gestanden und hat geredet mit ihnen ... vom selbigen Wunder, von Deinem Heiligen! Sie wär’ aus dem Schlaf gekommen in selbiger Nacht und hätt’ gehört, als gingen Leut’ an der Thür’ vorbei, bloßfüßig über die Trepp’ hinauf, gegen die Zeugkammer ...“

Weiter kam Henning nicht. Herr Waze war aufgesprungen und hatte ihn mit der Faust von sich gestoßen. Halb bekleidet, wie er sich vom Lager erhoben, stürzte er gegen die Halle; doch als ihm auf der Schwelle die Kälte an die nackten Beine fuhr, hielt er inne und griff mit zuckenden Händen in die Luft. „Das Weibsbild her! Das Weibsbild her!“

Henning und Sindel eilten aus der Stube und in den Unterstock des Hauses, als sie an Ullas Kammer die Thür aufrissen, saß die alte Magd bei der Fensterluke, durch welche ein trüber Schein des erwachenden Morgens fiel. Henning und Sindel packten sie mit groben Fäusten und rissen sie mit fort. Unter der Thür der Herrenstube stürzte Herr Waze ihr entgegen, völlig angekleidet, mit dem Fänger umgürtet. Vor Wut der Sprache kaum mächtig, packte er die Magd und zerrte sie über die Schwelle. „Geschwiegen hast Du, geschwiegen! Bis heut’! Warum denn, warum? Red’, sag’ ich ... wie war’s in jener Nacht? Red’, oder ich lös’ Dir die Zung!“ Herr Waze wollte nach ihr greifen, doch eine Hand faßte seinen Arm. Recka, von dem Lärm aus ihrer Kammer gerufen, stand vor ihm, die Haare gelöst, im weißen Schlafgewand. „Was hat die Magd Dir gethan, Vater?“ fragte sie mit bebender Stimme. Wirr durcheinander schreiend, gaben die Brüder Antwort, und Herr Waze kreischte: „Soll ich mich viel um das Weibsbild kümmern, wo es hergeht um alles, was ich hab’ und bin? Tag und Nacht bin ich gelegen wie gebunden an Händen und Füßen! Bei jedem Schnaufer hat mich das Grausen vor dem Wunder geschüttelt, an das ich glauben hab’ müssen! Und das Weibsbild hat gehört in der Nacht, wie der Pfaff mit seinem Helfer davon ist, und hat geschwiegen! Geschwiegen!“ Er streckte die Fäuste nach der Magd. „Red’, sag’ ich, red’ ...“

Da trat ihm Recka in den Weg. Mühsam bekämpfte Erregung sprach aus jedem Zug ihres bleichen Gesichtes, sie schien zu wissen, daß sie eine böse Stunde über sich beschwor, aber sie sah die zitternde Angst der alten Magd und konnte nicht schweigen. „Willst Du wissen, wer den Priester aus Deinem Haus geleitet hat, so frage mich!“

In Schreck und Zorn, fast wie ein einziger Schrei, klang Reckas Name von den Lippen der Brüder, nur Henning lachte. „Das hätt’ ich mir denken müssen!“

Mit geballten Fäusten trat Herr Waze vor seine Tochter hin. „Dirn’!“ keuchte er. „Dirn’!“

Stolz richtete das Mädchen sich auf. „Ich habe den Gast an meiner Hand unter Dach geführt ... wenn er Euch nicht heilig war, er ist es mir gewesen!“

„Dirn’! Soll das heißen, daß Du den Schlüssel von meinem Gurt gelöst, während ich im Rausch gelegen, daß Du dem Pfaffen und dem Buben Schloß und Thüren aufgethan?“

„Ja, Vater!“

Da traf ein Faustschlag ihre Wange. Als hätten die Brüder nur gewartet auf solch ein Zeichen, stürzten sie unter Geschrei und zornigen Flüchen auf die Schwester zu, rissen ihr das Gewand von der Schulter und schlugen, wohin sie trafen. Mit stöhnendem Laut, wie eine Bärin die Hunde von sich abschüttelt, machte Recka sich frei, und zum Spanbett springend, faßte sie den Jagdspeer ihres Vaters und schwang das Eisen gegen Henning, der ihr am nächsten stand. Schreiend wichen die Brüder zurück, und jeder suchte nach einer Waffe. Herr Waze aber schrie: „Was lauft Ihr nach Wehr und Eisen? Ich mein’, ich zwing’ sie noch mit der leeren Hand!“ Er sprang auf Recka zu und streckte die Hand, um den Speer zu greifen, doch als er den Blick ihrer Augen sah, trat er scheu zurück. Hochaufgerichtet stand sie vor ihm, in dem leichenblassen Antlitz das rote Mal, das der Schlag seiner Faust entzündet. „Stoß zu, so stoß doch zu!“ rief er mit heiserem Lachen. „Mich plagt die Neugier, wieviel ein Kind zuweg bringt wider den Vater. Stoß zu. Hast ja den Feind, den ich eingesponnen, aus meinem Netz gerissen, hast ja das gute Pfand, das ich gehalten, aus meiner Hand geschlagen! Stoß zu. Es ist ja nicht Deines Vaters Blut, das Du schauen wirst! Du bist ja mein Kind nicht, du Wechselbalg! Stoß zu! Stoß zu!“

Reckas Finger öffneten sich, und klirrend fiel die Waffe zu Boden. Mit zitternden Händen raffte sie die Haarsträhne und die Fetzen ihres Gewandes über die entblößten Schultern, und mit verlorenem Blick den Vater und die Brüder streifend, schritt sie taumelnden Ganges zur Thür der Halle.

(Fortsetzung folgt.)




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