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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

zum Elend laufen wie Wasser zum Wasser?“ Er stieg uber die Trümmer seines Hauses nieder und watete durch die Pfützen zum Hagthor. Neben dem Pfosten sah er einen Buben liegen, faßte ihn beim Arm und rüttelte ihn. „He, Du! Was ist denn mit Dir?“ Doch keine Antwort kam. „So red’ doch! Wer bist Du denn?“ Der Knabe blieb stumm, und sein Arm, den der Alte aus den Händen ließ, fiel schwer herab. „Er muß dämlig sein!“ murmelte Gobl und beugte sich über den Knaben; in der Finsternis vermochte er das Gesicht nicht zu erkennen. „So komm halt ... morgen werden Deine Leut’ schon schreien nach Dir!“ Mit seinen müden Kräften hob er den Bewußtlosen auf und schleppte ihn unter das Dächlein. Als er merkte, daß der Knabe vor Frost und Nässe zitterte, riß er den Heusack auf und höhlte für den stillen Kameraden ein warmes Nest. Dann saß er im Dunkel an seiner Seite, und immer wieder griff er mit der Hand ins Heu, um zu fühlen, ob der Frierende auch warm würde.

Einmal lachte er hell auf. „Schau’ nur, schau’ ... mein Haus hat wieder Leut’, und sorgen thu’ ich mich auch schon drum!“ Bald hörte er den stillen Schläfer in tiefen Zügen atmen, und ein feuchtwarmer Dunst begann aus dem Heu zu quellen. Dem Greise wurden die Lider schwer; neben dem Haupt des Knaben legte er den müden Kopf aufs Heu und fiel in Schlnmmer . . .

Still lag die Nacht um das Dächlein und um die Trümmer des zerfallenen Hauses her, der Wind hatte sich gelegt, lautlos fiel der Schnee, und nur leise murmelte zuweilen das auf der Erde verrinnende Wasser. Fern draußen aber auf den Halden der Schönau war es lebendig in allen Gehöften, Leute eilten von Hag zu Hag, schreiende Stimmen klangen, und Feuerschein leuchtete aus offenen Thüren.

Auf dem Karrenweg, der von des Richtmanns Hag thalwärts gegen die Ache führte, wanderte ein Einsamer hastigen Ganges, die lodernde Fackel in der Hand; es war einer von des Richtmanns Knechten, und sein Weg ging dem Fischerhaus entgegen. Als er die Achenbrücke erreichte, löschte er die Fackel aus und spähte durch die Nacht hinaus gegen den Falkenstein. In rötlicher Helle hob sich Wazemanns Haus aus dem Dunkel, als stünden brennende Pechpfannen im Burghof. „Was die da droben schaffen in der Nacht, das wird uns heiß machen am Tag!“ murmelte der Knecht und begann zu laufen. Beim Hag des Fischerhauses angelangt, pochte er leise, worauf das Thor sich lautlos öffnete, um hinter ihm sich wieder zu schließen. „Was bringst Du?“ klang die flüsternde Stimme des Kohlmanns.

„Ich mein’, wir könnten Hilf’ kriegen mit dem Morgen.“

„Hilf’? Woher?“

„In der Schönau sind alle Leut’ lebendig ... mit Laufen und Schreien tragen sie die Red’ um’ einer von den Gottesleuten hätt’ ein Wunder gethan im Lokiwald. Die Urstaller Dirn’ hat mit ihrem Hüterbuben abgetrieben von der Alben und wie sie nicht weit von der Klaus’ durchs Holz gezogen sind, da haben auf einmal die Rinder ein wüstes Brüllen angefangen und sind scheu geworden und davongesaust, als hätt’ man ihnen Feuer an die Schwänz’ gehängt. Die Dirn’ und der Bub’ stehen nur allweil’ und schauen . . . und da sehen sie einen Gottesmann und sehen, wie ein Bär auf ihn zuspringt. Aber der Gottesmann . . . ich weiß nicht, hat er eins von seinen heiligen Bannzeichen gemacht, oder hat er einen baumstarken Bärensegen gerufen . . . kurz und gut, ich sag’ Dir: der Bub’ und die Dirn’ haben gesehen, daß der Bär auf einmal vor dem Gottesmann gestanden ist, so zahm wie ein Lampl, und hat ihm die Händ’ geleckt und ist ihm wie ein Hundl nachgelaufen bis zur Klaus’. Der Bub’ sagt noch, das Untir hätt’ dem Gottesmann im Maul ’was nachgetragen . . . ich glaub’, er hat gesagt: ein Körbl ... aber das leugnet die Dirn’, das will sie nimmer gesehen haben.“

„Und das glauben die Leut’?“ stotterte der Kohlmann.

„Wohl wohl! Es muß doch ’was dran sein! Der Bub’ und die Dirn’ schwören ja Stein und Bein. Bei der Ramsauer Ache, wo sie ihr Vieh wieder gefunden haben, ist ihnen der Schmied von Ilsank in den Weg gelaufen. Dem haben sie gleich alles erzählt . . . und der Schmied ist der erst’ gewesen, der geschrieen hat: er traut sich nimmer feind sein wider die Gottesleut’. Mit der Dirn’ ist er umgelaufen von einem Hag zum andern, und da kannst Dir denken, wie die Leut’ lebendig worden sind! Das wär’ freilich nicht schlecht, wenn man den Bärensegen lernen könnt’ von den Gottesleuten . . . da hätt’ das Vieh gute Zeit, und es wär’ ein leichtes Hausen auf der Alben. Und schau’, ich mein’ halt auch wie die Schönauer Leut’: wer so stark ist wider die Untier’, der müßt’ auch aufkommen gegen die Wazemannsbuben. Die haben heut’ in der Schönau wieder schieche Arbeit gemacht . . . den Hanetzer haben sie schier krumm geschlagen, bis er ihnen genug geredet hat, und von ihm weg sind sie zu unserem Hag gezogen, der Köppelecker hat’s gesehen, wie sie das Thor eingeschlagen haben und alle Thüren aufgebrochen.“

„Komm, das muß der Fischer hören!“ rief Eigel und zog den Knecht hinter sich her in das Haus. Als sie eingetreten waren, schloß sich die Thür, und an den Fensterluken wurden die Läden vorgeschoben.

Nur aus Wichos Kammer strahlte nach rötliches Licht. Ein flackerndes Spanfeuer erleuchtete den kleinen Raum. Neben Hilmtruds Totenlager saß Kaganhart auf der Erde und murmelte die Klage, während er von den Fingern der Leiche die Nägel schnitt. Bei jedem Nagelspänlein, welches niederfiel, nannte er unter Thränen eine gute Eigenschaft seines Weibes. Der unsichtbare Geselle, der gekommen war, um die Hilmtrud einzuführen in sein dunkles Reich, hörte so viel des Lobes, daß er glauben mußte, er hätte dem Leben niemals ein besseres Weib entrissen ...

Das war nicht die einzige Totenklage, welche gehalten wurde in dieser Nacht. In stundenweiter Ferne vom Fischerhaus, im Kirchhof der Ramsau, klang eine schluchzende Stimme. Finster stand das Kirchlein, denn das „ewige Licht“, dessen Lampe Hiltischalk an jedem Morgen mit frischem Oel gefüllt, war ausgebrannt, und finster lag auch das Haus mit seinem kalten Herd. Nur die Dächer, auf denen der fallende Schnee schon zu haften begann, schimmerten grau in der Nacht. In das dumpfe Rauschen der Ache mischte sich die Klage der Magd. Laut weinend irrte Mätzel in Haus und Hof umher, unter der Linde fiel sie auf die Steinbank nieder und barg ihr Gesicht in den Händen . . .

Im Thal der Ache, fern am Waldsaum, wo der Karrenweg zwischen die Bäume lenkte, gaukelte der Schein einer Fackel. Schweiker trug sie, der mit Eberwein den Heimweg suchte. Bei jeder schlechten Stelle des Pfades senkte er die Flamme, um den Weg vor den Füßen seines Herrn besser zu erleuchten, zuckend fiel der Fackelschein über das bleiche verstörte Antlitz Eberweins, das um Jahre gealtert schien. Schweigend wanderten die beiden, während der fallende Schnee auf der nassen Erde zerschmolz, blieb er an ihren Kleidern haften, ihre Arme und Schultern wurden weiß.

Als Schweiker wieder einmal aufblickte in Eberweins Gesicht, sah er seine Lippen zucken und seine Augen in Thränen schwimmen. „Ja Herr, ja guter Herr,“ stammelte er, „wie magst Dich denn so viel kränken! Schau’ nur, wie alt sie gewesen sind! Mit jedem nächsten Stündl dem Tod verfallen! Und schau’, man kann noch allweil’ nicht sicher wissen, ob sie nicht doch noch leben! Wenn’s aber schon so wär’, daß sie einen schiechen Tritt gethan haben und hinuntergefallen sind . . . schau’, so sind sie bei den guten Heiligen im Himmel.“

Stöhnend, als wäre ihm jedes dieser Worte eine Qual, streckte Eberwein die Hände gegen Schweikers Lippen und winkte ihm, zu schweigen. Sie wanderten weiter, immer langsamer wurden Eberweins Schritte, denn seine Kräfte waren erschöpft.

Fast Uebermenschliches hatte er geleistet, seit er mit Schweiker und Mätzel bei der Ache den alten Runot mit seinen Söhnen und anderen Männern der Ramsau auf der Suche nach dem verschwundenen Paar getroffen. Als Eberwein hörte, was bei Waldrams Ankunft vor dem Kirchlein in der Ramsau geschehen, stand er bleich und wortlos wie vor einem Unheil, bei dem es nicht Rat noch Hilfe giebt. Schreiend riß die Magd an seinem Gewand, und mit schmähenden Worten hoben die Männer ihre Fäuste gegen ihn. Unter der finsteren Gewalt, mit welcher Waldram sie gefesselt, hatten sie den Greis verlassen . . . jetzt schrien sie nach ihm wie nach einem Vater, den sie verloren, und sahen in Eberwein und Schweiker nur die Gesellen jenes anderen, der sie zu Waisen gemacht. In hellem Zorn wollte Schweiker die Schmäher zur Ruhe weisen, doch Eberwein wehrte es ihm. „Schweige! Laß ihrem Groll und Jammer sein Recht! Waldram hat gesät, und wir müssen ernten. Könnt’ ich, was geschehen, mit meinem Leben ändern, ich gäb’ es gern dahin!“

Diese Worte und der tiefe Kümmer, der aus der Stimme des Mönches und aus seinen Augen redete, machte die Schreier verstummen. Wohl folgten sie zuerst nur zögernd den Weisungen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 414. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_414.jpg&oldid=- (Version vom 10.3.2021)