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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

über den Hag; der Länge nach stürzte sie in die Pfütze, raffte sich auf – „Mordbrenner!“ keuchte sie, und während Kaganhart mit jammerndem Gezeter zum Hagthor eilte, rannte sie mit geschwungenem Knüttel dem Spisar nach. Unter den Bäumen, nahe der Achenbrücke, erreichte sie ihn, faßte das Roß am Schweif und schlug. Herr Waze hatte den Jagdspeer vom Sattel gerissen und fing den Streich auf, der nun mit Wucht auf den Rücken des Pferdes fiel. Das Tier schlug aus; stöhnend taumelte Hilmtrud, vom Huf am Arm getroffen, ließ den Knüttel sinken, und gleich einer Wahnsinnigen sprang sie an dem Spisar hinauf, die eine Hand um seinen bewehrten Arm, die andere an seine Hüfte klammernd. „Mein Haus ... Du Mordbrenner ... gieb mir mein Haus wieder!“ Sie riß und zerrte, daß Herr Waze im Sattel wankte. Die Knechte sprangen ihm zu Hilfe, während vom Thor her die Rufe der näher eilenden Männer klangen.

„Macht mich ledig von der Katz’!“ schrie Herr Waze, der auf dem scheuenden Pferd nur mühsam noch den Halt bewahrte.

„Mein Haus ... mein Haus ...“ keuchte Hilmtrud, und während sie, am Spisar hängend, vom Pferde geschleift wurde, riß sie den Wildfänger von Wazemanns Gürtel. „Wart’, Du Mordbrenner ... jetzt raiten wir, Du sollst mir zahlen ...“ Da erloschen ihre Worte in röchelndem Laut; einer der Knechte hatte ihr den Jagdspeer in den Rücken gestoßen; den blanken Stahl noch in der geschwungenen Faust, stürzte sie blutend auf den überschwemmten Grund, und über sie hinweg gingen die Hufe des Pferdes. Als Sigenot mit den Seinen zwischen den Bäumen herbeisprang, verschwand Herr Waze schon jenseit der Achenbrücke, und seine Knechte warfen sich in das bergende Gebüsch.

„Trudli, Trudli!^ jammerte Kaganhart und streckte die Arme; da sah er auf dem Rücken des Weibes, das mit dem Gesicht auf der Erde lag, den sprudelnden Blutquell. „Wazemann!“ Im Rauschen des Regens weckte sein gellender Schrei das Echo an der Falkenwand. Einen Augenblick stand er mit aschfarbenem Gesicht, vom Entsetzen wie versteinert; dann riß er die Axt aus Eigels Hand und stürzte über die Achenbrücke dem Reitweg zu. „Wazemann!“ schrie er und starrte nach allen Seiten, doch öde lag der triefende Wald um ihn her, und grau verschleierte der Regen die Höhe des leeren Pfades. Jähes Schluchzen erschütterte seine Brust, und seiner zitternden Hand entfiel die Axt. Zwei von des Richtmanns Knechten kamen ihm nachgeeilt; sie mußten ihn stützen und führen, denn seine Knie schlotterten, und bei jedem Schritte drohte er niederzusinken. Sein Schluchzen wurde zu lautem Weinen und Jammern, als er sah, wie Sigenot das todwunde Weib auf die Arme hob und zum Hause trug. Der Fischer brachte die Sterbende in Wichos Kammer; dort legte er sie auf das Heubett und löste den blanken Stahl aus den krampfhaft geschlossenen Fingern.

Während die Männer und Dirnen sich in das enge Stüblein drängten, das schon im Zwielicht des sinkenden Abends lag, fiel Kaganhart vor dem Lager auf die Knie.

„Sag’, Herr,^ flüsterte Wicho, „was soll denn geschehen mit ihr?“

„Da ist nimmer Hilf’,“ erwiederte Sigenot mit schwankender Stimme, „der Stoß ist tief ins Leben gegangen.“ Er trat zum Lager und suchte den Verzweifelten aufzurichten.

Mit den Fäusten stieß ihn Kaganhart von sich. „Du! Du bist schuld an allem! Hättest Du uns nicht hergezerrt in Dein Bluthaus, so thät’ sie noch leben! Du! Du bist schuld an allem ...“

„Hör’, Bauer,“ unterbrach ihn Wicho zornig, „das ist übler Dank ...“

Sigenot schob den Unwilligen beiseite. „Laß’ ihn schelten, ich kann ihm nicht unrecht geben. Ich hab’ sein Weib unter mein Dach und in meinen Schutz gerufen – schau’ her ...“ er deutete auf Hilmtrud, „so viel ist mein Schutz noch wert!“ Die Stimme schlug ihm um, und seine Augen wurden feucht. „So will ich keinen mehr halten bei mir ... ein jeder von Euch kann gehen, wie er mag. Ich halt’ Euch Treu’, aber keiner braucht sie mir zu bieten!“ Einen Blick noch warf er auf das sterbende Weib und verließ die Kammer.

Draußen stand er im strömenden Regen, und der kalte Wind wehte ihm die triefenden Haarsträhne in das bleiche Gesicht. Seine Augen suchten den Falkenstein und Wazes Haus. „Recka! Recka!“ schrie es in seiner Seele, „in derselbigen Stund’, in der ich Dich gehalten hab’ an meinem Herzen, hat meine Not begonnen! Wie das Laub von einem kranken Baum, so ist die Kraft von mir gefallen. Hätt’ ich nicht allweil’ denken müssen an Dich ... es wär’ Deinem Bruder Henning nimmer Zeit geblieben, den Knecht in meiner Schwester Weg zu schicken, Dein Vater Waze hätt’ nimmer die Stund’ erlebt, in der das arme Weib verbluten muß! Ich hab’s ja gewußt: ich soll keine frohe Stund’ nimmer haben im Leben, seit ich untreu worden bin an meinem eigenen Blut!“ Er strich mit dem Arm über die Stirne und trat ins Haus. In der Halle saß der Kohlmann auf dem Herdrand zu Mutter Mahtilts Füßen. Mit steinernen Zügen ruhte sie in ihrem Sessel und hob nur die Augen, als Sigenot in der Thür erschien. Er ging auf die Mutter zu und legte den Arm um ihre Schulter.

„Wie geht’s ihr?“ fragte Eigel.

„Schlecht.“

„Und nimmer Hilf’?“

Sigenot schüttelte den Kopf. Da klang das schrille Lachen seiner Mutter, und zu ihm aufblickend, streckte sie die zitternde Hand und deutete durch das Fenster nach dem Kreuz. Sigenot wandte sich ab und drückte den Arm über die Augen.

„Fischer!“ Der Kohlmann sprang auf, ein Scheit in der Hand. „Du, der einzige Mann im Gadem – laß nur Du den Mut nicht sinken! Halt’ fest an Dir selber! Und sag’, was soll geschehen jetzt?“

„Frag’ die andern ... es geht nicht um mich allein!“

Das zornige Lachen des Kohlmanns hallte zwischen den Wänden. „Ging’s nach meinem Willen, ich wüßt’ schon, was ich thät’! Ich möcht’ die Händ’ eintauchen in der Hilmtrud Blut und umlaufen im Gadem ... und einem jeden möcht’ ich die blutigen Finger hinstrecken vor die Nas’ und schreien: jetzt riech’, Bauer ... Blutschmack hat die Supp’, die Ihr gekocht habt auf dem Totenmann!“ Er warf das Scheit in das Herdfeuer und verließ die Stube. Als er Wichos Kammer erreichte, sah er die Leute um das Lager gedrängt und hörte Kaganharts Stimme: „Schauet nur, sie thut die Augen auf!“

„So lupf’ ihr doch den Kopf,“ stammelte Heilwig, „siehst denn nicht ... sie möcht’ in die Höh’.“

„Ja, Trudli, ja, komm nur, komm, ich thu’ Dich heben!“ Kaganhart schob den Arm unter das schwere Haupt seines Weibes.

Seufzend richtete Hilmtrud sich auf und fuhr mit den Fingern über das Gesicht, als hingen ihr Haare in die Augen, die Blicke waren verschwommen, nur langsam schien sie die Leute vor ihrem Lager zu erkennen, zuletzt ihren Mann. Eine Weile hingen ihre Augen an ihm, dann rührten sich flüsternd die bleichen Lippen: „Hartli? ... Bin ich allein hin? ... Oder hat er auch seinen Treff?“

„Freilich, freilich!“ schluchzte der Bauer, der mit dieser Lüge seinem Weib eine Wohlthat zu erweisen meinte.

Tief atmete Hilmtrud, und ein mattes Lächeln huschte um ihre Lippen. Sie schloß die Augen, als wäre sie müde und möchte schlafen nach schwerer Arbeit. Schwerfällig winkte sie mit der Hand. „Leut’ ... geht hinaus!“ Sie thaten ihr den Willen; als sich die Kammer geleert hatte, rückte Hilmtrud ihre Wange an das zuckende Haupt des Bauern und streichelte ihm das nasse Haar. „Hartli ... ich hab’ Dich lieb gehabt!“

„Wohl wohl, Trudli ... schau’, ich Dich auch ... und fest!“

„Thust mir verzeihen?“

„Freilich, Trudli, freilich!“ Er weinte zu diesen Worten wie ein Kind. „All’ die unguten Reden, alle, die mir gegeben hast, alle ... hast es ja allweil’ gut gemeint!“

Sie schüttelte den Kopf. „Die mein’ ich nicht ... da sind wir allweil’ auf gleich gewesen. Ich mein’ ’was anderes ... unser Haus ... ich, Hartli, ich bin schuld ...“ Zitternde Schwäche befiel sie, und ein roter Tropfen sickerte von ihren Lippen.

Kaganhart hörte auf zu schluchzen und starrte in das Gesicht seines Weibes.

„Ich bin schuld ... ich hab’s ihm verraten, Hartli, von der Thingnacht ...“

„All’ Ihr guten Mächt’!“ Erschrocken schlug der Bauer die Hände ineinander. „Ja Weib, ja wie hast denn so ’was thun können!“ Er fuhr sich in die Haare. „Und ich hab’ schiech geredet wider ihn im Thing!“

„Drum hat er Feuer geworfen in unser Haus ... der Mordbrenner!“ Sie ballte die Fäuste.

„Ja Weib! Ja Weib!“ jammerte der Bauer. „Unser Haus! Ja wie hast denn so ’was thun können!“

„Er hat mich auf der Straß’ gestellt ...“

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