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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Ein Brief.

Novelle von A. Godin.

Gott befohlen, Mister Armstrong, und werden Sie uns nicht ganz abtrünnig dort unten in Ihrem Südkarolina!“ sagte eine elegante sehr hübsche Dame, indem sie dem vor ihr stehenden Herrn des Hauses, dem amerikanischen Handelsherrn Gerhard Armstrong, noch einmal die Hand drückte. „Wir wollen Ihre Frau indessen nach Möglichkeit zerstreuen, sie soll auf der Insel eine gute Nachbarin an mir haben – wenn es ihr genehm ist!“

Ihr rascher Seitenblick begegnete halb zugedrückten Augen, die keine Antwort gaben. Die junge Hausfrau war, als der Besuch sich erhoben hatte, neben ihrem Sessel stehen geblieben und entgegnete erst nach merklichem Zögern mit wohlklingender, etwas nachlässiger Stimme in gutem, wenngleich etwas fremd betontem Englisch: „Wie sollten Sie Zeit finden, Frau Anny!“

„Ein Korb!“ Das Lachen der Dame klang nicht ganz frei.

„Meine Frau weiß vielleicht besser, daß die Gesellschaft eine ihrer Zierden auch nicht für eine Stunde entbehren kann, als Sie wissen, welcher unverbesserlichen Hausschnecke Sie Zerstreuung anbieten,“ fiel Armstrong ein, indem er der schönen Frau das Geleite gab. Diese neigte ihren Kopf etwas spöttisch zum Gruße, streifte gleichgültig die im Hintergrunde des Empfangzimmers stehende Gestalt eines jungen Mannes, dessen Verbeugung sie nur mit einer flüchtigen Bewegung berücksichtigte, und durchschritt in stolzer Haltung die große Halle, in welche die Räume des Erdgeschosses mündeten. Armstrong unterhielt sie mit vollendeter Artigkeit, während er sie über die von außen in das Haus führende Treppe und durch den Garten begleitete, vor dessen Pforte ihr Wagen hielt.

Die beiden im Zimmer Zurückgebliebenen hatten inzwischen auch Worte getauscht. Der junge Mann verließ seinen zurückgezogenen Standpunkt und nahm der Hausfrau gegenüber an dem kleinen Sofatische Platz, mit der Sicherheit eines Menschen, der sich zu Hause fühlt, ohne doch von dem Rechte zur Vertraulichkeit Gebrauch machen zu wollen. Er mochte das dreißigste Jahr noch nicht erreicht haben, die leichten Bewegungen seiner schlanken Gestalt waren ebenso jugendlich wie das feine Kolorit des lebenskräftigen Gesichtes, dessen Züge geistige Reife, nicht ohne Selbstbewußtsein, verrieten. Vielleicht spielte etwas von dieser Ueberlegenheit in dem Lächeln, womit er nun sagte: „Frau Anny scheint nicht in Gnaden bei Ihnen zu stehen, Frau Armstrong?“

Er sprach deutsch, und deutsch war auch die kurze Antwort, die er erhielt: „Nein!“

„Und weshalb nicht, wenn man fragen darf?“

Sie hob leicht die Schultern, griff nach einer Stickerei, die während des Besuches weggelegt worden war, und begann zu arbeiten, ohne das Gespräch fortzusetzen. Ihr Gegenüber folgte zerstreut den Bewegungen ihrer wohlgebildeten Hände. Die feinen geschickten Finger, die Grübchen der kinderhaft weichen Hand paßten gut zu Johanna Armstrongs Erscheinung, obgleich sie kaum eine schöne Frau genannt werden konnte. Ueber den keineswegs regelmäßigen Zügen lag ein Hauch von Unberührtheit, der merkwürdig anziehend war. Ihr dichtes kastanienbraunes Haar wuchs tief in die Stirn herab und stimmte hübsch zu den dunkelblauen ruhigen Augen. Alle Bewegungen ihrer etwas vollen Gestalt waren weich und langsam; nicht gerade Lässigkeit, doch leise Gebundenheit sprach sich darin aus.

Armstrong kehrte zurück, ehe das Schweigen der beiden wieder gebrochen war. Zugleich mit ihm erschien der Diener mit der Meldung, daß das Essen bereit stehe. Der Hausher bot seiner Frau den Arm und winkte dem Gaste freundschaftlich zu. Wenige Augenblicke später saß die kleine Gesellschaft in dem gediegen ausgestatteten Speisezimmer um den nach amerikanischem Brauch gedeckten, reich mit Silbergerät besetzten Tisch.

„Schade!“ war Armstrongs erstes Wort.

„Um die verlorene Stunde, meinst Du?“ entgegnete Johanna. „Wir hätten heut’ unsere Thüre schließen müssen. Nur der eine Abend noch! Und davon ein ganzes Stück an diese Frau verlieren – wie unlieb!“

„Du hast es merken lassen, Hanna – fast zu sehr!“ sagte ihr Mann mit seinem ruhigen Lächeln.

„Was ich nicht bedauere –“

„Ein Gast!“ warf Armstrong hin, doch ohne Tadel im Ton.

„Ein ungeladener! Welcher Gedanke, daß ich mich in Deiner Abwesenheit von ihr sollte bemuttern lassen – von einer geschiedenen Frau!“

„So streng?“ sagte der Tischgast mit lachendem Blick auf Johannas entrüstetes Gesicht. „Ist die Dame so schlimm? Ich sah sie heut’ zum erstenmal.“

„Nicht so schlimm,“ antwortete Armstrong statt seiner Frau. „Daß Sie ihr noch nicht begegneten, Mister Ruhdorf, erklärt sich nur durch Ihr eingezogenes Leben. Man trifft sie so ziemlich überall. Wenn ich sie mir auch nicht gerade zur nächsten Gesellschafterin meiner Frau wählen würde, liegt doch nichts vor, was sie zu loserem Verkehr ungeeignet machte. Sie ist nicht weniger und nicht mehr als eine Weltdame, deren Gedanken sich ausschließlich um Aeußerlichkeiten drehen. Daß sie von ihrem Manne geschieden ist, darf ihr kaum angerechnet werden, die beiden paßten durchaus nicht zusammen, warum also einander plagen bis zum Ende der Dinge, bei kinderloser Ehe? Wenn ein paar Menschen sich im Zusammenleben gegenseitig weder besser noch glücklicher machen, thun sie wohl daran, auseinander zu gehen.“

„Denkst Du so über die Ehe?“ rief Johanna, lebhaft errötend. „Das ist mir neu.“

„Finden Sie diese Ansicht Herrn Armstrongs etwa falsch?“ fragte Ernst Ruhdorf erstaunt.

Die Wangen der jungen Frau färbten sich noch tiefer. „Thun Sie das nicht, Herr Ruhdorf? Doch ich vergaß, Sie sind Junggeselle, da urteilt man über beschworene Treue, ohne sie zu kennen.“

„Nun, nun,“ meinte der Hausherr, „ein Bräutigam ist nur noch halb ein Junggeselle und dürfte über Ehebande doch schon ein wenig nachgedacht haben. Uebrigens wundert mich Dein Mißfallen, Hanna. Du kennst meine Ansichten doch zur Genüge, während der sechs Jahre unseres Beisammenseins ist das Thema nicht so selten zu Worte gekommen, und ich denke, wir stimmen überein. Sobald es Treue gilt, handelt es sich in jedem Verhältnis der Menschen zueinander um das Wichtigste, Unentbehrlichste, und die gewissenlose Frivolität, womit das allzuoft mißachtet wird, gehört entschieden zu dem, was ich als die Sünde wider den heiligen Geist verstehe.“

„Also!“ warf Johanna ein; „Du widersprichst Dir!“

„Kein Widerspruch! Im erwähnten Fall handelte es sich nach meinen Begriffen um keine wirkliche Ehe, ich nehme also nichts zurück. Muß ich aber sehen und hören, wie Mütter ihre kleinen Kinder verlassen, Frauen und Männer ihr Heim, ihre Pflichten hinwerfen unter dem Vorwand, daß ihre Gefühle den Gegenstand gewechselt haben, so möchte ich nicht nur am Menschenwert dieser Leute, sondern ebenso an ihrem gesunden Menschenverstand zweifeln. Was immer aufgebaut wird, fordert feste Grundlage, und gerade die Ehe, das Gebäude, auf dem das Leben der einzelnen nicht nur, sondern ebenso das Gedeihen des staatlichen Lebens beruht, soll auf der schwankendsten aller Grundlagen stehen, auf Gefühlen, auf augenblicklichen Bedürfnissen des Herzens oder gar der Sinne? Unsinn! Höre ich manche heutigen Vertreterinnen des ‚Frauenrechts‘ von diesem Standpunkt aus über Sittlichkeit und Unsittlichkeit der Ehen deklamieren, weiß ich nie, ob ich lachen oder weinen soll; diesen Frauen, welche Mannesrechte für sich vom Staate fordern, fällt es gar nicht ein, den großen Widerspruch zu begreifen, dem sie verfallen, wenn sie sich in demselben Atem für berechtigt erklären, ihre unmittelbarste Pflicht als Staatsbürgerinnen: die Hut der Familie, ohne weiteres fortzuwerfen, weil ihre Liebe für den einen Mann verflogen ist.“

Er hatte das alles mit starkem Nachdruck gesprochen, sein groß geschnittenes männliches Gesicht war belebt, ohne daß er in Eifer geriet. Nun, bei einer Bewegung seiner Frau, hielt er inne und sah sie mit den hellen festen Augen erwartend an. Johanna war offenbar im Begriff, etwas zu äußern, wechselte aber nur die Farbe und schwieg, mit unwillkürlichem Blick auf Ruhdorf, als hielte dessen Gegenwart sie ab, frei zu sprechen.

Vielleicht spürte dieser, daß die junge Frau seinetwegen nicht mit der Sprache berauswolle, dachte sich in die von ihr unterdrückten Einwendungen hinein oder fühlte sich selbst zum Widerspruche gereizt. Mit der vollen Lebhaftigkeit, die dann und wann das absichtliche Zurückhalten seines Naturells durchbrach, sagte er

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 403. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_403.jpg&oldid=- (Version vom 19.6.2023)