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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


Die Martinsklause.

Roman aus dem 12. Jahrhundert.
Von Ludwig Ganghofer.
(23. Fortsetzung.)


Eberwein ging, sich für den Weg nach der Ramsau zu rüsten. Starr blickte ihm Schweiker nach und murmelte: „Wenn er sich nur wieder verirren thät’ ... nur daß ich ihn suchen und finden könnt’!“ Er strich mit den Händen über Haar und Bart und schleuderte das Wasser von den Fingern, dann hob er die Axt, doch ohne zu schlagen ließ er sie wieder sinken, träumte mit aufgerissenen Augen vor sich hin und stammelte: „So ein Teufelsbraten, wie ich einer bin! So ein schlechter Kerl!“ Wie in Grausen vor sich selber spuckte er aus, packte das Beil und drosch auf einen Baumblock los, daß die Späne flogen. Was er dabei zuwege bringen wollte, das wußte er nicht ... er schlug und schlug, bis der ganze Block in Splitter ging. Dann warf er das Beil zu Boden, blies die Backen auf, hob vier der schweren Fensterläden auf seine Schulter und trug sie dem Kirchlein zu.

Vor der Klause trat ihm Bruder Wampo entgegen, hustend und die Augen reibend; der Herdrauch hatte ihn aus der Stube hinausgebissen. „Bruder, Bruder,“ jammerte er, „die schieche Zeit hebt an! Heraußen gießt es, als käm’ die Sündflut, und drinnen raucht es, als hätt’ die Höll’ sich aufgethan! Da soll man kochen! Und was! Wassersterz mit Bohnenmus! Und zwei Tag’ noch, so hat das auch ein End’! Der Mehlsack schlottert, und das Bohnensäcklein hat den Schwund!“

„Laß mich in Ruh’!“ murrte Schweiker. „Hast ja Fisch’!“

„Fisch’, Fisch’!“ Bruder Wampo verdrehte die vom Herdrauch brennenden Augen. „All’ Tag’ dreimal Fisch’ ... da kriegt einer auf die Läng’ auch genug dran! Käm’ nur bald die gute Hinzula wieder mit ihrem Himmelsbrot ...“

„Schweig’ mir von der Dirn’!“ fuhr Schweiker auf, daß der andere erschrocken vor ihm zurückwich. Die Fensterläden wackelten auf seiner Schulter, während er mit speerlangen Schritten die Thüre des Kirchleins suchte; ein Zittern war ihm in die Arme gekommen, und dicke Tropfen kollerten ihm über die Backen. Das war kein Regenwasser. Als er die Kirche betrat, blickte er scheu an dem stillen Kreuzbild empor und stellte schwer atmend die Läden nieder. In unruhiger Hast begann er zu arbeiten und befestigte an der Balkenmauer die hölzernen Schienen, zwischen denen die Läden laufen sollten. Da verdunkelte sich die Thüre, und aufblickend sah Schweiker auf der Schwelle einen jungen Bauer stehen, dem eine triefende Lodenkotze von den Schultern niederhing. Es war der Hanetzer.

„Was willst Du?“

Neugierig umherspähend trat der Bauer in die Kirche und lachte. „Ich muß mir die Leut’ doch auch ein lützel anschauen, für die der Richtmann heimlichen Weg geht und rote Arbeit macht.“

Schweiker hörte nur das rohe Gelächter, und seine Stirn wurde rot. „Hier ist kein Ort zum Lachen, hier ist ...“ Da sah er, daß der Hanetzer die Lammfellkappe auf dem Kopfe trug. Mit einem Sprunge stand er vor dem Bauer und hob in aufwallendem Zorn den Arm. „Du Schuft! Trittst Du so in Gottes Haus? Ich will Dir Ehrfurcht weisen!“ Und auf des Hanetzers Backe klatschte eine Ohrfeige, so ausgiebig und gewichtig, daß ihr Hall das Kirchlein füllte und der Bauer an die Mauer taumelte. „Das wirst Dir merken für ein andermal!“ sagte Schweiker und atmete auf, als hätte sich all die drückende Gewitterschwüle, welche sein Inneres erfüllte, mit diesem Schlag entladen.

Während der Hanetzer seine fünf locker gewordenen Sinne wieder zusammensuchte, die Lammfellmütze von der Erde raffte und mit heiserem Fluch aus dem Kirchlein wich, klang hinter dem Bruder, der das Hochgefühl seiner guten That genoß, eine bebende Stimme: „Schweiker! Schweiker!“ Eberwein stand vor ihm, in der einen Hand das Grießbeil, in der anderen den schwarzen breitgeränderten Filzhut, wegfertig für die Wanderung nach der Ramsau. Vor dem Blick seines Herrn überkam den Bruder jählings ein Gefühl, als wäre seine That doch nicht so gut und fromm gewesen, wie er meinte.

„Schweiker! Schweiker! Glaubst Du, dieser eine wird wiederkommen, wenn Du die Glocke ziehst und ihn rufst um der Liebe Gottes willen?“

Schweiker verfärbte sich und stotterte. „Mit der Kapp’ ist er eingetreten in den heiligen Raum ... der Unchrist!“

„So? Den Splitter in Deines Bruders Aug’ erkennst Du, aber nicht den Balken in Deinem eigenen Aug’? Hast nicht Du den heiligen Raum noch mehr entweiht? Hat Christus Dich gelehrt, mit Schlägen für sein Reich zu werben? Sagte er in seiner Liebe: Wenn Dein Bruder gefehlt hat, so zürne ihm und schlage nach seiner Wange?“

In Zerknirschung schüttelte Schweiker den dicken Kopf und stammelte: „Nein, Herr! Ich mein’, er hat gesagt: ‚Haut Dich einer hinter’s rechte Ohr, so ...“ Weiter kam er nicht mit diesem Bibelspruch, für den er seine eigene Fassung hatte. Ein Gedanke war ihm in seine langsamen Sinne gefahren, er schoß zur Thür hinaus, und als er den Hanetzer nahe dem Waldsaum erblickte, rannte er ihm mit langen Sprüngen nach. „He, Du! Halt ein lützel!“

Der Hanetzer blickte sich um, und da er den rennenden Mönch gewahrte und von des Bruders schwieliger Hand eine neue Belehrung fürchten mochte, fing er zu laufen an, was ihn seine Füße trugen. Für Schweikers lange Beine aber war der Bauer, der den Tatzenschlag des Bären noch spürte, nicht flink genug. Unter den triefenden Bäumen haschte ihn der Bruder bei der Lodenkotze. Schreiend suchte der Hanetzer sich loszureißen, doch Schweiker hielt fest und keuchte. „Verzeih’ mir, guter Mann, um Christi willen ... und thu’ mir aus Nächstenlieb’ nur grad’ den einzigen Gesallen und gieb mir die Tachtel wieder heim! Hau’ zu, ich wehr’ mich nicht!“ Der Bauer riß Mund und Augen auf; aber Schweiker bat so rührend um die Heimzahlung, daß der Hanetzer auf die Dauer nicht widerstehen konnte; er trat einen Schritt zurück, strich mit den Fingern der rechten Hand über die nasse Lippe und zog aus ... Lachend empfing der Bruder den klatschenden Schlag, nickte dem Bauer dankbar und freundlich zu und rannte nach dem Kirchlein; kopfschüttelnd blickte ihm der Hanetzer nach. „Einen solchen Narren hab’ ich doch all meiner Lebtag’ nicht gesehen! Könnt’ aus mir ein Mus machen mit seinen Fäusten ... und laßt sich hauen!“

Als Schweiker das Kirchlein erreichte, sah er Eberwein auf der Altarstufe sitzen. „Herr, jetzt hab’ ich sie wieder ... er hat sie mir heimgezahlt!“ Es hätte wohl dieser Meldung nicht bedurft, denn deutlich sah man auf Schweikers Wange die fünf Finger des Hanetzers abgezeichnet. „Das ist eine gewesen aus einer gesunden Mutter Hand ... aber ich fürcht’ halt doch, die meinige hat fester gewogen!“

Eberwein mußte lächeln und es war ihm anzusehen, daß ihm bei aller Sorge, die ihn drückte, der Anblick dieses ungeschlachten Menschen wohlthat wie ein warmer Sonnenblick bei trübem Wetter. „Das nenn’ ich flinke Sühne! Ein andermal aber denke der Güte und Duldung, bevor Du schlägst.“

„Wohl wohl, Herr! Aber es giebt halt Menschen, weißt ... da steigt einem die Gall’ auf, man weiß nicht wie!“

„Gegen die Guten gut sein, das ist ja kein Verdienst, mein lieber Bruder.“

„Freilich, freilich. Aber gegen die Schiechen freundlich sein ... das muß halt einer können! Du, freilich, Du kannst es ... bist doch auch gut zu mir, und ich bin doch so ein grauslicher Kerl! Du hast es halt gelernt, das Gutsein!“

„Gelernt? Meinst Du?“ Ein wehmütiges Lächeln glitt um Eberweins Lippen. „Ich will Dir sagen, in welcher Schule. Komm!“ Er faßte Schweikers Hand und zog ihn an seine Seite. Der Regen prasselte auf dem Dach des Kirchleins, und rings um die Balkenmauern plätscherte die Traufe; fuhr ein Windstoß gegen die Wände, so trieb er durch die Fensterluken den Wasserstaub herein und wehte ihn über die beiden, welche dem Altar zu Füßen saßen.

„Nicht wahr, das weißt Du, daß ich nicht Vater noch Mutter habe?“

Schweiker nickte. „Meine Mutter ist eine Alberin gewesen, aber Vater hab’ ich auch keinen. Wird halt ein Senn gewesen sein oder ein Jägerknecht ... ich weiß nicht. Die mich ins Kloster genommen, die haben mir nie geredet davon.“

„Erst wenige Tage war ich alt, als der Fischer vom Eibinsee mich fand, weit von hier, auf der Romstraße bei der Partenkirche,

mitten im Wald. In der Grafenburg auf dem Wertofels, unter

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