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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Kaffee kochen konnten, was denn auch durch ein geschriebenes Plakat an der Ortstafel angezeigt war. Dem Vergnügen der Gäste boten sich eine zwischen zwei alten Kiefern aufgehängte Strickschaukel und ein Ringspiel nicht weit von dem einstöckigen, mit einer Einfahrt versehenen Hause. Tische und Bänke unter den Bäumen waren aufs einfachste durch vier in den Boden geschlagene Pfähle und ein darüber genageltes Brett hergestellt. Wer idyllische Zustände liebte, fand sie hier vollauf.

Rentier Schöneberg pflegte von sich selbst zu sagen: „Ich bin nun einmal so ein Mensch.“ Sein Vater war Bauer in einem später zur Stadt gezogenen Vorort gewesen und hatte vorteilhaft verkauft. Noch lange nicht so vorteilhaft freilich als zehn Jahre darauf mancher Nachbar, aber er konnte seinen Kindern doch ein recht hübsches Vermögen hinterlassen. Sein ältester Sohn hatte keine besondere Schulbildung genossen, ein Handwerk gelernt, eine kleine Fabrik begründet und ein wohlhabendes Mädchen seines Standes geheiratet, sich dann nach der Erbschaft früh zur Ruhe gesetzt, ein Haus gekauft und fortan recht anständig von seinen Zinsen und Mieten gelebt. Er that sich auf seine vernünftigen Lebensanschauungen etwas zu gute und konnte wirklich als das Muster eines wohlsituierten Bürgers gelten, den nicht der Ehrgeiz plagte, über seine Verhältnisse zu gehen, während er anderseits seine Wohnung hübsch eingerichtet hatte, sein Gärtchen pflegte, den Kegelklub nicht versäumte, auch nach dem eigenen, nicht anspruchsvollen Geschmack Theater und Konzerte besuchte und mitunter auch Vergnüglichkeiten mitmachte, bei denen es „auf die Kosten nicht ankommen“ durfte. Was ihm eine unbequeme Verpflichtung auflegte, schob er von sich ab, und er wählte danach auch seinen Umgangskreis. Er mußte „sich gehen lassen“ können, wollte „nicht geniert sein“. Die Frau paßte gut zu ihm, nur daß sie einen kleinen Stich ins Vornehmere hatte und auf würdige Repräsentation achtete. Man sollte doch jederzeit wissen, mit wem man’s zu thun hätte. Martha war das einzige Kind, jetzt eben siebzehn Jahre alt geworden, bis zur Einsegnung im vorigen Sommer in einer höheren Mädchenschule unterrichtet, deren zweite Klasse sie aber nur erreicht hatte. Selbstverständlich erhielt sie auch Musikstunden und klimperte ganz geläufig einige Tänze; ein Journal-Lesezirkel wurde für sie gehalten, dessen illustrierte Zeitschriften wenigstens sich auch der Beachtung der Eltern erfreuten. Die Mama hielt darauf, daß Martha auch in der Wirtschaft half und sich auf ihren Beruf als Hausfrau vorbereitete. Sie sollte, wenn auch den Anforderungen der Neuzeit entsprechend, so „solide“ erzogen werden, daß sich ein „gebildeter solider Mann“ zu ihr finden könnte, der nicht nach einer Modepuppe verlangte und durch sich selbst etwas hätte und wäre. Das stand freilich für ihre Gedanken noch in ziemlich weiter Ferne. Man hatte bisher mit dem Kinde noch nicht einmal einen richtigen Ball besucht; das sollte nächsten Winter kommen. Schönebergs Liebhaberei war, kleine „gemütliche“ Landpartien zu veranstalten. Mit seiner sonst trockenen Sinnesweise vertrug sich’s ganz gut, daß er gern grüne Bäume, Felder und Wiesen sah – das mochte ihm so angeboren sein – und am liebsten ein stilles Plätzchen im Walde oder am Wasser aufsuchte, wo man sich behaglich einrichten konnte. Kündigte sich so eins in den Zeitungen an, so gehörte er gewöhnlich zu den ersten, die den Versuch wagten. Hermann Opitz, der jüngere Bruder seiner Frau, mußte stets mit von der Partie sein, schon damit er jemand zu necken und zu hänseln hätte, der’s ihm nicht übelnahm. Nur war dieser an den Wochentagen von seinem Agenturgeschäft schwer abkömmlich. Anch andere gute Bekannte wurden zugezogen. Zu ihnen gehörten seit etwa einem halben Jahre die Modistin Ida Döbler, eine junge Witwe, die im Schönebergschen Hause den einen Laden gemietet hatte, und deren Mutter, die Frau Steueramtssekretär Streckebein, welche die dazu gehörige Wohnung mit ihr teilte, die Wirtschaft führte und das kleine Lieschen beaufsichtigte, liebe bescheidene Menschen, mit denen sich’s bequem verkehren ließ. Leider waren auch sie immer viel beschäftigt. Heute, an einem Donnerstag, hatten sie sich nur ausnahmsweise freigemacht, weil Lieschens Geburtstag gefeiert werden sollte.

Der hinterste Wagensitz war für allerhand Gepäck bestimmt worden. Trotz des schönen Wetters hatte Frau Streckebein darauf gedrungen, daß Mäntel, Tücher und Regenschirme mitgenommen würden. Man könnte doch nicht wissen! Nun beim Aussteigen wollte Schöneberg sie auf dem Wagen lassen. Aber die alte Dame stellte nachdrücklich vor, das wäre doch sehr leichtsinnig gehandelt. Man behielte ja das Fuhrwerk hinter dem Hause nicht unter den Augen, und auf den Kutscher sei kein Verlaß, wenn er erst in die Wirtsstube gegangen sei. Die Sachen wurden deshalb abgeladen und in den Garten mitgenommen. Nachdem man einen Tisch aufgefunden hatte, der für die Gesellschaft ausreichte, fanden sie ihren Platz auf dem benachbarten Gestell und wurden von der Frau Sekretär wohl geordnet. Ihren Kober mit Eßwaren ließ sie nicht von der Hand. Frau Schöneberg nahm aus dem unter dem Sitz stehenden Korbe nur ein Päckchen mit Kuchen und das Säckchen mit gemahlenem Kaffee. „Die Wirtin erschrickt sonst,“ meinte sie, „wenn wir gleich alles auspacken.“

Sie begab sich dann ins Haus und in die Küche, um ihre Anordnungen zu treffen. Man hatte auf den Kaffee ziemlich lange zu warten, was aber nur den Appetit steigerte. Dann erschien er in einer großen braunen Kanne, die von der Frau Wirtin nebst dem erforderlichen Geschirr eigenhändig herangetragen wurde. Sie hatte zu Ehren der Gäste eiligst noch eine reine Schürze vorgebunden und ein buntes Tüchelchen umgesteckt.

Indessen hatte man sich’s in Erwartung der Dinge, die da kommen sollten, an dem langen Tisch so bequem gemacht, als die harten Holzbänke ohne Lehne es erlaubten. Schöneberg gehörte zu den Menschen, die sich, wenn ihnen einmal der Wille geschehen ist, in einen Zustand von glücklichem Behagen hineinzureden vermögen. Opitz saß der wirklich sehr hübschen jungen Witwe gegenüber und konnte ihr nun in die Augen sehen, ohne sich den Körper verrenken zu dürfen, und Frau Sekretär Streckebein ruhte von ihren Anstrengungen aus und sammelte neuen Stoff zu Besorgnissen. Auf zwei Teller, die Frau Schöneberg vorsorglich selbst aus der Küche mitgebracht hatte, wurden die Kuchen abgeladen. Das kleine Lieschen, zu Ehren des Geburtstages in einem weißen Kleidchen mit breiter Schärpe von rosa Seide, durfte von jedem Teller ein „Schmeckstückchen“ wählen und noch ein zweites Mal zugreifen.

„Nein, aber ist das ein Wetterchen!“ rief Schöneberg.

„Unberufen, Herr Schöneberg, unberufen!“ fiel die Frau Sekretär eifrig ein.

„Na! Oben das reinste Azur-Ultramarin-Blau.“

„Man kann nie wissen. Hier im Walde sieht man nicht den Horizont.“

„Das ist ja gerade das beste dran. Nichts als grüne Bäume rundum und oben blauer Himmel. Es wird einem ganz grün und blau vor Augen.“

„Und ums Herz,“ setzte Frau Ida mit einem leisen Anflug von Schwärmerei hinzu. „Wenn man so heraus ist ‚aus der Straßen quetschender Enge‘, wie unser Schiller so schön sagt –“

„Ja,“ bestätigte Opitz, „obgleich es eigentlich nicht auf Berlin paßt.“

„Man hat ein bißchen Natur um sich und fühlt sich wieder als ein Mensch. Es ist eine rechte Verrücktheit, daß man sich so ein Vergnügen nicht öfter gönnt.“

„Ja, Du kannst gut reden,“ neckte sein Schwager. „So ein Rentier, der bloß Coupons abzuschneiden hat! Aber wir im Geschäft . . . was, Frau Ida? Aber die Partie ist gelungen.“

„Na, na, nicht den Tag vor dem Abend loben,“ mahnte die Frau Sekretär. „Als wir fuhren, lag unten ein breiter Dunststreifen. Und die Sonne stach so! Daraus entwickelt sich leicht etwas. Es ist doch gut, daß wir die Regenschirme mitgenommen haben.“

„Mama ist immer so vorsorglich,“ sagte Ida lachend.

„Lieber sich zehnmal unnütz schleppen als einmal naß werden.“

„Heute kommt nichts mehr,“ versicherte Frau Schöneberg. Sie handhabte die große Kanne mit viel Geschick und goß rundum wieder und wieder ein. „Darf ich um Ihre Tasse bitten, Frau Steueramtssekretär?“

Die alte Dame reichte sie ihr etwas zaghaft. „Aber auf den Grund verzichte ich, liebe Frau Schöneberg,“ lispelte sie. „So ein ländlicher Kaffee . . .“

„Er ist recht gut, finde ich,“ bemerkte Frau Rosine. ein wenig gekränkt. „Was man an seinen eigenen Bohnen hat, weiß man doch.“

„Ach, ach, ach!“ meckerte die Frau Sekretär. „Sie haben ja doch nicht am Herde gestanden. Was da wirklich in den Topf hineinkommt –“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 354. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_354.jpg&oldid=- (Version vom 27.11.2020)