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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

auf den greisen Priester zu, mit steinernem Antlitz und flammenden Augen, wie ein Dämon der Rache und des Zornes. „So lös’ ich von Dir das heilige Zeichen, das Du geschändet!“ rief er und riß das hölzerne Kreuzlein von der Brust des Greises. „Und höre Dein Gericht nach dem Gesetz der Kirche: Du bist dem Bann verfallen, verlustig Deines Amtes und Deiner priesterlichen Würde! Die Weihe sei getilgt von Deinem Haupt – was Du gebunden sei gelöst, was Du gesegnet, sei verflucht!“ Er wandte sich zu einem Weibe. „Hat er Dein Kind getauft? So hat er es der Hölle übergeben! Reiß es hinweg von ihm, sei Deinem Kinde eine Mutter, trag’ es in Gottes Haus und leg’ es auf den Altar ... ich will Dir helfen, will zum Himmel schreien, daß Gott Deines Kindes sich erbarme!“ Bleich und zitternd hob das Weib ihren Knaben an die Brust und taumelte in die Kirche, während Waldram den Arm eines Mannes faßte. „Vergab er Deine Sünden? Reichte er Deinen Lippen das Sakrament? Unseliger! Dein Herz ist schwer von Schuld, und Brot der Hölle hast Du genossen! Thue Buße, wirf Dich auf die Knie und bete, daß Gott Dir gnädig sei!“ Da folgte der Mann dem Weibe, das greise Paar noch streifend mit einem scheuen Blick.

Ein paar murrende Stimmen ließen sich hören, doch mit hallender Kraft übertönte sie die Rede des Mönches. „Folget mir, Ihr alle, die dieser falsche Hirte von Gott gewendet und der Hölle zugeführt. Kniet nieder und schreiet zum Himmel um Gnade! Oder es könnte geschehen, daß Gottes Langmut ein Ende nimmt und daß er im Zorne sein Fener wirft auf das entweihte Haus!“

„Es hat ja der Blitz schon in die Kirch’ geschlagen,“ kreischte eine Weiberstimme, „und hat das Kreuz geworfen und das Dach verbronnen!“ Und wieder lichtete sich der Kreis um Hiltischalk. Wie Keulenschläge fielen die Worte des Mönches, und das zehrende Feuer, das in seinem Herzen brannte und von seinen Lippen schlug, erfaßte diese zitternden Menschen. Hiltischalk und Hiltidin hatten aus den Lenten der Ramsau allzu gläubige Christen gemacht, als daß der Himmel und die Hölle, welche Waldram vor ihnen beschwor, ihre Gemüter nicht hätten erfüllen sollen mit scheuer Ehrfurcht und drückendem Bangen. Sie sahen den Himmel verschlossen und die Hölle offen und da streckten sie in Angst die Arme nach der Hilfe. Das kleine Kirchlein füllte sich, und es wurde einsam um das greise Paar, das verloren dastand in sprachlosem Jammer, um sich herstarrend wie in eine stürzende Welt.

(Fortsetzung folgt.)




Die Straußenfeder.


Jüngst trat unser Dienstmädchen in das Wohnzimmer, um Abschied zu nehmen, da es seinen Ausgangssonntag hatte. Ich blickte auf: das brave und fleißige Mädchen stand da in seinem schmucken Sonntagsstaate und den weißen Hut schmückte eine mächtige Straußenfeder! Ich mußte lächeln ... nicht über das Mädchen, denn warum soll sich eine junge fleißige Magd am Sonntag nicht schmücken? Nein, über die Straußenfeder – denn es fiel mir ein, welche Wandlungen sie im Laufe der Jahrhunderte durchgemacht hat. Einst hat sie das Haupt der Pharaonen geschmückt – aus alten ägyptischen Bildern tritt sie als echt königlicher Schmuck uns entgegen, als Zeichen fürstlicher Würde wurde sie Jahrhunderte hindurch Asiens Selbstherrschern vorangetragen, dann gab es eine Zeit, wo in Europa nur Edelfräulein und Ritter sich einen derartigen Federbusch erlauben konnten – und nun?

Man sieht sie überall: sie ist billig – und gewöhnlich geworden.

Wenn ich in meiner Jugend eine Straußenfeder ansah, so weckte ihr Anblick in mir gar lebhafte Vorstellungen. Sie berührte mich ähnlich wie ein Hirschgeweih an der mit Waffen geschmückten Wand eines Jagdschlosses – sie war mir eine Jagdtrophäe. Da tauchten vor meinen Augen die unendlichen Gefilde der sonnverbrannten Wüste auf und ein Trupp Beduinen, der auf flinken Rossen hinter dem mächtigen Vogel herstürmte, bis er in den Sand gestreckt war. Erbeutet waren in der That die Straußenfedern, mit denen sich unsere Eltern schmückten, auf mühevollen Wegen durch die Wüste waren sie nach den Häfen Afrikas gebracht. Heute ist das anders: es werden in Afrika wohl noch immer Strauße gejagt, aber in der freien Wüste sind sie äußerst selten geworden, und was heute die Damenhüte schmückt oder zu Fächern zusammengesetzt wird, das sind zumeist – gerupfte Federn, in derselben friedlichen Art gewonnen wie die Gänsefedern, die unsere Betten füllen.

Der Strauß ist kein so wilder Vogel; wird er gut behandelt, so gewöhnt er sich an den Menschen, und viele Negerstämme haben ihn seit lange zu zähmen gewußt. Afrikanische Wüstenreisende waren oft Zeugen des seltsamen Schauspiels, daß zahme Strauße den Karawanen folgten und mit dem Vieh zur Tränke oder auf die Weide getrieben wurden.

Aber die trägen Eingeborenen Afrikas schlugen aus dieser Eigenschaft des Vogels kein Kapital; ihre Straußenzucht blieb beschränkt, verschwindend klein, bedeutungslos für den Welthandel. Was der Strauß einbringen kann, darauf sind erst die Engländer gekommen oder haben es wenigstens zuerst der Welt praktisch bewiesen.

Man hat wohl schon früher in Aegypten und später in Algerien Versuche mit Straußenzucht gemacht, doch erlangten sie keine Bedeutung und verliefen meist im Sande. Sachverständig ist man dagegen im Kapland vorgegangen, wo man ja die Straußenbehandlung von den Wilden erlernen konnte. In den sechziger Jahren begannen dort Europäer Strauße zu halten, und die Statistik berichtet aus dem Jahre 1865, daß es damals in der Kapkolonie 80 Stück zahmer Strauße gegeben habe. Wie haben sich nun diese Vögel von Jahr zu Jahr vermehrt! Nach zehn Jahren, 1875, wurden bereits 32247 Stück gezählt, im Jahre 1885 nicht weniger als 152415 Stück, und im Jahre 1893 wurde der Bestand dieses größten Hausgeflügels in der Kapkolonie auf etwa 200000 Stück geschätzt.

Kein Wunder, daß die Kapkolonie die Welt mit dem prächtigen Gefieder überschwemmte! In dem Jahrzehnt von 1880 bis 1890 betrug die Ausfuhr an Straußenfedern über eine Million Kilo und stellte einen Wert von rund 150 Millionen Mark vor. Die Stranßenzucht wurde in der That zu einer Goldgrube. Aber in dem Maße, als sie wuchs, sank auch der Wert der Straußenfeder. Ausgesucht schöne Federn, sogenannte „Kapitalfedern“ aus den Flügeln des Vogels, werden noch heute mit Liebhaberpreisen bezahlt, wenn sie mindestens 34 bis 35 g wiegen, 10 cm breit und gegen 35 cm lang und rein weiß oder von sattschwarzer Farbe sind; aber der für den Welthandel maßgebende Durchschnittswert der Ware ist bedeutend zurückgegangen. Im Jahre 1860 wurde noch ein englisches Pfund (zu 453 g) mit 170 Mark bezahlt, 1870 konnten nur 61 Mark erzielt werden; der Preis stieg vorübergehend wieder auf 100 Mark, sank dann aber stetig, und seit 1888 beträgt er im Großhandel nur 20 Mark und darunter! In ähnlicher Weise ist der Wert des Vogels selbst zurückgegangen. Zu Anfang der Zucht im Kaplande kostete z. B. ein Brutpärchen bis 5000 Mark, 1888 nicht mehr als 800 bis 1000 Mark, gegenwärtig sind die Preise noch niedriger, und junge Vögel kann man schon für 20 bis 80 Mark erstehen.

Die Erfolge der Kapländer erregten den Neid anderer Völker und Kolonisten, deren Gebiete sich gleichfalls für Straußenzucht eigneten. Bei Buenos Aires und Montevideo, in Australien, auf Neu-Seeland und Mauritius wurde Straußenzucht ins Leben gerufen, so daß die Kapregierung sich schließlich veranlaßt sah, auf die Ausfuhr lebender Strauße einen hohen Zoll zu legen, 2000 Mark auf jeden Vogel und 100 Mark für je ein Ei. Das ist zweifelsohne der höchste Geflügel- und Eierzoll, den es jemals auf der weiten Erde gegeben hat.

Trotz dieser Abwehr wächst der Wettbewerb in verschiedenen Weltteilen und die schönen Straußenfedern werden wohl noch billiger werden, sehr zum Schaden der zahmen Strauße; denn die Züchter legen sich bereits die Frage vor, ob denn dieser große Vogel nur des Gefieders wegen gepflegt zu werden braucht. Das Straußenweibchen legt bekanntlich recht große Eier, von denen jedes im Durchschnitt 1,25 Kilogramm, also 2½ Pfund, wiegt. Die Eier geben wohlschmeckende Speisen, wenn man sie zu bereiten versteht. Das Eiweiß der Straußeneier ist nämlich im Vergleich zum Eigelb unverhältnismäßig stark entwickelt, man muß darum bei der Verwendung in der Küche etwas Eiweiß beiseite thun, dann erhält man aus dem Straußenei Eierspeisen, die denen aus dem Hühnerei gar nicht nachstehen. Die Straußenhenne ist außerdem ein guter Legevogel. In guten Gehegen Südafrikas legt sie jährlich 25 bis 30, manchmal sogar 45 bis 50 Eier. Die Menschen könnten natürlich alle diese Eier nicht aufessen, ein Teil müßte dem Vogel zum Brüten belassen werden; man hat aber berechnet, daß alsdann beim regelrechten Betriehe der Straußenzucht immer noch von jeder Henne eine Eiermasse zu gewinnen wäre, die 600 Hühnereiern entsprechen würde. Während wir aber die Schalen unserer Geflügeleier wegwerfen, hat beim Straußenei selbst diese noch einen nicht zu verachtenden Wert. Die Eingeborenen bereiten aus ihr Gefäße und auch unsere Industrie verarbeitet sie zu allerlei Schmucksachen; also würde ein Straußeneierhandel lohnen. Entfernungen bedeuten heutzutage gar nichts. Am Kap der Guten Hoffnung reift der Obstsegen, wenn wir Frühjahr haben, und seit einigen Jahren sendet die Kapkolonie viele Centner frischen Obstes um jene Zeit nach London; warum sollte man nicht auch frische Straußeneier nach London senden können? Dorthin müßten sie ja nicht verzollt werden!

Ja, man geht noch weiter. Das Fleisch des Straußes ist wohlschmeckend, viel besser als Kaninchenfleisch, es ist zwar nicht so zart wie das des Truthahns, aber dafür nahrhaft und kräftig, dem Rindfleisch ähnlich. Wer weiß, welche Vorzüge es noch zeigen würde, wenn man eine richtige Straußenmast einführte und die Wüstenrenner zu einer beschaulicheren Lebensart veranlaßte!

Es giebt natürlich Leute, die über solche Pläne lachen; das ist ein billiges Vergnügen, das sich auch viele bereitet haben, als in der Kapkolonie vor dreißig Jahren mit einem Dutzend Strauße die ersten Zuchtversuche angestellt wurden. Heute tummeln sich dort 200000 menschenfreundliche Straußenvögel und die Kapländer haben in den dreißig Jahren mit den Federn gegen 200 Millionen Mark verdient.

Ja, das „dunkle“ Afrika wird uns noch viele Ueberraschungen bringen, wenn auf seinen weiten Steppen und Wüsten europäischer Unternehmungsgeist sich breit machen wird! Wer weiß, ob nicht einmal unsere Söhne für deutsch-südwestafrikanische Straußenleberpasteten schwärmen werden? Ob dann auf seinen Damenhüten noch Straußenfedern prangen werden? Wer weiß es? Es kann wohl sein, daß dann der stolze Pharaonenschmuck nicht mehr wert ist – als die bunte Hahnenfeder! J.     




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