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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Stotternd in Schreck und Sorge umschlang ihn Hittischalk mit beiden Armen. Lauf, Hilti, lauf, bring’ Speis’ und Trank, daß wir den Müden laben! Schau’ nur, der gute Bruder ist völlig von Kräften!“

Die Greisin eilte ins Hans. Bei Hiltischalks letzten Worten hatte Waldram sich aufgerichtet. „Ohne Kraft ist nur, wen Gott nicht stärket!“ Er stand und hob die Arme. „Ich stehe auf Gottes geweihter Erde, und mir ist wohl!“

„Freilich, freilich, mein guter Bruder, freilich: wohl ums fromme Herz ... aber schau’, der schwache irdische Leib, das ist eine andere Sach’!“

„Rede nicht unnütz! Bist Du Hiltischalk, der Leutpriester in der Ramsau?“

„Wohl wohl, mein lieber Bruder, der bin ich. Und Du bist von den Gademer Brüdern einer? Gelt? Der gute Herr hat wohl selber nicht kommen können, so hat er wohl Dich geschickt, um mir die Ruh’ zu bringen ...“

„Mich hat die Sorge geführt. Eberwein, mein Herr und Propst, ist gestern mit dem Morgen ausgezogen und zur Nacht nicht heimgekehrt.“

„Nicht heimgekehrt!“ Erschrocken schlug Hiltischalk die Hände ineinander. „O Du allgütiger Gott im Himmel! Es wird ihm doch kein Unheil widerfahren sein?“

„Er war bei Dir?“

„Freilich, und meine Magd hat ihn hinausgeführt bis in die Schönau und hat das Sträußlein von ihm gebracht und das Birkenblatt und hat mir ausgerichtet, heut’ will er wiederkommen. Stund’ um Stund’ schon warten wir auf ihn mit Schmerzen ... denn wenn mir der liebe Bruder auch gleich das Birkenblatt geschickt hat und das Sträußlein für mein gutes Weib, so hätt’ ich halt doch gern ...“ Der Greis verstummte.

Wie vor einem Aussätzigen war der Mönch vor ihm zurückgewichen. „Dein Weib! Du sagst: Dein Weib, und es öffnet sich unter Deinen Füßen nicht die Hölle!“

„Aber mein lieber Bruder,“ stammelte Hiltischalk, „tausendmal thu’ ich Dich bitten: laß doch reden mit Dir in Ruh’!“ Seine Stimme dämpfte sich zu zitterndem Flehen. „Schau’ nur, da kommt meine gute Hilti ...“

Die Greisin kam aus dem Haus, achtsam ein Kännlein Milch in den Händen tragend; Mätzel folgte ihr mit Brot und Käse. „Nehmet, lieber Gast,“ sagte Hiltidiu, „und genießet der Gottesgäb’ ...“

„Lästere nicht den Himmel mit diesem Wort!“ klang Waldrams schrille Stimme. „Eh’ soll der Hunger mich töten, eh’ meine Lippe kostet, was solche Hand mir bietet. Des Teufels ist, was Du berührtest mit verfluchten Händen!“ Und mit zuckender Faust schlug Waldram die Kanne aus der Hand der Greisin. Bleich und zitternd stand Hiltischalk, zu Tod erschrocken sein Weib. Mätzel ließ die hölzerne Schüssel fallen, rannte kreischend aus dem Hof und durch das Thal hin klang ihr zeterndes Geschrei um Hilfe.

„Herr, Herr,“ keuchte der Greis, während seine Blässe mit dunkler Röte wechselte, „übel thust Du an meinem Weib!“ Er trat vor Hiltidiu hin und breitete schützend die Arme.

„Bangest Du um die Gesellin Deiner Sünde? Rufe zu ihrem Schutz die Hölle an, sie wird erscheinen, denn Jubel und Freude habt Ihr dem Teufel bereitet!“

„Herr, Herr,“ schrie Hiltischalk in wachsendem Zorne; doch die Greisin zog ihn an sich, drückte ihm die Hand auf die Lippen und sagte zu Waldram: „Redet nicht so böse Wort’! Blicket her auf unser weißes Haar und habet Ehrfurcht vor dem Alter!“

Unbewegt, mit einem Antlitz, in dessen Zügen der Zorn versteinert schien, stand der Mönch. „Ich kenne nur eine Ehrfurcht: die Ehre, die ich dem Himmel gebe, die Furcht vor Gott. Wider den Himmel habt Ihr gefrevelt, und Gottes Wohnhaus habt Ihr entweiht zur Stätte des Lasters! Es sandte mich der Herr, sein heiliges Haus zu reinigen und Gericht zu halten über Euch. Wollt Ihr der Hölle nicht ewig verfallen sein, verstoßen aus dem Schoß der Kirche, wollt Ihr nach schreiender Sünde noch Buße gewinnen, so zerreißet ohne Zögern den verruchten Bund, den der Teufel gesegnet! Löset Eure Hände! Tretet auseinander! Ihr sollt geschieden sein wie Tag und Nacht, und Meer und Berge sollen liegen zwischen Euren Herzen!“

Die flammende Kraft dieser Worte versagte auf das greise Paar die Wirkung nicht. Wohl lagen ihre Hände ineinander wie festgeschmiedet, doch zitternd standen sie, mit bleichen Gesichtern und starren Augen.

„Hört Ihr das Geheiß der Kirche nicht? Mit jedem Atemzug, den Ihr noch Seite an Seite schöpfet, mehrt Ihr Eure Sünde! Tretet auseinander! Löset Eure Hände! Verflucht ist jeder Blick, den Ihr Auge in Auge taucht!“

„Aber Bruder, Bruder!“ stammelte Hiltischalk und holte aus seiner Tasche mit schlotternder Hand das Birkenblatt hervor. „Lies doch, lies, welch eine Botschaft uns Dein Herr und Propst gesendet!“

Waldram las und wie in Entsetzen schleuderte er das Blatt von sich. „Er sandte Dir diese Worte? Er? Und er wußte, daß Du in Buhlschaft lebst?“

Hiltidiu schlug die Hände vor das Geacht, der Greis aber richtete sich auf, als wäre seinen Gliedern Kraft und Jugend wiedergekehrt. „Sag’ das Wort nicht wieder!“ klang seine bebende Stimme. „Ich und meine Hilti, wir leben in frommer gottesfürchtiger Eh’. Und was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden! Der mir die Wort’ geschickt hat, dem glaub’ ich mehr als Dir!“

„Er wußte um Deine Sünde und mißbrauchte das heilige Wort! Er hat gehandelt wider Eid und Pflicht, hat die Treue gebrochen, die er der Mutter Kirche zugeschworen ... und ich frage noch, weshalb er nicht heimgekehrt? Geh’ doch, geh’, suche die Tiefe, in die ihn Gott gestürzt zur Strafe seines Treubruchs!“

Hiltischalk drückte das thränenüberströmle Gesicht seines Weibes an die Brust und umschlang sie mit zitternden Armen. „Laß ihn reden, Hilti,“ sagte er schluchzend, „laß ihn reden! Wir zwei, wir können nimmer voneinander. Gewachsen sind wir und gestanden Seit’ an Seit’, zwei gute feste Bäum’. Die Aest’, die sind verflochten, daß keiner mehr die Blätter scheidet, und aneinander sind die Stämm’ gewachsen, daß zwischen ihnen nimmer Platz ist für den Beilhieb. Uns zwei, uns löset keiner mehr. Laß gut sein, Hilti, laß gut sein ... es giebt kein Beil, das solche Schneid’ hat!“ Zärtlich faßte er mit beiden Händen das Haupt der Greisin und küßte ihr weißes Haar.

Zögernd stand der Mönch, als wäre ihm ein menschliches Rühren in das starre Herz geschlichen; doch seine Hände griffen nach dem Kreuz an seinem Gürtel, und schrill hob sich seine Stimme: „Wagt sich die Hölle schon heran an mich? Weichet von mir, Ihr Geister der Verführung! Mit mir ist Gott!“ Er schwang das Kreuz gleich einem Schwerte und faßte den Arm des Greises. „Ihr wollt das Wort der Kirche nicht hören ... so leg’ ich zwischen Euch das Krenz ...“

Da stürzte Mätzel schreiend in den Hof; ihr folgte ein lärmender Haufe, Männer, Weiber und Kinder; sie umringten das greise Paar, drohende Blicke richteten sich auf den Mönch, die Weiber griffen uach Steinen, die Männer hoben die geballten Fäuste, und ihr Geschrei erfüllte den Kirchhof. Waldram wich zurück, doch wenige Schritte nur; brennende Röte flammte auf seinem Gesicht, und seine Augen glühten. „Wollt Ihr den Diener Gottes morden, verführt von diesem falschen Hirten? Schwinget die Steine doch! Lasset die Fäuste fallen auf mein Haupt ... Ihr seht, ich rühre keinen Arm zu meinem Schutz und fessele meine Hände!“ Das Kreuz umklammernd, streckte er die Hände, als wären sie gebunden, den Schreienden entgegen. Da wurden sie still, ließen die Fäuste sinken und die Steine fallen und starrten mit scheuen Augen auf den Mönch; man hörte nur noch das Rauschen der Ache und das Schluchzen der Magd, welche zu Hiltidius Füßen kauerte. Waldram richtete sich auf und hob das Kreuz. „Fühlt Ihr, daß ich ohne Waffen stärker bin als Ihr mit Euren Steinen und Fäusten? Kommt die Furcht Euch an vor jenem, der über den Wolken wohnt als meine Hilfe? Ein Hauch aus seinem Munde, und Ihr seid wie Blätter vor dem Winde, preisgegeben der Vernichtung! Doch Gott der Herr will Euer Elend nicht und Euren Untergang, er hat mich ausgesandt, um Euch zu retten. Höret mich, Ihr Armen und Betrogenen! Wenn Ihr nicht sinken wollt in ewiges Verderben, so löset Euch von diesem Manne, der als ein falscher Hirte unter Euch gestanden, ein Wolf in Eurer Herde!“

Alle Augen wandten sich auf Hiltischalk und einer der Männer stammelte: „So red’ doch, Bruder Hiltischalk, so red’ doch! Wie darfst Du denn so ’was sagen lassen wider Dich? Du, der alleweil’ zu uns gewesen ist wie ein Vater zu seinen Kindern!“

Lallend bewegte Hiltischalk die Zunge und blickte mit verstörten Augen um sich her.

„Sehet, wie Gott mit Stummheit seine Zunge schlägt und die Lüge erstickt auf seinen Lippen!“ Jähen Schrittes, daß die Weiber und Männer erschrocken vor ihm wichen, trat Waldram

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 347. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_347.jpg&oldid=- (Version vom 5.5.2022)