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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Jahre nach den zuletzt erzählten Ereignissen hingegangen waren. Die „Kajüten“ waren alle in musterhafter Ordnung, die überseeischen Seltenheiten hingen und standen an den Wänden umher. Hinten im Gärtchen, das Jan Grenboom sorgsam bestellt hatte, blühten Aurikeln und Maiglöckchen auf. Ein süßer frühlingstrunkener Hauch lag in der Luft.

Im „Achterdeck“ leuchtete die „büßende Magdalena“ verführerischer denn je; Sonnenstrahlen lagen auf ihrem rotgoldenen Haar, auf ihrer weißen Brust. Auf dem Fensterbrett hockte Dido mit mürrischer Miene und ballte eine kleine Faust, sowie jemand von der Straße ins Zimmer sah. Sie wurde alt und war meistens schlechter Laune – „wenn Frauenzimmer alt werden,“ philosophierte Kapitän Leupold zuweilen bei Didos Anblick, „dann taugen sie erst recht nichts!“ Heute besaß aber der Kapitän keine Lust, zu philosophieren. Nicht weniger schlecht gelaunt als Dido, saß er im „Achterdeck“ und warf, sowie Jan Grenboom sich blicken ließ, diesen zur Thür hinaus, bei ihm allemal ein Zeichen innerer Aufregung. Endlich gegen Mittag läutete es Sturm aus dem „Achterdeck“. Jan, der in der Küche Weinflaschen spülte, nahm sich kaum Zeit, die nassen Hände abzutrocknen, und humpelte hastig nach hinten.

„Wo steckst Du denn, alter Pottfisch? Dauert ja ’ne Ewigkeit, bis Du zu erscheinen geruhst!“

Der „Pottfisch“ blieb auf diese ungerechte Anklage die Antwort schuldig.

„Na, also! Die Uhr ist gleich elf – gegen halb Zwölf kann er da sein! Frühstück auftragen!“

„Frühstück?“

„Ja, Frühstück, Frühstück! Sind wir etwa plötzlich taub geworden? Den Xeres holst Du aus’m Keller, den alten Spanier, links hinten, Du weißt’s ja, und servierst auf dem chinesischen Porzellan – gegen halb Zwölf kann er da sein.“

„Wer?“

„Der Kaiser von China! Verstanden? Wird die alte Teerjacke noch neugierig! Wer! ’s ist doch zum .... Der Albrecht Kamphausen – damit der Herr Premierminister es wissen! Ja, nun kann er grinsen von einem Ohr bis zum andern!“

Jan grinste in der That.

„Und noch eins! Wenn er Dich etwa draußen zuerst abfängt und Dich fragt, wie es mir jetzt geht, dann kannst Du sagen: besser, ’n gut’ Teil besser, aber ’s wär ’ne Zeit lang miserabel gewesen mit mir. Ich hab’ ihm nämlich geschrieben, ich sei krank.“

„Krank?“

„Ja! Krank, du verrücktes altes Echo!“ brüllte der Kapitän mit Donnerstimme. „Dazu hab’ ich meine Gründe gehabt! Zum Vergnügen hab’ ich ihm das nicht geschrieben – ich hab’ ihn hierher haben wollen, und anders wär’ er mir nicht gekommen! Wenn ich lüg’, dann weiß ich wenigstens, wofür! Verstanden? Und nun fort und ’was Anständiges angezogen! Siehst ja aus wie’n altes Waschweib!“

Jan Grenboom besah seine nasse Schürze und nickte. Ja, das sah er ein, wenn Kapitän Kamphausen kam, dann mußte alles „vom besten Ende“ sein, das Essen, das Trinken und auch der Anzug. Aber daß sein „Alter“ so log! Und wozu log er? Davon hatte Jan Grenboom keine blasse Ahnung.

„Fix, fix! Wird’s bald? Steht da und glotzt mich an! Soll ich Dir vielleicht Beine machen? Hab’ selbst alle Hände voll zu thun, weiß nicht, wo mir der Kopf steht!“ Damit fing Leupold an, im Zimmer herumzuwirtschaften, als wollte er das Unterste zu oberst kehren. Jan sah ihm eine Weile in phlegmatischem Erstaunen zu und trollte dann mit einem dumpfen Gebrumm von dannen.

„So!“ sagte Erich Leupold, als die Thür sich hinter ihm geschlossen hatte. „Den wären wir glücklich los! Neugierig ist der Kerl wie ’ne Nachtigall und geschwatzt hat er heut’ wie ’ne Elster. Wenn der wüßte! Na, das fehlte bloß noch, wo ich selber so ’ne Hundeangst hab’, daß die ganze Geschichte fehl geht!“ Er holte eine feine türkische Decke aus einer altdeutschen Truhe und legte sie über den Tisch. „So, das sieht hübsch aus! Und dies Bild muß hierher, das andere daneben – recht augenfällig, damit er’s ja nicht übersehen kann. Was er dazu sagen wird? Und ob er überhaupt was sagt?“ Er setzte zwei große Photographien in metallenen Stehrahmen auf den Tisch. Die eine zeigte einen bildhübschen jungen Marineoffizier, die andere eine schöne Frau in Trauerkleidung, ein lachendes Kind auf den Knien haltend. Der Kapitän nickte diesem letzteren Bilde ermutigend zu. „Ein heilloses Wagestück ist’s, kann so ausfallen, daß ich an der Hälfte genug krieg’ – kann aber auch zwei Menschen glücklich machen. Und darum lohnt’s doch! Sie hat ihn ja immer liebgehabt und nie ’ne Stunde vergessen, so brav sie auch gegen ihren Mann war. Denn der Albrecht, das war doch der Rechte und der Einzige für sie – das hat sie mir ja selbst zugegeben, zugeben müssen, ob sie wollte oder nicht, wie ich sie gefragt hab’. Und immer rosenrot übers ganze Gesicht, sobald ich seinen Namen nenne! Sie nimmt ihn, nimmt ihn wahr und wahrhaftig – bloß, er muß sie haben wollen, um sie werben! Sie kann doch nicht kommen und sich ihm, paff, mit Kind und Kegel an den Hals werfen, er muß doch anfangen! So gehört sich’s! Er muß anfangen!“

Der Kapitän ging zu einem japanischen Schränkchen und nahm feine bunte Weingläser heraus. Dann schritt er, die Hände in den Hosentaschen, um den Tisch herum und blieb von neuem vor dem Bilde der jungen Frau stehen. „Mancher Mann sagt ja“, nahm er seinen unterbrochenen Monolog wieder auf, „er will keine Witwe. Aber wenn’s nur die richtige Liebe ist .... ob Witwe oder nicht .... dann ist alles ein Teufel!“

Jan Grenboom erschien mit dem Frühstück. Leupold goß zwei Weingläser voll und stieß mit Jan Grenboom an. „Trink’, alte Wasserratte! Auf glückliches Gelingen meines Planes – austrinken!“ Der alte Matrose besorgte das gewissenhaft und leckte sich beifällig die Lippen.

„Läutet’s da nicht? Auf Deinen Posten Jan, und Du sagst, was ich Dir eingebläut hab’! Ich muß doch meine Rolle als ’n Halbkranker spielen! Den Lehnsessel her und die indische Decke! Weg mit Euch, Dido und Cato – will das infame Geziefer wohl gleich gehorchen! Ich bin so aufgeregt, daß mir lauter schwarze Kugeln vor den Augen tanzen. So! Nun laß’ ihn in drei Teufelsnamen kommen!“

Draußen hörte man Albrecht Kamphausens wohlklingende Stimme. „Guten Tag, Jan! Wie steht’s mit dem Kapitän? Ist der Arzt bei ihm? Es ist doch nicht schlimmer geworden?“

Jan brummte etwas von „miserabel“ vor sich hin, seiner Anweisung getreu, und der alte Leupold zog drinnen im Zimmer die Decke fester um sich und murmelte ingrimmig: „Niederträchtige Komödie!“

„Aber ich darf ihn doch sehen? Ich darf doch zu ihm? Ist er ganz allein?“

Jan mußte wohl genickt haben, denn gleich darauf pochte es an die Thür. Der Kapitän räusperte sich; das „Herein!“ wollte ihm beinahe in der Kehle stecken bleiben. Im nächsten Augenblick trat Albrecht Kamphausen ein. Er sah nicht mehr so krank und angegriffen aus wie vor vier Jahren. Sein kraftvoller Körper hatte den Stoß, der manchen andern zu Boden gestreckt hätte, mannhaft ausgehalteu, und wenn er eine kleine Schwäche in den Lungen zurückbehalten hatte, so sah man ihm davon nichts an. Er war jetzt wieder der schöne stattliche Mann, der vor Jahren Ilse von Doßbergs Herz im Sturm erobert hatte – nur ein wenig ernst und streng sah er aus.

Mit drei Schritten war er neben seinem alten Freund, beugte sich zu ihm herab und nahm seine Rechte liebevoll in beide Hände. „Was machst Du mir denn für Streiche, Kapitän? Ich hab’ keinen kleinen Schreck bekommen, als ich Deinen Brief las. Krank zu werden! Was fehlt Dir denn? Dein altes Leiden?“

Dem alten Leupold war wirklich miserabel zu Mut unter dem forschenden Blick dieser treuen blauen Augen. Er verstand es erbärmlich schlecht, zu lügen, und hatte sich in der Theorie die ganze Sache sehr viel leichter gedacht. In der Praxis fand er sie fast unmöglich, er war drauf und dran, aufzuspringen, Kamphausen zu umarmen und auszurufen: „Junge, ich hab’ Dir Wind vorgemacht, ich bin ebenso gesund wie Du, ’s ist alles gelogen!“ Zum Glück besann er sich, daß das seinen schönen Plan rettungslos verderben hieße, und so entschloß er sich mit einem schweren Seufzer, dem Verhängnis seinen Lauf zu lassen.

„Ach, Kapitän, mach’ nicht soviel Wesens davon!“ sagte er mit schwacher Stimme – seine Aufregung brachte das ganz natürlich zuwege – „was wird’s denn groß sein? So allerlei – dies und das –“

„Aber Du siehst wirklich angegriffen und verändert aus!“

„Thu’ ich das?“ fragte der alte Leupold schuldbewußt.

„Ja, gewiß, und sprichst auch anders als sonst!“

„Wahrhaftig? Ja, siehst Du, Kapitän, ’s ist mir auch in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 335. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_335.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2019)