Seite:Die Gartenlaube (1894) 313.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt.



rauhen Klang, doch dieser Klang war echt. Und ihm war, als fände er an dieser Hand eine Stütze, deren er bedurfte in diesem Haus. Hatte er doch im Gadem noch kein Wort gehört, welches übel redete von Wazemanns Tochter – nur der alte Kohlmann hatte gescholten wider ihren tollen Wagemut, der beim Weidwerk in den Bergen keine Höhe scheute und keine Tiefe. So faßte er die Hand des Mädchens wie ein Wanderer im pfadlosen Sumpf den grünen Zweig, der zu ihm niederwinkt.

Mit dem Ellbogen stieß Herr Waze an Reckas Arm und sagte lachend. „So führe doch Deinen Gast ins Haus!“

„Laßt Euch geleiten, Herr!“

Eberwein blickte erschrocken auf und zögerte. Da furchten sich Reckas Brauen. „Scheint Euch der Tisch, an dem ich sitze, zu schlecht für Eure Würde?“

Wortlos schüttelte Eberwein den Kopf und folgte. Als er auf die Schwelle trat und die weite Herrenstube mit der gedeckten Tafel sah, mußte er an das Stübchen in der Ramsau denken. Hatte er jenen frommen Tisch verlassen, um hier zu sitzen? Er war geflohen, wo er hätte weilen sollen, und sollte nun bleiben, wo er fliehen mußte! Wie eine Strafe erschien es ihm, was dieser Gedanke sagte. Schon zuckte seine Hand, als möchte sie sich lösen und nach dem Stabe greifen; da trafen ihn Reckas Augen, und er mußte bleiben …

Herr Waze holte die Söhne; schweigend hörte Eberwein ihre Namen und streifte mit irrendem Blick die trotzigen Gesichter. Rimiger und Henning fehlten – der letztere saß in der Kammer hinter der Thür und lauschte jedem Wort, das in der Stube gesprochen wurde. Mit verblüfften Augen sahen die Buben sich an, als Herr Waze vor das Kreuz trat, sich auf die Knie warf und zum Tischgebet die Hände faltete; eine Weile zögerten sie, dann folgte einer nach dem anderen dem Beispiel des Vaters; nur Recka furchte die Stirn und wandte sich ab; Eberwein stand und rührte weder Hand noch Lippe … er konnte nicht beten.

Lärmend trat Herr Waze mit den Söhnen zum gedeckten Tisch und wies seinem eigenen Stnhl gegenüber dem Gaste den Platz an zwischen Recka und Otloh. Ein Bärenschinken wurde aufgetragen. Herr Waze faßte ein langes Messer und stieß es in die braune Schwarte; dann hob er die Metbitsche und sagte mit heiserem Lachen: „So biet’ ich meinem edlen Gast die Minne und trink’ ihm zu als meinem Herrn! Auf Eure Gesundheit, frommer Vater!“ Er setzte die Kanne an die Lippen; sie hob und hob sich … es war ein Trunk, der nimmer enden wollte. Und es wäre wohl das letzte Tröpflein aus der Bitsche geronnen, hätte Eberwein nicht über den Tisch gegriffen und Wazes Arm mitsamt der Bitsche niedergezogen. „Meiner Gesundheit dienet Ihr auch mit minderem Trunk – und noch mehr der Eurigen.“

Herr Waze strich mit dem Aermel über den tropfenden Bart. „Nein, frommer Vater – meine sündige Seel’ mögt Ihr kampeln, so viel Ihr wollt – aber die langen Züg’, die müßt Ihr mir lassen. Bei mir muß alles tief sein, Reu’ und Durst, Lieb’ oder Haß. Mein Los ist so gefallen, weil meine Mutter mich geboren hat im Zeichen der Venus und des Wassermann: mein Herz ist allzeit heiß gewesen und meine Gurgel schreit nach Feuchtigkeit wie die Frösch’ um nasses Wetter.“ Herr Waze verstummte, und während die Söhne lachten, erweiterten sich seine Augen in starrem Lauschen. Heller Hufschlag klang im Hof und die Stimme Rimigers: „Wo ist der Vater?“

Die Buben sprangen auf, aber Herr Waze, dessen Züge sich mit fahler Blässe überzogen hatten, schrie ihnen zu: ^Bleibt sitzen!“ Seine Augen richteten sich auf Eberwein, funkelnd, mit stechendem Blick; es schien, als läge ein Wort auf seiner Zunge. Doch er sprach nicht, er lachte nur heiser vor sich hin, stieß mit der Faust den Sessel zurück, daß er umfiel, und eilte nach der Halle. Betroffen erhob sich Eberwein. Doch Recka faßte, wie vor Scham errötend, seine Hand. „Verzeihet meinem Vater seine Art … er hat durch Jahre keinen Gast in seinem Haus gesehen.“

Auf der Freitreppe kam Rimiger seinem Vater entgegen, und Herr Waze griff nach dem Arm des Sohnes, zitternd vor Erregung. „Was bringst Du?“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 313. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_313.jpg&oldid=- (Version vom 16.8.2021)