Seite:Die Gartenlaube (1894) 310.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Deinen Karren!“ rief Herr Waze dem fahrenden Händler zu. „Hundert Denar’ hast Du genommen; einen für jede Wegstund’, die Du legen sollst zwischen mich und die Narrendirn’! Fort mit ihr!“ Der Händler und die Knechte griffen zu; mit der Kraft der Verzweiflung wehrte sich die Gefesselte, und ihr gellendes Geschrei erfüllte den Hof: „Eigel, Eigel! Hilf, mein Bub’! Hilf mir doch! Hilf’! Hilf’!“ „Gebt ihr den Knebel!“ rief Herr Waze; da streiften seine Augen das offene Thor, und Röte und Blässe stiegen über sein Gesicht. Unter dem Thor stand Frau Friderun, mit ihren beiden Knaben, dem vierjährige Henning und dem dreijährigen Sindel. Früher, als Herr Waze erwartet hatte, war sie heimgekehrt aus dem Fischerhaus, in welchem sie mit der jungen Frau Mahtilt, dem Weib des Gelfrat, zu plaudern liebte. Ihr Antlitz wurde fahl und ihre Augen erweiterten sich, als sie das gefesselte Mädchen sah; ein paar wankende Schritte that sie, dann blieb sie stehen, ein steinernes Bild, die Gesichter der Knaben in ihren Schoß drückend, die starren Blicke auf ihren Mann gerichtet, der mit geballten Fäusten dastand, an der Lippe nagend und mit der Ferse trommelnd. Es klirrte vor ihren Füßen ... unter der wilden Kraft, mit welcher die Gefesselte sich wehrte und im Ringen alle Muskeln spannte, war der beinerne Reif zersprungen, den sie am nackten Arm getragen; wie eine Klammer haftete die eine Hälfte noch an den geschwellten Muskeln, die andere Hälfte war klirrend über die Steine gehüpft, bis vor die Füße des bleichen Weibes. Der kleine Henning hob das Bein von der Erde, doch seine Mutter riß es ihm aus der Hand. Und die Stimme der Salmued gellte: „Halt’ es fest oder nicht ... es soll nimmer lassen von Dir! Hör’ meinen Fluch ...“ Der Knebel erstickte ihre Stimme. Frau Friderun ging auf ihren Gatten zu, sie sprach kein Wort, sie hielt ihm nur das zersprungene Bein vor die Augen, dann barg sie das böse Erbe der Salmued an ihrer Brust, faßte die Hände der Knaben und schritt ins Haus. Mit funkelnden Blicken sah Herr Waze dem Weibe nach. „Macht ein Ende!“ schrie er den Knechten zu und stampfte mit dem Fuß. Als die Gefesselte auf den Karren gehoben wurde, schossen ihre Augen noch einen Blick, bei dessen stummer Sprache Herr Waze ein kaltes Grauen empfand. Er atmete auf, als der Händler mit der Peitsche auf seine Mähre losschlug und der Karren, den vier Knechte geleiteten, sich in Bewegung setzte. Knarrend hob sich die Fallbrücke und schloß das Thor ...

Das Bild der Vergangenheit zerrann vor Wazemanns Augen im Nebel. „Narretei, Narretei!“ lallte er und fuhr mit den Fäusten über die Augen. „Soll ein Weiberfluch mich schrecken?“ Und wieder sah er ein Bild: eine steile Felswand über dem See, und der Wand zu Füßen auf blutigem Geröll, lag Frau Friderun mit zerschmettertem Haupt, die Augen noch offen im Tod ...

Und als flösse ihm das eine Bild in das andere, so hörte er wieder das Knarren der Fallbrücke. Aber nein, er hörte ihr Aechzen wirklich und wahrhaftig. Es schloß sich die Brücke nicht hinter dem Karren, der die Salmued davonführte, sie hob sich hinter Eberwein, der den Hof betreten hatte. Herr Waze lauschte. Aus dem stillen Hof herauf klang eine hallende Stimme: „Führt mich zu Eurem Herrn!“

Da faßte er mit beiden Fäusten die eigene Brust, als müßte er seine taumelnden Sinne aufrütteln zu wachem Leben. Er ging zum Tisch, auf welchem schon die Metkrüge standen, und that einen langen Trunk. „So, jetzt komm nur!“ murmelte er, richtete sich lächelnd auf und schritt hinaus in die Halle. Noch eh’ er die Freitreppe erreichte, klangen Hammerschläge hinter ihm in der Stube. Der Knecht nagelte das Kreuz, welches Ulla gebracht hatte, neben dem Ofen an die weiß getünchte Wand.




22.

In Wazemanns Hof waren die Knechte und Mägde zusammengelaufen, aber sie lachten und schrien nicht wie am Morgen bei Bruder Wampos Ankunft; flüsternd standen sie, mit scheuen Augen aufblickend zu der hohen stolzen Gestalt des Mönches; durch ihre Gasse schritt Eberwein, von einem der Knechte geführt, zur Freitreppe. Noch hatte er die Stufen nicht erreicht, als Herr Waze in der Halle erschien. Wie in Ueberraschung und freudigem Staunen breitete er die Arme und rief: „Täuschen mich meine Augen oder seh’ ich recht? Ein Gottesmann!“ Er humpelte über die Treppe herab, als läge ihm das Alter schwer in den Knien. „Seid mir gegrüßt, frommer Vater, gegrüßt in meinem Haus! Es hat in der Nacht die Erd’ gebidmet, und Unheil hat mir geschwant, aber schau’: da kehret die Gottesfreud’ ein unter meinem Dach!“ Er machte Miene, seinem Gaste um den Hals zu fallen, doch aus Eberweins Augen traf ihn ein flammender Blick. Herr Waze stutzte. Wo hatte er nur diese Augen schon gesehen? Diesen Blick? Wo nur, wo? Schnell wie ein huschender Wolkenschatten flog diese Frage durch seine Sinne. Aber seine süßlichen Worte stockten nicht. „Es hat die Erd’ gebidmet, und der große Lärm hat große Freud’ verkündet! Kommt, frommer Vater, kommt! Zu guter Stunde seid Ihr eingekehrt, es steht die Tafel gedeckt, als hätt’ sie Euch erwartet .... kommt nur, kommt und streckt den geweihten Fuß unter meinen schlechten Tisch!“

Herr Waze wollte die Hand des Mönches fassen; doch Eberwein streckte den Stab zwischen ihn und sich, und seine Stimme klang wie Hammerschlag: „Ich komme nicht zum Mahl, nicht Drank und Speise such’ ich in Deinem Haus! Knecht Waze, ich komme, um mit Dir zu rechten als Dein Herr!“

Dunkle Röte schoß über Wazes Gesicht. „Du? Mein Herr?“ fuhr es ihm über die Lippen, dann verstummte er wieder, er hatte seine Maske verloren und suchte mühsam seine Fassung zu gewinnen. Da sah er die Knechte und Mägde stehen. „Was gafft Ihr?“ Das Gesinde stob auseinander wie ein Hühnerschwarm, in den der Fuchs gefahren. Der Hof war leer und still – nur im Zwinger winselten die Hunde und im Stangenkäfig trabten die gefangenen Raubtiere hinter dem Gitter auf und nieder. Herr Waze wandte sich mit gekränkter Miene zu Eberwein: „Frommer Vater, Ihr bietet mir üblen Gruß!“

„Den Gruß, den Du geworben von Deinem Herrn! Denn gewaltet hast Du in meinem Lande als ein schlechter Knecht.“

„Ein schlechter Knecht!“ Herr Waze nickte und lächelte. „Schlecht und niedrig, niedrig vor Euch! Ich hab’ es ja gleich aus Eurem Aug’ gelesen, daß Ihr es sein müßt, dem der Gadem in die Herrenhand gelegt ist. So müßt Ihr Eberwein heißen, denn Euer Nam’ ist hergegangen vor Euch wie Rauch vor dem Feuer. Und keinem Besseren, so hat es geheißen, keinem Besseren könnt’ das Ländlein übergeben sein, das Frau Adelheid .. selig mag sie ruhen im Himmel! ... zu frommer Stiftung an die Kirch’ gegeben. So grüß’ ich Euch, der Knecht den Herrn!“ Das war so bieder gesprochen und klang so ehrlich, daß Eberwein um sich blickte, als müßte er sich überzeugen, ob er auch wirklich in dem Hause sich befände, das er im Zorne gesucht. Doch als Herr Waze das Knie vor ihm beugte und nach dem Aermel der Kutte griff, um ihn zu küssen, trat Eberwein mit gefurchter Stirn zurück. „Ich höre Dich blöken wie ein Lamm und weiß doch: Du bist der Wolf! Rühre nicht an den Saum meines Kleides! Nach Deinem Gruße verlangt mich nicht. Du warst nicht eilig, ihn zu bieten. Eine Woche schon weil’ ich in meinem Land, Du hörtest die Botschaft, daß ich gekommen, aber Dein übles Gewissen hat mein Auge gemieden.“

„Frommer Vater, Herr – was denket Ihr von mir!“ Herr Waze schien von diesem Vorwurf tief getroffen in seinem schuldlosen Herzen. Wie ein Bächlein sprudelte ihm die Rede von den Lippen. Mit heller Freude hätte er die Botschaft begrüßt, welche Recka, sein „gutes Kind“, ihm gebracht; er hätte ein Mahl gerüstet und gewartet auf die willkommenen Gäste. Und als sie zu seinem Staunen nicht erschienen wären, hätte er Tag um Tag mit Söhnen und Knechten das Thal durchsucht. „Umsonst! Ich hab’ Euch nicht gefunden und hab’ schon gefürchtet, Ihr hättet wieder das Land verlassen. Das wär’ mir leid gewesen, denn ich sag’ Euch, frommer Vater, wir brauchen Euch im Thal wie das liebe Brot. Die Leut’ im Gadem sind dicke Heidenschädel ... es wird eine Weil’ wohl dauern, bis Euer frommes Wort offene Ohren findet und Euer Fuß auch überall ein offenes Thor.“

Eberwein streifte mit der Hand über die Stirne, und seine Augen blickten in das ferne Thal, diese letzten Worte hatte Herr Waze gut gewählt: sie weckten in Eberwein die Erinnerung dessen, was er beim Auszug am Morgen hatte erleben müssen. Und hatte die Glocke nicht Tag für Tag umsonst geklungen?

Mit scharfem Aug’ erspähte Herr Waze den verwandelten Ausdruck in Eberweins Zügen, und er benutzte diese Stimmung, um seinen Gast unter freundlichen Worten, welche Eberwein kaum hörte, über die Freitreppe emporzuführen. In der Halle erwachte Eberwein wie aus einem Traum; dunkle Röte floß über sein Gesicht, und seine Stimme bebte. „Ich will die Wahrheit nicht suchen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 310. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_310.jpg&oldid=- (Version vom 1.9.2020)