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verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


BLÄTTER UND BLÜTEN.


In eigener Sache. Vor einiger Zeit ging uns aus unserem Leserkreis die von Äußerungen lebhafter Entrüstung begleitete Mitteilung zu, daß der Herr Pfarrer Eichhorn in Ansbach von der Kanzel herab vor dem Lesen der „Gartenlaube“ gewarnt habe. Der Fall ist ja an sich nicht der erste seiner Art, sogar nicht einmal der schlimmste. Haben wir doch erst kürzlich von einem anderen Seelsorger in der Würzburger Gegend erfahren, daß er, nicht damit zufrieden, die „Gartenlaube“ von der Kanzel herab zu verdammen, sogar Mittel und Wege gefunden habe, wider Recht und Befugnis Einblick in die Postabonnentenliste seines Ortes zu erhalten – doch wohl zu keinem andern Zwecke, als um die Leser der verfemten „Gartenlaube“ in seiner Gemeinde bei Gelegenheit ihre Unthat entgelten zu lassen. Wir hätten also auch jenen Ansbacher Angriff gelassen übergehen können, in dem Bewußtsein, daß er uns ebensowenig schaden würde wie die andern. Weil aber aus den Zuschriften unserer Leser eine so lebhafte Erregung und Beunruhigung sprach, so baten wir den Herrn Pfarrer Eichhorn um Aufklärung über den Sachverhalt und über die Gründe, die ihn zu seinem Vorgehen bestimmt hätten.

Die Antwort, die wir daraufhin erhielten, bestätigte zunächst die Thatsache jenes Angriffs, und zwar führte der Herr Pfarrer näher aus, daß er die „Gartenlaube“ genannt habe als Typus einer Lektüre, die „den Weltsinn stärke und von Gott abziehe – auch ohne direkte Polemik gegen den christlichen Glauben durch den gottentfremdeten Geist, aus dem sie stamme“. Allerdings könne er „in Bezug auf die letzten zwanzig Jahre aus eigener Erfahrung nicht sprechen, da er in dieser Zeit selten mehr ein illustriertes Blatt zur Hand genommen habe“.

Das ist nun die Kampfweise! Man verdammt, ohne zu hören, man verwirft, ohne zu prüfen!

Wenn man über die „Gartenlaube“ öffentlich zu Gericht sitzen will, dann ist es doch die nächste und einfachste Forderung der Billigkeit, daß man auch wisse, was darin steht, und daß man nicht auf Grund von beiläufigen Erinnerungen aus früheren Jahren sein Urteil fälle.

Hätte der Herr Pfarrer die „Gartenlaube“ wirklich gelesen, unparteiisch und ohne Vorurteil, dann wäre ihm vielleicht eine Ahnung davon aufgegangen, daß sie doch auch eine sittliche Aufgabe in der Welt zu erfüllen hat und erfüllt, daß der Same von Bildung und Wissen, den sie jahraus jahrein in Millionen von Exemplaren ausstreut, Früchte trägt, die kein Einsichtiger und Billigdenkender, welches Glaubens er auch sein möge, verachten wird. Herr Pfarrer Eichhorn würde, wenn er die „Gartenlaube“ gelesen hätte, auch davon etwas bemerkt haben, daß dieses „gottentfremdete“ Blatt zur Linderung von Not und Elend auf der Welt schon gar viel beigetragen, manchem Verkannten die gebührende Anerkennung verschafft, manchen Verlorenen der Heimat und den Seinen wieder zugeführt hat! Und wir dürfen hoffen, daß er dann minder eilig gewesen wäre mit seinem Verdammungsurteil.

Das Goethehäuschen bei Frankfurt a. M. (Zu dem Bilde S. 293.) Auf der Höhe hinter Sachsenhausen, an einem der ländlichen Wege, die sich durch das Gartengelände des Mühlbergs ziehen, liegt ein schlichtes, vieleckiges, schieferverkleidetes Bauwerk, ein Türmchen mit einer Art Galerie, auf die man aus einem freundlichen Zimmerchen hinaustritt. Ein herrlicher Ausblick eröffnet sich da oben auf das Thal und die Stadt und darüber hinweg auf die Berge des Taunus – aber nicht dies allein ist es, was dem Häuschen seine Bedeutung giebt und was es zu einem Gegenstande der Verehrung für das lebende Geschlecht macht. Erinnernng spinnt ihre Silberfäden um das bescheidene Gemäuer und umhüllt es mit verklärendem Scheine.

Noch leben wir in einer Zeit, da man gehobenen Sinnes eine Stätte betritt, die durch Goethe geweiht ist.

Es waren nur wenige Stunden, die Goethe in dem Weinberghäuschen zugebracht hat. Aber es waren für ihn Stunden weihevoller Erhebung, Stunden, die sich seinem Gedächtnis tief eingruben, in denen wohl die erste Ahnung jenes wunderbaren Herzensfrühlings in ihm keimte, der in den Liedern Hatems und Suleikas im „Westöstlichen Divan“ sein ewig dauerndes Denkmal gefunden hat. Die Frau, der er ihn verdankte, war Marianne von Willemer.

Kurz vor Weihnachten 1798 war in Frankfurt ein Balletmeister Traub mit seiner Truppe eingetroffen; in Begleitung desselben befand sich auch die Witwe des Instrumentenmachers Mathias Jung aus Linz in Oberösterreich mit ihrer damals vierzehnjährigen Tochter Marianne. Die reizende Erscheinung, der lebhafte Geist und die über das Maß ihres Standes weit hinausgehende Bildung des jungen Mädchens zeitigten in dem Bankier und Geheimerat Johann Jakob Willemer, einem um Kunst und Wissenschaft hochverdienten Manne, der eben damals (1800) auch in die Oberdirektion des Frankfurter Nationaltheaters eingetreten war, den hochherzigen Entschluß, Marianne den Gefahren der Bühne zu entziehen und sie in seinem Hause mit seinen Töchtern erziehen zu lassen. Die Mutter wurde für die Vorteile, welche sie aus der Bühnenthätigkeit ihrer Tochter gezogen hatte, durch die Auszahlung einer Summe von 2000 Gulden entschädigt, blieb aber bis in ihr hohes Alter in innigem Verkehr mit der Tochter.

Dank den reichen Mitteln und dem vielseitig anregenden Verkehr im Hause des Senators entwickelten sich Mariannens glückliche Gaben zu reizender Blüte, immer schöner und freier trat ihr Talent für künstlerische Ausschmückung des Daseins hervor. Sie erwarb sich eine anmutige Fertigkeit im Zeichnen, ihr Gesang entfaltete sich zu künstlerischer Vollendung – was ihr aber den höchsten Zauber lieh, das war ein ungewöhnlich zartes dichterisches Empfinden und das Vermögen, diesem Empfinden die feinste Form zu geben. So stand dieses gottbegnadete Menschenkind glücklich und beglückend unter ihren Mitmenschen, in dem Kreise, der sie aufgenommen, und ihrem Zauber gab sich gefangen, wer diesen Kreis betrat.

Es ist begreiflich, daß der Aufenthalt Mariannens im Hause Willemers, der bei ihrem Eintritt 40 Jahre alt und seit 4 Jahren Witwer war, klatscheifrigen Zungen Gelegenheit zu boshaften Bemerkungen gab; man spottete über des Hausherrn pädagogische Vorliebe für schöne Gegenstände. Und doch waren beide über jeden niedrigen Verdacht weit erhaben! Die reinste Neigung zu seiner Schutzbefohlenen gab ihm erst nach Jahren den Gedanken ein, sie als dritte Gattin zum Altare zu führen. Das geschah am 27. September 1814. Wenige Tage vorher war Goethe, der mit Willemer schon von lange her in brieflichem Verkehre gestanden hätte, zum erstenmal in den Familienkreis auf der Gerbermühle – Willemers Landsitz bei Oberrad – zu flüchtigem Besuche eingetreten. Als er im Oktober von Heidelberg zurückkehrte, wo er mit Sulpiz Boisserée über allerlei Fragen der deutschen Kunst sich beraten, verkehrte er viel mit dem neuvermählten Paare – und in diese Tage, da das gegenseitige Verhältnis der Freunde fühlbar an Wärme und Innigkeit gewann, fällt auch der Besuch Goethes und Mariannens in jenem Weinberghäuschen auf dem Mühlberg.

Es war am 18. Oktober. In Frankfurt wurde wie fast überall im deutschen Vaterlande der erste Jahrestag der Schlacht bei Leipzig mit Glockenläuten und Chorälen von den Kirchentürmen, des Abends dank einer Anregung von Ernst Moritz Arndt durch Anzünden von Freudenfeuern auf den Berghöhen festlich begangen. Das erhebende patriotische Schauspiel dieser Feuergrüße mitanzusehen, fuhr Goethe mit Willemer und seiner Frau hinaus nach dem Weinberghäuschen. Eine Karte der Umgebung Frankfurts ward aufgelegt, auf welcher Marianne die erleuchteten Stellen mit roten Tüpfchen bezeichnete. Sodann reichte sie Goethe einen sorgfältig gespitzten Bleistift, womit er auf einem Fensterpfosten die Worte einzeichnete: „Goethe den 18. Oktober 1814.“ Daß er einen Vers beigeschrieben habe, wird von mehreren Verwandten angegeben; Marianne selbst hat späteren Freunden nichts davon berichtet. Die Inschrift selbst wurde nach Jahren infolge von Unachtsamkeit zu Mariannens tiefem Verdruß übertüncht.

Auf Goethe hat dieser Herbstabend mit seinen Flammenzeichen einen tiefen Eindruck gemacht, dessen Spuren wiederholt in seinen Briefen wiederkehren. Der ideale Herzensbund der beiden kam aber erst im folgenden Jahre zur vollen Entfaltuug, und nicht das schlichte Weinberghäuschen, sondern die Ruinen des Heidelberger Schlosses durften Zeugen seiner höchsten Weihe sein. Dort haben sich Goethe und Marianne Willemer auch zum letztenmal gesehen, am 26. September 1815; aber die Fäden, die sich angesponnen, hielten fest fürs Leben, wofür der schöne Briefwechsel, der uns erhalten ist, ein redend Zeugnis bildet. In jenem schönen geistigen Sinne, der diesem ganzen Liebesverhältnis eigen ist, gelten von Marianne die Worte, die sie einst auf dem Höhepunkt ihres Glückes gedichtet:

     „Nimmer will ich Dich verlieren!
Liebe giebt der Liebe Kraft.
Magst Du meine Jugend zieren
Mit gewalt’ger Leidenschaft.
Ach, wie schmeichelt’s meinem Triebe,
Wenn man meinen Dichter preist:
Denn das Leben ist die Liebe
Und des Lebens Leben Geist.“

Am 6. Dezember 1860 ging sie zur ewigen Ruhe ein; und ihre Gruft schmückt ein schlichtes graues Kreuz mit den Worten:

„Die Liebe höret nimmer auf.“

Das Goethe-Willemer-Häuschen auf dem Mühlberge will die Stadt Frankfurt unter ihre besondere Obhut nehmen, um es noch für lange Zeiten zu erhalten, als eines der vielen Andenken an ihren größten Sohn.


KLEINER BRIEFKASTEN.

(Anfragen ohne vollständige Angabe von Namen und Wohnung werden nicht berücksichtigt.)

Alter Abonnent in Gr. Sie haben ganz recht. Die Verschmelzung von „Schorers Familienblatt“ mit der „Gartenlaube“ ist in der Weise erfolgt, daß den Abonnenten von „Schorers Familienblatt“ vom 1. April d. J. ab die „Gartenlaube“, unter dem Titel „Schorers Familienblatt, vereinigt mit Gartenlaube“, als Ersatz angeboten wird. Auf den Inhalt der „Gartenlaube“ hat diese Verschmelzung durchaus keinen Einfluß.

W. V. in Wien. Sie reimen hintereinander „Kehle“ auf „Geselle“, „Freud’“ auf „Maid“, „starren“ auf „Jahren“ und bieten in solchen Versen auch noch „der Menschheit ganzen Jammer“ – das ist zu viel des Guten.

N. N. in Halle a. d. S. Im Paragraph 89, Ziff. 6 der „Deutschen Wehrordnung“ finden Sie alles, was auf Ihren Fall Bezug hat.

C. 21. Finnland. Vielleicht kommen wir einmal auf das Thema zurück. Aber einen unserer alten Artikel einfach noch einmal abzudrucken, das geht nicht an.



Inhalt: Die Martinsklause. Roman aus dem 12. Jahrhundert. Von Ludwig Ganghofer (17. Fortsetzung). S. 293. – Das Goethe-Willemer-Häuschen bei Frankfurt a. M. Bild. S. 293. – Maienzeit. Gedicht von Anton Ohorn. Mit Bild. S. 297. – Volkstümliche Klassikerausführungen. Von Dr. Burckhard. S. 299. – Die Pampas Argentiniens. Von C. Forst. S. 301. Mit Abbildungen S. 301 und 305. – Die Perle. Roman von Marie Bernhard (17. Fortsetzung). S. 302. – Blätter und Blüten: In eigener Sache. S. 308. – Das Goethehäuschen bei Frankfurt a. M. S. 308. (Zu dem Bilde S. 293.) – Kleiner Briefkasten. S. 308.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 308. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_308.jpg&oldid=- (Version vom 25.6.2023)