Seite:Die Gartenlaube (1894) 301.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


Die Pampas Argentiniens.
Von E. Forst.0 Mit Zeichnungen von Alb. Richter.


Das Wiehern der Rosse weckt uns aus dem erfrischenden Schlafe. Wir springen auf und schauen uns um in dem weiten Schlafgemache. Das majestätische Himmelsgewölbe ist sein Riesendach, dessen östlicher Rand von flammender Morgenröte erglüht. Wir haben von der Heimat geträumt, von Bergen, die himmelhoch anstreben, und von majestätischen Wäldern, die im Winde rauschen – und nun? Welch ein Gegensatz die Wirklichkeit! Wir fühlen den festen Boden unter den Füßen, aber es dünkt uns, als ob wir auf den Wogen des unendlichen Meeres schaukelten, denn überall, wohin wir auch blicken, schweift das Auge frei bis zu dem fernsten Rande des Horizontes. Siegreich durchbricht die leuchtende Sonnenscheibe die Dunstwolke im fernen Osten, Tageslicht flutet über der Erde, aber eintönig, abwechslungslos bleibt das Landschaftsbild; überall die endlose Ebene, nur hier und dort scheint in der Ferne der Boden in mäßigen Wellen emporzusteigen. Grünes struppiges Gras und gelber Lehm wechseln miteinander ab, kein Baum, kein Strauch erfreut das Auge, nur in einer flachen Mulde, an deren Rande wir unser Lager aufgeschlagen haben, schöpft die durstige Pflanzenwelt aus den tieferen Wasservorräten des Bodens. Hier streben Schilfgräser höher empor und über allen leuchtet auf mannshohen Halmen die wie Silber erglänzende Blumenrispe der Totoras (Gynerium argenteum), das Wahrzeichen der Pampa, der „Ebene“, die von den Anden Argentiniens bis an die Küste des Atlantischen Oceans sich erstreckt; die herrliche Blumenrispe, die wir aus diesen öden Flächen als Ziergras in unsere europäischen Gärten verpflanzt haben.

Auf flinken Rossen eilen wir einer der sanften Hügelwellen zu; wir sind allein inmitten der unermeßlichen Steppennatur, welche nirgends die Spur der menschlichen Thätigkeit aufweist und uns den Morgengruß in demselben Gewande entbietet, das sie trug, als die ersten Europäer diese Gefilde betraten. Nach und nach zeigen sich auch die Ureinwohner der Pampas unseren Blicken. Die weiten Grasfluren sind ihre Weidegründe, aber die meisten haben unter der Erde ihre Wohnungen aufgeschlagen; es sind kleinere und größere, hasen-, kaninchen- und meerschweinchenartige Nager, Springhasen, Tucutucu, Viscachas, die den Boden mit ihren Gängen völlig unterwühlt haben und deren Zahl in günstigen Strichen zu vielen Tausenden auf einem Quadratkilometer anwächst. Neben ihnen jagen unter der Erde Gürteltiere den Kerfen nach, zahnlose Geschöpfe und letzte Vertreter einer aussterbenden Tierklasse, deren Vorfahren einst zur Rindergröße heranwuchsen und deren vorsündflutliche Skelette in unsern Museen aufbewahrt werden. In weiter Ferne sehen wir einen Trupp Guanacos, jener wilden Lamas, die von den Abhängen der Kordilleren weite Streifzüge in die Steppe unternehmen, und dort entschwindet in hurtigem Laufe ein „Nandu^, ein amerikanischer Strauß, unsern Blicken.

Wir haben den Hügel erreicht und reiten weiter – stundenlang durch ein ödes Gefilde. Eine flache Senkung nimmt uns auf. Weiß glänzt der Boden in den Sonnenstrahlen – wir sind in einer der Salzwüsten, in welchen nur wenige dürre Salzpflanzen ein kümmerliches Dasein fristen. Die Stille des Todes herrscht hier in dem ausgetrockneten Grunde eines ehemaligen Sees, und wir atmen auf, da wir endlich in eine „Arroya“, eine Schlucht, die einst das Bett eines Stromes gebildet hat, einlenken können. In der Tiefe der Erde fließen hier noch die Grundwasser, und die Feuchtigkeit, die aus ihnen empordringt, läßt die Gräser zu einem herrlichen Wiesenteppich sich zusammenschließen. Die Sonne neigt im Westen zum Untergange; wir halten auf einer sanft sich erhebenden Anhöhe und ein schönerer Anblick erfreut unser müdes Auge. Dort in der Ferne blinkt der Spiegel einer Lagune und ein Flüßchen windet sich wie ein silbernes Band durch grüne Wiesen. An seinen Ufern wachsen Weiden und Pappeln und in weiter Ferne steigt eine kräuselnde Rauchwolke zum Himmelszelt empor – endlich das erfreuliche Wahrzeichen menschlicher Siedelung!

Und vorwärts geht’s noch einmal auf den unermüdlichen Rossen, das Landgut der Pampas, die „Estancia“, das Ziel unseres Ausflugs, zu erreichen. Neue Eindrücke empfangen wir an des Tages Neige; neben uns donnert eine Horde halbwilder Pferde, dort grast eine Herde wohlgenährter Rinder und das Blöken von tausend Schafen dringt an unser Ohr. Das ist die Pampa der Neuzeit, die wir jetzt schauen, und in ihr erscheint ihr Beherrscher, ein Reiter auf kühnem Roß, eine malerisch wilde Gestalt, ein Menschentypus, den die weite unendliche Pampa erzeugt hat.

Als zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts Spanier und Portugiesen in den La Platastrom einfuhren und seine Ufergelände betraten, da gab es dort weder Pferde noch Rinder noch Schafe. Indianer durchstreiften zu Fuß die Steppe, um von der Jagd zu leben. Speere mit steinernen Spitzen waren ihre Waffe; was sie aber zu Herren über die damalige Tierwelt der Pampas machte, was ihnen das flüchtige Guanaco und den hurtigen Strauß in die Hände lieferte, war die „Bola“, aus Riemen bestehend, an deren Enden zwei bis drei schwere Steine befestigt waren. Mit wunderbarem Geschick verstand der Indianer diese Schlinge dem Strauß und dem Guanaco um die flüchtigen Füße zu werfen und das Wild zu Falle zu bringen.

Es waren kriegerische Jägervölker, diese zu Fuß die Steppe durchziehenden Nomaden; aber Schritt für Schritt wußten ihnen die Europäer ihre weite Heimat zu entreißen. Den weißen Männern erschienen die Grasfluren der Pampas als treffliche Weideplätze für europäisches Vieh. Die ersten Ansiedler brachten Rinder und Schafe mit, die Krieger Streitrosse; einige dieser Haustiere verloren sich in der Prairiewildnis, vermehrten sich zu unzähligen Herden, und die Pampas erhielten neben der alten eine neue Tierwelt. Pferd und Rind, das Geschenk der Alten Welt, wirkten umgestaltend auf die Lebensgewohnheiten der Pampasvölker ein. Der Indianer schwang sich auf das wilde Roß, nun wurde er erst recht zu einem Nomaden, nun verdiente er erst recht den Namen „Guaykuru“, d. h. „Schnellläufer“, der ihm von den Bewohnern der waldigen Nachbarländer gegeben worden war.

Die zahllosen Scharen verwilderter Pferde und Rinder lockten aber auch die europäischen Ansiedler in die weite Steppe hinaus. Hundert Jahre nach der Einführung der ersten Rinder in den La Plataländern wurde aus dem Hafen von Buenos-Aires eine Million Häute jährlich nach Europa gebracht; nur der Häute wegen jagte und schlachtete man die Rinder, das Fleisch ließ man damals unverwertet liegen. Ein eigenartiges Treiben entwickelte sich nunmehr in den Pampas. Wie auf den Prairien Nordamerikas die Büffeljäger jahrzehntelang sich breitmachten, so wurden auch die Pampas Argentiniens den Indianern von einer eigenartigen Menschenklasse streitig gemacht, von den „Gauchos“, Mischlingen der europäischen Eindringlinge und der indianischen Urbewohner.

Sie hatten dem Indianer bald seine Listen abgelauscht, lernten

ebenso geschickt wie er die Bola schwingen, sparten auf der Jagd Pulver

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 301. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_301.jpg&oldid=- (Version vom 1.11.2019)