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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

er das Paar, denn er merkte wohl, wie es stand um diese jungen Herzen, und es währte lange, bis er fragen konte: „Ruedlieb, weiß Dein Vater, daß Du in meinem Hag weilest?“ Der Bub’ schüttelte den Köpf; sprechen konnte er nicht. „So muß ich Dich weisen aus meiner Hofreut,“ sagte der Fischer mit gepreßter Stimme. „Ich thu’ es ungern, denn ich hab’ Dich lieb, aber Dein Vater könnt’ mit Sorg’ und Unmut hören, wo Du gewesen bist.“

Rötli und Ruedlieb standen wie versteinert. Sigenot legte den Arm um die Schwester und reichte dem Knaben die Hand. „Ich mein’, das spüret Ihr alle beid’, daß ich Eurem Glück ein Haus bauen möcht’, lieber heut’ als morgen. Aber zwiespältige Zeit ist eingefallen, die dem Glück feind ist wie der Winter den Blumen. Fehd’ liegt über dem Gadem; ich steh’, wo ich stehen muß, und Dein Vater, Bub’, steht auf der anderen Seit’.“ Ruedlieb wollte sprechen, doch Sigenot streifte ihm die Lippen mit der Hand. „Thu’ keine Frag’ – ich hab’ schon geredet bis zu dem Fleckl, auf dem das Schweigen anfangt. Und sei gescheit, Liebli, geh’ heim! Denn schau’: der Bub’ muß stehen, wo der Vater steht. ... von aller Treu’ und Lieb’ die erst’, das muß die Treu’ für Haus und Blut sein!“. Sigenot atmete tief, und mit verlorenem Blick schweiften seine Augen über den See hinweg zur Höhe der Falkenwand. „Geh’ heim, Liebli, es kommt wieder gute Zeit .... Dir, mein’ ich, bleibt sie nicht aus. ... nachher wird wohl der Weg, der Deinem Herzen lieb ist, auch Deinem Vater taugen. Eine weiß ich, die wartet auf Dich! Gelt, Rötli?“ Zärtlich strich er mit der Hand über das Haar der Schwester, welche schluchzend das Gesicht an seiner Brust verbarg.

Unter stammelnden Lauten streckte der Bub’ die Hände; doch als der Fischer den wehrenden Arm zwischen ihn und die Schwester legte, wandte sich Ruedlieb und taumelte über den Hügel hinunter. Am Pfosten des Hagthors mußte er eine Stütze suchen. Und schluchzend schrie er: „Ich komm’ wieder, Rötli! Ich komm’, ich komm’!“

Da riß sich Edelrot aus ihres Bruders Armen, und die bleichen Wangen von Zähren überronnen, rief sie in heißem Schmerz: „Und kommst auch nimmer und nimmer, wir zwei, wir müssen uns finden, so bald der Mond wieder voll wird!“ Sie meinte die Nacht, in welcher Ruedliebs Leben und das ihre dem Bid verfallen war.

Hilmtrud, die auf der Hausbank saß und Ruedlieb scheiden sah, verschlang die Hände im Schoß und murmelte: „Not über Not! Schau’ einer hin, wo er mag ... überall brennt ein Haus, überall schreien die Leut’!“ Da setzte sich Kaganhart an ihre Seite. Scheu und Unruhe sprachen aus seinen Augen. „Was willst?“ fragte Hilmtrud.

„Laß Dir im Guten raten,“ flüsterte er, „und bleib’ dem Schwarzkittel aus der Näh’. Herr Waze ist wider die Klosterleut’. ... und wenn wir bauen wollen müssen wir alleweil wieder hinauf zu ihm und um Schlagrecht für das Bauholz bitten.“

Das Weib sprang auf, wilden Haß in den lodernden Augen. „Mann, das sag’ ich Dir: nicht ehnder wird der erste Baum zu unserem Haus geschlagen eh’ der da droben nicht den letzten Schnaufer thut!“ Sie trat ins Haus.

Der Bauer folgte ihr. „So ein Weib! Ist das ein Weib!“ murmelte er und strich mit der Hand über das Haar. „Ich mein’ schier, sie will mit dem da droben auch noch zanken und raufen!“

Nach einer Weile saßen sie alle in der Herdstube um den gedeckten Tisch; nur Mutter Mahtilt wollte das Mahl nicht teilen, und Rötli blieb bei der Mutter am Herd. Bruder Wampo hatte den Ehrenplatz eingenommen, und er sorgte dafür, daß die Suppe nicht kalt wurde wie auf dem Tisch im Ramsauer Pfarrhaus. Jeden Bissen würzte er mit Schnurren und Späßen, so daß sich manchmal helles Gelächter um den Tisch erhob und zuweilen sogar über Sigenots Lippen ein Lächeln huschte. Es schien, als hätte sich der drohende Schatten, der über den Köpfen dieser Menschen hing, für ein Stündlein in freundliche Helle verwandelt. Am lautesten unter allen lachte Kaganhart, und um gedoppelten Trost zu haben, griff er so mutig in die Schüssel, daß Bruder Wampo, den Entsetzten spielend, die Arme wie zum Schutz vor die anderen streckte und mit dem alten Sprichwort rief: „Habet acht! Ein Bayer frißt ... da werden wir all’ mitgefressen!“

Als das Mahl zu Ende war und die Männer die Herdstube verlassen wollten, stellte sich Bruder Wampo vor die Thüre. „Holla! Jetzt wird noch geblieben ein’ Weil’! Vor dem Mahl haben wir all’ im Hunger das Beten vergessen, das wird aber jetzt fein säuberlich nachgeholt! Wartet nur, Ihr Heidenschüppel, ich will Euch schon Christentum predigen. Draußen vor dem Hag wird der Herr aufgestellt und Euer Haus soll er hüten – gelt, das thät’ Euch schmecken? Aber beten und danken will keiner! Her da zum Tisch und nachgebetet, was ich vorsag’!“

Bruder Wampo faltete die Hände und sprach mit tönender Stimme das Gebet, Zeile um Zeile. Sigenot fiel als der erste ein, und da wurden auch die Stimmen der anderen laut. Nur Mutter Mahtilts stumme Lippen rührten sich nicht; den betenden Mönch mit finsterem Blicke streifend, legte sie ein dürres Kraut ins Feuer, und die verbrennende Staude füllte die Stube mit schwerem Duft. Sigenot gewahrte das Gebaren der Mutter, und seine Stimme wurde leiser. Nach dem Gebet verließen die Männer wortlos die Stube. Bruder Wampo wollte auf der sonnigen Hausbank die Mittagsruhe halten, doch Edelrot faßte ihn beim Kuttenärmel und zog ihn unter die Eichen. „Ich muß Dich ’was fragen, Gottesmann!“

Er sah den Ausdruck tiefen Kummers in ihrem lieblichen Gesicht und ließ sich erschrocken führen, wohin sie wollte. Im Schatten der Bäume hielt Rötli tiefatmend inne und sagte mit bebenden Stimmlein: „Es geht die Red’, Ihr wisset viel, Ihr Gottesleut’.“

„Freilich, Dirnlein, ein guter Gottesmann weiß alles.“

„So sag’ mir ... ist das wahr mit dem Bid?“

Bruder Wampo machte ein verdutztes Gesicht. „Mit wem? Mit was?“

„Mit dem Bid!“

„Bid, Bid? Den kenn’ ich nicht! Wer soll denn das sein?“

Scheu, mit stockenden Worten, erklärte Rötli dem Bruder, wer der Bid wäre, wo er hause und welches Schicksal aus seinem Anblick erwachse. Da schüttelte Wampo lachend den Kopf. „Papperlapapp, Dirnlein, das ist Narretei und schiecher Aberglauben! Einen solchen Kerl giebt’s nicht. Und das wird gleich bewiesen sein! Außer Menschen und Getier und außer den leblosen Dingen der Welt giebt’s nur zwei Sachen noch: das ist der liebe Gott mit seinen Engelein und Heiligen, die im Himmel wohnen, und das ist der Teufel mit seinen schwefligen Heerscharen, die in der Höll’ hausen. So schau’ ... da bleibt ja fürs Wasser nichts übrig als nur die liebe Gottesgab’ der Fisch’ und Krebse. Nein, Dirnlein, einen solchen Kerl giebt’s nicht! Sag’ nur: ich hab’s gesagt!“

„Wenn ihn aber doch einer schon gesehen hat, den Bid?“ kam es zitternd von den Lippen des Mädchens, in dessen Augen schon ein Fünklein von Hoffnung glomm.

„Gesehen? Ja wie soll er denn ausschauen?“

„Grauslich! Einen weltsgroßen roten Kopf hat er, mit glitzrigen Schuppen wie ein Ferch, keine Nas’ und keine Augen im Gesicht ... und wo die Leut’ die Ohren haben, da hat er lange Flossen!“

„Pfui Teufel, der schaut aber gut aus!“ lachte Bruder Wampo, dann aber stockte er und schien sich zu besinnen. „Freilich, freilich ... er weiß gar mancherlei Künst’, der schieche Feind, und diemal schreckt er die Menschen in grauslicher Gestalt! Da können die lieben Heiligen davon erzählen! Aber da muß man sich noch lang nicht fürchten, Dirnlein. Sei nur gut und fromm, so hat er keine Macht über Dich! Und wenn er Dir einmal erscheinen sollt’ ... ich wünsch’ Dir’s nicht ... aber nachher schlag’ nur gleich das Kreuzzeichen, thu’ Dein Stoßgebetlein und wirst sehen: weg ist er! Weg, wie fortgeblasen! Aber ein Geruch bleibt hinter ihm ... Du, da gehört eine gute Nas’ dazu!“

Mit beiden Händen umklammerte Rötli die Hand des Mönches und stammelte mit zuckenden Lippen: „Ach Du guter Gottesmann, schau’, ich thu’ Dich bitten; zeig’ mir’s doch, zeig’ mir’s, wie ich’s machen muß!“

„Wohl wohl, Dirnlein, komm nur und setz’ Dich her zu mir, komm nur!“

Sie saßen auf dem Lugaus in warmer Sonne, umgeben vom leisen Fall der welkenden Blätter. Als Bruder Wampo nach einem Stündlein Abschied nahm vom Fischerhause, geleitet von Wicho, der das schwere Lägel trug, da war aus Edelrot eine gute Christin geworden, freilich eine „gute Christin“ nach der Meinung Bruder Wampos. Sie hatte gezittert in Angst und

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