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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Spannung entgegensehen, als der junge Görnemann gebildeten Kreisen angehört und nur durch eigenartige Verhältnisse in die Laufbahn eines Matrosen getrieben wurde, daher sehr wohl in der Lage ist, seine Schilderung interessant zu gestalten.“

Leupold verstummte und ließ das Zeitungsblatt sinken, er sah wie fragend zum alten Grenboom hinüber. Sonst besaß er kein allzu großes Mitteilungsbedürfnis – heute hatte es ihn zu hart angepackt. Er mußte jemand haben, zu dem er reden, der ihm zuhören konnte, er vermochte das Alleinsein nicht zu ertragen.

Jan Grenboom schnitt ein schauderhaftes Gesicht, das sein Mitgefühl ausdrücken sollte; er streichelte Dido, die ihm auf den Schoß sprang, mit seiner breiten behaarten „Tatze“ und wälzte das Priemchen unruhig im Munde hin und her. Endlich lieh er seinen Gedanken Worte.

„Ja – aber, Kapitän, wir haben’s doch all lang’ gedacht, daß die ‚Nixe‘ zum Deiwel ist. Und wenn das Schiff hin ist, ist uns’ Kapitän Albrecht auch hin!“ philosophierte Grenboom weiter. „Der hat seine ‚Nixe‘ nicht verlassen, der nicht! Der hätt’ ’mal können Admiral oder so ’was werden – gelernt war er, und zu hantieren wußte er auch!“

Der alte Leupold nickte schwerfällig.

„Ob sie wohl – das junge Fräulein mein’ ich – das schon gelesen hat?“

„Weiß ich’s?“ Leupold fuhr aus seinem Brüten auf. „Muß auch das noch über sie kommen – auch das noch!“

Er hatte schwere Sorge um Ilse, der alte Weiberfeind. Er wollte sich’s nicht eingestehen, aber sie hatte sich in sein Herz gestohlen, er hielt viel auf sie und war im stillen immer aufs neue verwundert, wie diese Eltern dies Kind haben konnten. Und nun, seit sie ganz in St. wohnte und er sie häufig sah, war sie ihm vollends lieb geworden. Ilse hatte ihrem Onkel nicht gesagt, weshalb sie vor etwa zwei Monaten, Ende Mai war es gewesen, so plötzlich samt ihrem Vater „Perle“ verlassen hatte und ganz nach St. übergesiedelt war, aber der Kapitän konnte sich’s ungefähr denken. Wenn sein Schwager Doßberg die „Perle“ verließ, dann war ein bitteres Muß dahinter, und das konnte ihm nur die Prinzeß Ilse, freilich ohne ihren Willen, eingebrockt haben. Sie hatte offenbar mit ihrem Gesicht Unheil gestiftet, entweder bei Montrose Vater oder Sohn; das Ergebnis war die freiwillige Verbannung der Doßbergs gewesen.

Der alte Leupold hatte keinen kleinen Schreck bekommen, als seine Nichte eines Tages mit der Kunde zu ihm eintrat, sie hätten eine Wohnung in der Stadt gemietet und wollten da bleiben. Er hatte nicht gefragt: wie wird Dein Vater das ertragen? aber er hatte es sorgenvoll gedacht, und jetzt, nach zwei Monaten konnte er sehen, daß Doßberg es überhaupt nicht ertrug, sondern daß er hinschwand, ausging wie ein Licht. Der Kapitän hatte für seinen „hochgeborenen Herrn Schwager“ nie viel Zuneigung gefühlt, aber er hätte herzlos sein müssen, wenn ihm der Mann jetzt nicht in der Seele leid gethan hätte. Still und teilnahmlos, doch immer freundlich und sanft, wenn man ihn um etwas fragte, ohne Klage, ohne ein Wort von Heimweh zu äußern, welkte Doßberg hin von einem Tage zum andern. Und daneben Ilse, die sich in Leid und Jammer um ihn verzehrte und doch nicht helfen konnte, die sich ihm gegenüber schuldig fühlte und sich doch sagen mußte, sie habe nicht anders handeln können, als sie gethan! Ach, was war aus dem heitern schönen Mädchen geworden! Wo war das perlende Lachen geblieben und das warme Leuchten der dunkeln Augen!

Erich Leupold hatte sich seines Schwagers angenommen nach besten Kräften. Er holte ihn täglich zum Spaziergang nach dem Hafen ab, nannte ihm die ein- und auslaufenden Schiffe, stellte ihn seinen alten Freunden vor, den Kapitänen und Reedern, und lieh ihm seine besten Bücher, in dem Glauben, der Baron müsse doch jetzt endlich Interesse am Seemannsberuf nehmen, da sein einziger Sohn sich denselben erwählt hatte. Aber das war ein Irrtum. Doßberg hatte für nichts in der Welt mehr Interesse. Er ging willig mit, wenn der Schwager kam, ihn abzuholen, er richtete auch seine Augen auf die Schiffe, die dieser ihm zeigte, und antwortete höflich auf die Fragen und Bemerkungen der Kapitäne, aber sein Herz war nicht dabei.

Wie nun Ilse das neue Unglück beibringen? Sie las freilich Zeitungen, aber diese hier, ein kleineres Blatt, das Leupold sich hielt, weil es viele überseeische Berichte brachte, würde ihr wohl nicht zu Gesicht kommen. Mit Recht hielt sich der alte Kapitän für einen sehr schlechten Diplomaten – er sah schon bei seinen ersten Worten die Nichte umsinken, sich selbst daneben, vergebens nach einem Trost suchend. Gab es denn für Ilse überhaupt einen Trost? Wie hatte sogar ihn, den wetterfesten starken Seemann, die Unglücksbotschaft getroffen! Sein Albrecht, sein Stolz, sein Liebling! Ja, heute gestand er sich das „weichliche“ Wort zu: sein Liebling!

Jan Grenboom weckte seinen Herrn aus tiefer Versunkenheit. „Wie wär’s mit’m Mittag, Kapitän?“

Leupold schüttelte den Kopf. „Heut’ nicht! Könnt’ nichts ’runterwürgen. Iß Du, und mir bring’ ’n Schluck Portwein – mir ist miserabel zu Mut – hundselend!“

Jan entfernte sich brummend und kam nach einer Minute mit einem Theebrett wieder, auf dem ein großes Wasserglas stand, randvoll mit Portwein. Der alte Leupold nahm diesen „Schluck“ mit einer Schnelligkeit zu sich, die auf bedeutende Ubung schließen ließ.

„Mehr?“ fragte Jan.

„Nein! Nimm den Vogel und den Affen mit!“

Der Matrose machte Kehrt, prallte aber mit einem lauten: „Ahoi!“ von der Thür zurück, denn Ilse von Doßberg lief ihm beinahe in die Arme.

(Fortsetzung folgt.)



Blätter und Blüten.


E. Werner, die beliebte Erzählerin der „Gartenlaube“, hat sich vergangenen Winter in Aegypten aufgehalten und ist jetzt mit der Ausarbeitung eines neuen Romans beschäftigt, welcher im nächsten Jahrgang der „Gartenlaube“ erscheinen soll. Der Roman spielt zum Teil in Aegypten und entwickelt anziehende, farbenreiche Bilder aus dem Lande der Pharaonen. Selbstverständlich sind es aber auch dort Deutsche, welche als die hauptsächlichen Träger der Handlung auftreten; die fremdartige Landschaft und Staffage geben nur den reizvollen Hintergrund ab für die Gestalten und Geschicke des Romans. Wir freuen uns, den Lesern schon heute diese Mitteilungen über das entstehende Werk machen zu können, und hoffen, daß es der gefeierten Schriftstellerin vergönnt sei, ihre Arbeit in ungetrübter Schaffenskraft zu einem glücklichen Ende zu führen.

Steigerung der Kartoffelerträge. Wie viele Menschen giebt es wohl, die nur ein kleines Kartoffelfeld besitzen und diesem eine möglichst reiche Ernte abgewinnen möchten! Auch eine große Anzahl von Lesern und Leserinnen der „Gartenlaube“ dürfte sich in dieser Lage befinden. Darum einige Worte über Versuche, die jüngst vom Oekonomiekommissar Dr. Strecker angestellt wurden! Er ließ die Kartoffeln in verschiedenen Abständen von 35, 40 und 45 cm pflanzen, und da zeigte es sich, daß die engste Pflanzung den höchsten Ertrag lieferte. Die Mehreinnahme betrug 30 bis 38%, oder je nach der Kartoffelsorte 53 bis 87 Mark für den Morgen, dabei war der Mehraufwand an Geld und Arbeit bei der Pflanzung geradezu verschwindend klein. Bei der gartenmäßigen Kultur, wo die Behäufelung mit der Handhacke ausgeführt wird, kann man die Kartoffeln auch in Reihen, die nur bis 35 cm voneinander entfernt sind, anbauen und gewinnt dadurch noch mehr. Möchte dieser Wink in weiteren Kreisen Beachtung finden! *     

Schultheiß Wengi verhindert den Religionskrieg in Solothurn. (Zu dem Bilde Seite 280 u. 281.) Die Schlacht bei Kappel war geschlagen, die durch Ulrich Zwinglis Tod der Sache der Evangelischen in der Schweiz einen schweren Verlust gebracht hatte. Und ihre Gegner waren eifrig, diesen Vorteil auszunutzen, überall suchten sie die Reformierten aus den eroberten Gebieten wieder hinauszudrängen. Auch in Solothurn waren die Dinge dahin geraten, daß im Oktober 1533 die Evangelischen beschlossen, mit den Waffen in der Hand die Freiheit ihres Glaubens zu verteidigen. Noch einmal gelang es der Ueberredungskunst des kraftvollen Schultheißen Wengi, die Gemüter zu besänftigen, als aber die Reformierten sich in den Stadtteil jenseit der Aare zurückzogen, die Brücke hinter sich abbrachen und sich drüben förmlich verschanzten, da erbrachen die Katholiken das Zeughaus und pflanzten ein Geschütz am Ufer des Flusses auf, um den Kampf doch noch zu eröffnen. Schon war alles bereit – da eilte Wengi herbei, stellte sich selbst vor die Mündung der Kanone und rief: „Brüder, wenn Ihr Bürgerblut vergießen wollt, so fließe das meine zuerst!“ Das brachte die Erregten zur Besinnung, der Kampf unterblieb. Ein granitnes Denkmal in der Nähe der Stadt, der Wengistein, erinnert heute an den kühnen Mann, der in entscheidender Stunde Solothurn vor den Greueln des Bürgerkriegs bewahrte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 291. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_291.jpg&oldid=- (Version vom 25.6.2023)