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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Steuerbordmaschine betroffen wurde, konnte das Schiff, indem man den Dampf aller Kessel zur Backbordmaschine leitete, mit der einen Schraube noch immer eine Fahrt von 15 bis 16 Knoten einhalten, und man erzählt sich, daß die Passagiere von dem Stillstand der einen Maschine überhaupt nichts erfahren haben. Auch die Stetigkeit des Laufes wird, besonders bei hoher See, durch die Anwendung zweier Schrauben sehr begünstigt, da dieselben etwas kleiner gehalten sein können und deshalb bei starkem Wogenschlag weniger Gefahr laufen, aus dem Wasser zu geraten.

Nur einen Nachteil hat der Doppelschraubendampfer gegenüber seinem Vorgänger, den etwas höherer Bau- und Betriebskosten, und das ist auch wohl der Grund, der die Anwendung des Systems nicht bei allen unseren großen Gesellschaften gestattet hat. So sind es von den zwischen Europa und den Vereinigten Staaten verkehrenden Dampfern nur sechs oder sieben englische, sowie die jüngsten Schnelldampfer der „Hamburger Paketfahrt-Aktiengesellschaft“ und des „Norddeutschen Lloyd“ in Bremen, die zwei Schrauben besitzen; aber nachdem die Baukosten dieser Riesenschiffe sich einmal bis auf sechs Millionen und darüber gesteigert haben, wird der Kostenunterschied bald nicht mehr so ins Gewicht fallen, daß man nicht beim ferneren Bau von Schnelldampfern allenthalben zum System der Doppelschraube übergeht. Im Interesse der Sicherheit wäre das jedenfalls zu wünschen und schon heute sollte, wer einer zeitraubenden Havarie mit der größten möglichen Sicherheit ausweichen will, wenigstens im Winter die atlantische Ueberfahrt auf einem Doppelschraubendampfer machen.




Die Perle.

(16. Fortsetzung)
Roman von Marie Bernhard.
15.

Wie hart war der Winter gewesen! Mit eiserner Faust hatte er das Regiment geführt und es festgehalten weit über seine Zeit. Eine kurze Pause hatte er den Menschen zum Aufatmen gegönnt – nach dem Weihnachtsfest war’s gewesen – dann aber hatte er aufs neue den blinkenden Eisharnisch angethan und seinen frostigen Atem über See und Land gehaucht. Der März noch hatte seine unerbittliche Hand gefühlt. Schneewehen und eisige Kälte waren bis in die ersten Tage des April an der Tagesordnung. Dann aber kam ein gewaltiger Sturm, ein eiliger Regenschauer – und nun schlich schüchtern, auf leisen zögernden Sohlen der Frühling ins Land, ließ die Schneeglöckchen wie zaghafte Boten auftauchen, und als sie ein zuversichtliches Läuten anhoben, da schickte er die Lerchen und schickte die Veilchen, hing kleine flaumige Weidenkätzchen an die Bäume und tupfte auf alle kahlen Aeste winzige lichtgrüne Spuren. Dazu ging ein Hauch durch die Luft, warm und liebkosend. wie ein Kuß von geliebten Lippen.

Wie geschäftig die Schwalben um das alte Schloß zu „Perle“ flogen, wie emsig sie das Nesterbauen betrieben, mit schwirrendem Laut um die Zinnen kreisend, deren Wetterfahnen goldig im Sonnenlicht blinkten! Wie das weite blaue Meer funkelte und wohlig atmete im Sonnenschein! Die ernsten Tannen trieben feine hellgrüne Spitzchen, und aus dem Gewirr der uralten Eichenäste, die bisher so schwarz und kahl gen Himmel gestarrt, wand sich’s allmählich hervor in blaßbräunlichem Schimmer – die ersten Blättchen, noch scheu aneinander geklebt, ängstlich zusammengeduckt, aber von Tag zu Tag kräftiger sich entwickelnd, der Wärme, dem Licht entgegen.

Im Park war der Obergärtner mit seinen Gehilfen thätig. Er ersann neue Zusammenstellungen zu den Teppichbeeten, ließ die überwinterten Pflanzen herausbringen und war vom Morgen bis zum Abend bei der Arbeit; ein sehr geschickter Mann, in seinem Fach ein Künstler. Er bedauerte nur, mit seiner Kunst bei den Herrschaften so wenig Anerkennung zu finden. Der Herr Lieutenant kam sehr selten nach „Perle“ heraus, und wenn es geschah, dann sah er über alle neu angelegten Plätze und Beete hinweg, als wären sie Luft. Und auch das gnädige Fräulein war wie umgewandelt seit der Auflösung ihrer Verlobung, von welcher der Obergärtner ebenso wie das übrige Schloßpersonal sofort nach vollzogener Thatsache Kunde bekommen hatte. Sie, die sich sonst um alles und jedes kümmerte und von jeder Sache etwas zu verstehen meinte, ging jetzt still und gedrückt einher, gleichgültig gegen die ganze Welt, und die Versuche ihres Vaters, sie auf andere Gedanken zu bringen, schlugen fehl. Merwig, der immer alles in Erfahrung brachte, wußte, daß Herr von Montrose seiner Tochter vorgeschlagen hatte, eine Reise zu unternehmen, für den Winter und Frühling nach dem Süden zu gehen – die Baronin Norter ging mit ihrer Tochter, einer jungen Dame in Clémences Alter, nach Capri, später an die Riviera, das hätte den besten Anschluß abgegeben ... umsonst! Clémence weigerte sich eigensinnig, irgend etwas zu unternehmen, vergrub sich hartnäckig in ihren Kummer und sprach unaufgefordert kein Wort mit dem Vater. Wahrlich, der gnädige Herr konnte einem leid thun! Sie standen alle auf seiner Seite, von Merwig an bis herunter zum Küchenjungen – sie fanden es ganz in der Ordnung, daß er dem hochmütigen Lieutenant, der sich ja doch aus dem gnädigen Fräulein nichts machte und sich offenbar nur des Geldes wegen mit ihr verlobt hatte, so kräftig heimgegeigt hatte. Im übrigen kamen dem Obergärtner zuweilen seine eigenen Gedanken, wenn er den Blumenflor, der ins Verwalterhaus hinüberwanderte, so regelmäßig erneuern und die Grabstätte der verstorbenen Baronin Doßberg mit dem Schönsten schmücken mußte, was Treibhaus und Garten irgend hergaben. War es denkbar, daß der gnädige Herr ein Auge auf die junge Baroneß geworfen hatte? Es war allerdings nicht wahrzunehmen, daß die junge Baroneß den großmütigen Geber all dieser zarten Spenden irgendwie ermutigte, eher das Gegenteil. Der Obergärtner, dessen Wohnung so gelegen war, daß er ein großes Stück des Parkes überschauen konnte, darunter auch den Eingang zur Doßbergschen Familiengruft, sah die junge Dame im Winter oft durch den beschneiten Park ihren Weg dorthin nehmen, regelmäßig zehn Minuten später, nachdem Herrn von Montroses Schlitten davongeklingelt war. Sie mußte aus seinen Inspektionsfahrten und seinen Besuchen in die Nachbarschaft ein förmliches Studium gemacht haben. Freilich konnte ihr Vater ihr darüber den besten Bescheid geben, die beiden Herren fuhren nach wie vor, anscheinend im besten Einvernehmen, miteinander aus, wenn es galt, die Vorwerke zu besuchen und die Felder zu besichtigen; dann hatte Baroneß Doßberg freie Bahn. Schön war sie, wenn sie so eilig durch den winterlich ruhenden Park daherkam. Der Obergärtner öffnete zuweilen trotz der eindringenden Kälte sein Fenster, um sie besser sehen zu können, die feine biegsame Gestalt mit dem Gesichtchen, das so weiß und rosig unter dem breitrandigen Hut mit dem zurückgeschlagenen Trauerschleier hervorschaute. Und wenn sie gelegentlich für einen Gruß dankte und lächelte, dann war sie wirklich, wie sich der Obergärtner sagte, unwiderstehlich. Zwar kam dies Lächeln selten, meistens blickte sie ernst drein, sie mußte die Mutter wohl tief betrauern, hatte auch sonst offenbar noch allerlei stille Kümmernisse. Warum lief sie dem Postboten beinahe täglich entgegen, ließ ihn seine Tasche öffnen und ging dann traurig, mit enttäuschtem Gesicht, zum Verwalterhause zurück? Man hatte wohl gehört, der junge Herr, ihr Bruder, wolle zur See gehen, aber damit hatte es doch noch gute Wege; der saß fürs erste wohlgeborgen in Kiel, um zu lernen, und das mußte er noch eine ganze Zeit lang thun, ehe er aufs Schiff kam – also dem konnte ihre Sorge nicht gelten. Wem aber sonst?

Jetzt, da der Park sich mit neuem Grün schmückte, jubelnde Vogellaute aus Baum und Hecke klangen und die Blumen nach einem warmen Regen eilig aus der dunkeln Erde emporsproßten, kam Ilse von Doßberg noch häufiger äls früher in den Park zur Grabstätte. Herr von Montrose ritt jetzt viel aus, allein oder mit seinem Verwalter. Er hatte sich ein neues Reitpferd angeschafft, einen wunderschönen Goldfuchs, „Mazeppa“ geheißen den ritt er sich zu. „Mazeppa“ war schön und ungebärdig, die Stallknechte wußten von ihm zu sagen. Tückisch konnte man ihn nicht nennen; wenn er einmal stand – „wie ein Lamm“ – so blieb es auch dabei, aber bis es dahin kam! Das ganze Personal versammelte sich, sobald Philipp das Pferd vorführte und Herr von Montrose aufsaß; die Männer liefen vor die Thür, die Frauenzimmer ans Fenster. Auch Baron Doßberg kam gewöhnlich dazu, er teilte das allgemeine Interesse für „Mazeppa“ und hatte trotz seiner großen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 286. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_286.jpg&oldid=- (Version vom 31.3.2021)