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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

die Höhe und verschwand im schießenden Wasser der Ache. Schluchzend hatte Rötli das Kleinod noch haschen wollen; aber Sigenot hielt die Schwester fest und führte sie mit sich fort. Recka sprengte über die Brücke und den Reitweg empor, daß ihr Rappe zu schnauben und zu schäumen begann; wie versteinert waren die Züge ihres Gesichtes, doch ihre Augen schimmerten feucht. Als sie das Thor erreichte, hörte sie aus dem Burghof lautes Johlen und schallendes Gelächter. Mit jähem Ruck verhielt sie das Pferd. „Sie lachen und ich möchte schreien in Schmerz und Zorn!“ Ungestüm wandte sie den Rappen und nahm den Weg wieder thalwärts. Hinter ihr schallte das Geschrei und das johlende Gelächter, über welches eine kreischende Stimme sich hinaushob.

Mitten unter Wazemanns Knechten und Mägden stand Bruder Wampo, welcher gekommen war, um Eberweins Weisung zu erfüllen und Waze mit seinem Sohne Henning vor den Herrensitz im Lokiwald zu laden. Gedrückten Mutes, hungrig und müde, hatte der Bruder Wazemanns Haus erreicht, mehrmals auf dem Wege war er gar übel in die Irre geraten, und hatte er einen Hag gefunden, so war trotz all seines Rufens das Thor geschlossen geblieben. Das hatte ihn mit böser Ahnung erfüllt. „Geschieht mir so von den Knechten, wie werden sie mit mir umspringen im Herrenhaus!“ Klopfenden Herzens und den Blick der Sorge in den kleinen Aeuglein, hatte er, endlich an seinem Ziele angelangt, den Burghof betreten; als die Knechte und Mägde zusammenliefen und ihn unter lachenden Reden beguckten wie ein drolliges Wundertier, lehnte er schweigend den Stab an die Mauer, wickelte den Rosenkranz um die Linke, als wäre die geweihte Perlenschnur sein Schild, und zog gleich einem Schwerte das hölzerne Kreuzlein aus dem Gürtel. „So, jetzt kommet nur an, jetzt bin ich gewappnet!“ Er trat den Lachenden entgegen, doch seine Stimme schwankte ein wenig, als er nach dem Herrn des Hauses fragte. Kaum aber hörte er, daß Herr Waze mit seinen Söhnen ins Gejaid gezogen wäre, da richtete er das runde Köpflein auf, und es wuchs ihm der Mut wie dem Hasen im Kleefeld, das der Bauer mit der Sense verläßt. Mit hohen Worten verkündete er die Wichtigkeit seiner Sendung. „Und ich rat’ Euch, erweiset mir alle Freundlichkeit und Ehrfurcht, auf daß Ihr Eurem Herrn einen guten Fürsprech’ an mir gewinnet! Denn ich sag’ Euch: er kann ihn brauchen. Sonst möcht’ ihn wohl das Grausen ankommen vor dem Gericht, das ihn erwartet!“ Die Mägde nahmen diese Rede mit Verblüffung auf, die Knechte mit Schreien und Gelächter. „Was lacht Ihr und sperrt die Mäuler auf?“ rief Bruder Wampo mit aller Würde, die er sich zu geben vermochte. „Führet mich in das Haus, daß ich Euren Herrn in Ruh’ erwarte. Und ich sag’ Euch: in die beste Stub’, darin das Tischlein gedeckt ist und der Krug gefüllt, wie es einem fürnehmen Gaste zukommt ...“

Unter dem Gelächter der anderen warf sich eine Magd auf die Knie. „So fürnehmen Herrn muß man grüßen mit Fingerkuß!“

Freundlich blickte der Bruder auf sie nieder und reichte ihr die Hand. „Deine Demut soll Dir vergolten werden mit reichem Lohn!“ Als aber die Magd nicht seine Hand, sondern die eigene küßte und lachend aufsprang, wurde seine Stirne dunkelrot, und zornig rief er: „Wartet nur, hinter mir wird einer kommen, der wird es Euch verleiden, Gespött zu treiben mit einem frommen Mann! Ich sag’ Euch zum letztenmal: jetzt führet mich ins Haus! Ich bin nur ein bescheidener Gottesknecht und für mich selber möcht’ ich keinen Tropfen und kein Bröselein begehren. Aber ich bin gekommen an meines Herrn Statt, und seinetwegen will ich kein Härlein von der Ehr’ vermissen, die ihm zukommt! Gebet Gott, was Gottes ist, oder es könnt’ geschehen, daß der Teufel an Euch sein Recht begehrt!“

Die Mägde lachten, die Knechte wurden grob, und einer schrie: „Aber so führet ihn doch zum Mahl, es ist ja schon aufgetragen, schnell, schnell, sonst fressen ihm die anderen alles weg!“ Er faßte Wampos Arm, zerrte den Verblüfften zu einem Schuppen und öffnete vor ihm das Thürlein des Schweinestalles. „Da, fang’ nur gleich an! Und tummel’ Dich, daß Du nicht zu kurz kommst!“

Es fehlte nicht viel, so hätte Bruder Wampo in seinem Zorn dem Knechte das Kreuz auf den Kopf geschlagen; doch ehe sein Arm noch fiel, besann er sich. Unter dem dröhnenden Gelächter, das ihn umgab, küßte er das Kreuz und verbarg es mit dem Rosenkranz unter seiner Kutte, an der Stelle des Herzens. Zwei dicke Zähren rollten über seine zitternden Backen, während er die Augen zum Himmel hob: „Thu’ mir nicht zürnen, Du Allgütiger, weil ich Deine heiligen Zeichen an einen solchen Ort getragen hab’!“ Dann ballte er die Fäuste, und kreischend hob sich seine Stimme: „Nur her auf mich! Meint Ihr, daß ich Furcht hab’ vor Euch? Ihr Unfläter, Ihr Stallbrüder von denen da drinnen! Und ob Ihr mich auch zerreißet, ich will keinen Schrei wider Euch zum Himmel thun. Denn Gottes Hand ist mir viel zu gut und heilig, als daß ich sie anrufen möcht’ zur Hilf’ gegen Euch! Ihr Teufelsbraten übereinander! Grausen thut mir vor Euch! Und möchtet Ihr mich gleich zu einem Mahl führen, wie es der Kaiser hat, nicht hinrühren thät’ ich mit einem Finger! Euch aber, wartet nur, Euch wird eine Schüssel aufgetragen werden mit einer brenzligen Supp’, von der ein übler Geruch ausgeht und ein heißer Dampf!“

Diese Prophezeiung trug dem Bruder einen Puff ein, der ihn wanken machte. Aber nicht schweigen! Wie ein mutiger Jagdhund inmitten der Wolfsmeute, so stand er und biß um sich mit den scharfen Worten seines Grimmes. Die Adern schwollen ihm an Hals und Schläfen, in dunkler Röte brannte sein Gesicht, und der Schweiß rann ihm in hellen Bächlein über den Kahlkopf und die Backen. Jedes saftige Schmähwort, das sie ihm zuschrien, jeder Stoß, der ihm an die Rippen fuhr, mehrte noch seine Tapferkeit. „Schimpfet nur und schlaget mich, es kommt schon die zahlende Stund’! Wie der Sturmwind über das Getreidefeld wird der Teufel herfahren über Eure Köpf’! Es hat schon gerumpelt heut’ nacht – da hat er sein Schürhakl aus dem Feuer gerissen! Aber wartet nur, wenn er ausfahrt aus dem Berg, mit glühenden Hörnern und feuriger Zung’ ...“ Allein seine Stimme, ob sie auch schmetterte wie eine Trompete, ging unter in dem Geschrei und Gelächter, in dem Höllenlärm, der ihn umringte ... denn das Geschrei im Hofe hatte auch alle Stimmen in den Ställen geweckt, die Hunde im Zwinger kläfften wie toll, im Käfig brummte der Bär, und der Wolf saß auf den Hinterbeinen und heulte gradauf in die Luft.

Sie spielten dem Bruder so übel mit, daß in einer der Mägde das Erbarmen erwachte, sie riß ihn aus dem Knäuel und lachte. „Jetzt laßt ihn aber endlich in Ruh’! Schauet ihn nur an; er schwitzt ja schon!“

„Jawohl, ich schwitz’, jawohl!“ schrie Bruder Wampo atemlos. „Und jedes Tröpflein, das ich vergieß’, ist eine Ehr’ für mich. Denn ich gleich’ dem schwitzenden Philosophen, dem eines Tages ein Freund begegnet ist. ‚Warum schwitzest Du?‘ hat ihn der Freund gefragt. Und der Philosoph hat erwidert: ‚Weil ich mich herumgeschlagen habe mit Unflätern und Dummköpfen!‘“

Ein Dutzend Hände griffen nach ihm, und da der Bruder merkte, daß die Reise vor die Mauer beginne, rief er mit kreischender Stimme: „Nur zu, nur zu! Und ich bitt’ Euch, gebet mir nur einen festen Schwung! Denn mein Wohlthäter ist ein jeder, der mich hinauswirft aus einem solchen Haus. Eurem schiechen Hauswirt aber saget, daß er geladen ist vor Gericht, zwischen heut’ und dem dritten Tag! Stehen soll er vor meinem Herrn wie das Wölflein vor dem Löwen ...“

Bruder Wampo fand nicht Zeit, seine Rede zu vollenden; seine Bitte, ihm einen „festen“ Schwung zu geben, wurde flink und redlich erfüllt. Aber nicht das Fallthor hatten sie für ihn geöffnet, sondern das schmale Pförtlein über dem Felsenstieg, und da war es ein Glück, daß Bruder Wampos Bäuchlein in dem Thürloch einen harten Durchlaß fand, dessen Reibung die Kraft des Schwunges linderte, sonst wär’ es ihm wohl kaum gelungen, mit den Händen noch das Seil zu haschen, das an der steilen Felswand befestigt war. Ein Schwindel befiel ihn fast, als er von der knappen Stufe niederblickte in die Seetiefe, und doch verließ ihn der Mut nicht. „Bin ich denen da drin entronnen, so komm’ ich wohl auch noch heil da hinunter.“ Unter einem Stoßgebetlein begann er den Abstieg. Das war für ihn ein doppelt bedenklicher Weg, denn die Stufen waren schmäler als die Breite seines Leibes, und er mußte sich krampfhaft an die Felswand drücken, um das Uebergewicht seines irdischen Teils nach Möglichkeit zu mindern. Während er sich mit zitterndem Fuß von Stufe zu Stufe tastete, klang über ihm das Geschrei der Wazemannsleute, deren Köpfe auf der Mauer erschienen waren. Es regnete üble Scherzworte auf ihn nieder und auch sonst noch mancherlei Dinge, für deren nähere Betrachtung dem Bruder auf seinem bösen Wege keine Zeit verblieb.

(Fortsetzung folgt.)


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 282. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_282.jpg&oldid=- (Version vom 12.8.2020)