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verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Der Diakonissenberuf.[1]

In Nr. 51 des vorigen Jahrgangs der „Gartenlaube“ befindet sich ein Aufsatz über die Diakonissenfrage, dessen Ausführungen nicht auf alle Mutterhäuser Anwendung finden. Es sei mir daher gegenüber den Schäden, die dort von manchen Anstalten behauptet werden, ein Hinweis auf bessere Zustände gestattet, eine Schilderung, wie sich das Leben der Diakonisse in normalen Verhältnissen schön und friedlich abspielt, frei von Not und Sorge im geschützten Heim.

Es ist ein trauriges Vorurteil vieler Eltern, daß sie ihre Töchter lieber in geschäftigem Nichtsthun ihre Tage verbringen lassen, als daß sie ihnen den Eintritt ins Diakonissenhaus gestatten. Selbst da, wo die Notwendigkeit des Erwerbes an das junge Mädchen herantritt, wird jeder andere Beruf lieber ergriffen als jener der Diakonisse, der doch so viel innere Befriedigung gewährt. Wie unselig ist dagegen oft das Leben z. B. für die, welche sich als „Stütze der Hausfrau“ ihr Brot verdienen müssen, was verlangt man da nicht alles, von dem so ein Mädchen gar nichts versteht, nichts verstehen kann! Und wie sicher und freundlich wird die Krankenpflegerin für ihr Amt vorgebildet! Freilich, das soll nicht bestritten werden, daß junge und etwas verwöhnte Damen, die aus der schützenden Pflege des Elternhauses in die Anstalt eintreten, den Unterschied von Familie und Anstalt manchmal schwer empfinden, namentlich im Anfang. Aber ist nicht der Eintritt in jedes andere Amt, in jeden Erwerb schwierig und bedarf ernster Ueberwindung, um das Begonnene durchzuführen? Wenn die Diakonisse nur über die genügende Ausdauer verfügt und einer tüchtig und vernünftig geleiteten Anstalt dient, so gestaltet sich ihr Dasein bald freundlich und befriedigend, und selbst das, was sehr viele besonders abschreckt, das streng geregelte Anstaltsleben, die Forderung unbedingten Gehorsams, wird ihr nicht schwer werden in dem Gedanken, daß ein großes Gemeinwesen, das die verschiedensten Kräfte und Persönlichkeiten zu gemeinsamem Zwecke vereint, eben unbedingt streng geregelt sein muß. Was nicht durch diesen notwendigen Zweck geboten ist, das allerdings sollte vermieden werden, um die Schwestern nicht zu sehr zu belasten, das geschieht aber auch, wo es irgend geht. Jedenfalls in dem Berliner Diakonissenhans „Bethanien“ und in der Anstalt zu Stettin, die ich kenne, sind die Schäden alle vermieden, die in dem früheren Artikel der „Gartenlaube“ von Mutterhäusern behauptet wurden: Belastung mit grober Arbeit und übermäßigem Nachtwachen, Mangel an Urlaub. In den genannten Anstalten wird die grobe Arbeit, wie das Scheuern der Treppen u. s. w., nicht mehr von den Schwestern verrichtet, sondern von besonders dazu angestellten Dienstmädchen. Dadurch wird die Kraft der Diakonissen für ihren eigentlichen Beruf gespart. Jedes junge Mädchen, welches nach Einsendung der erforderlichen Papiere in eines jener Diakonissenhäuser eintritt, wird zunächst Probeschwester; als solche wird sie einer erfahrenen Diakonisse zur Ausbildung zugeteilt. Sie beginnt ihre Lehrzeit auf der Kinderstation und geht nach und nach zu den andern Abteilungen über, bis sie so im Laufe eines Jahres den ganzen Kreis ihrer künftigen Pflichten durchlaufen hat. Falls sie nun den Erwartungen entsprochen und sich zur Krankenpflegerin geeignet gezeigt hat, wird sie Novize und erhält die Anstaltskleidung, während die Probeschwestern selbst für ihre Kleidung zu sorgen haben. Nach einigen Jahren wird die Novize durch feierliche Einsegnung in die Gemeinschaft der Schwestern aufgenommen. Von jetzt an sorgt das Haus für alle ihre Bedürfnisse, und zwar in einer Weise, daß man auch von Belastung mit übermäßigem Nachtwachen und von Mangel an Erholungszeit nicht reden kann. In Betreff der Nachtwachen herrscht großer Irrtum im Publikum. Diejenigen Schwestern, welche den Tag über in den Krankensälen arbeiteten, wachen überhaupt nicht; um sieben Uhr schließt der Arbeitstag dieser Diakonissen, sie begeben sich dann zum gemeinsamen Abendbrot, später zur Hausandacht und haben nun ihre Zeit für sich bis zum Schlafengehen. Um neun Uhr beginnt die Nachtwache auf allen Stationen und dazu werden die Schwestern der Reihe nach bestimmt. Dabei wachen dieselben Schwestern immer 3 bis 4 Wochen hintereinander, denn man hat gefunden, daß auf diese Art der Nachtdienst am leichtesten und für die Gesundheit am zuträglichsten ist. Unmittelbar vor Beginn der Nachtwache erhält die Schwester ein gutes reichliches Essen, bestehend aus Fleischbrühe, Braten und Zubehör; auch steht ihr die ganze Nacht warmer Kaffee mit Butterbrot zur Verfügung. Morgens sechs Uhr giebt sie die Station wieder an eine andere Schwester ab; sie frühstückt, legt sich schlafen und hat bis abends ein halb sieben Uhr, wo sie wieder ihr Essen erhält, nichts mehr zu thun. Da ist also doch gehörig Zeit, sich auszuruhen, bis der neue Wachdienst beginnt. Wenn die Schwester will, kann sie ihre Erholung in einem schönen großen Garten suchen, der mit der Anstalt verbunden ist. Ueberhaupt ist für die Erholung gut gesorgt. Jedes Jahr geht ein Teil der Diakonissen in die Sommerfrische auf Kosten der Anstalt „Bethanien“, die dazu ein eigenes großes Haus in dem Ostseebad Heringsdorf besitzt. Monatelang ist dieses Heim jedes Jahr von erholungsbedürftigen Schwestern besetzt. Auch wird jedes andere Bad, das der Arzt verordnet, auf Kosten der Anstalt gewährt.

Sind die Schwestern alt, krank oder sonst dauernd arbeitsunfähig, so werden sie im „Feierabendhause“ zeitlebens aufs beste verpflegt, sie haben den schönen Anstaltsgarten zur Benutzung, Geselligkeit im Kreise der Schwestern und für einsame Stunden eine gute Bibliothek. Ich meine, das sind doch keine schlechten Aussichten für ein alleinstehendes erwerbsbedürftiges Mädchen, Aussichten, wie sie sich in nicht vielen anderen Stellungen bieten. Allerdings ist die Krankenpflege, ist das ganze gemeinsame Leben in so großem Kreise etwas, das man erst lernen muß, um sich darin behaglich zu fühlen, aber Gewohnheit und guter Wille thun auch hier unglaublich viel. Im übrigen steht es allen Schwestern frei, jederzeit wieder auszutreten; indessen geschieht dies freiwillig äußerst selten, wohl aber können ungeschickte oder nicht zuverlässige, also unbrauchbare Schwestern nach wiederholter Warnung entlassen werden. Jedoch begegnet das nur den Probeschwestern oder Novizen, die eingesegneten Schwestern sind Mitglieder der Gemeinschaft geworden und können wohl freiwillig austreten, aber nicht mehr fortgeschickt werden. –

Nach allen meinen Erfahrungen darf ich mit Recht sagen: es giebt keinen schöneren Beruf als den der Diakonisse, und dieser Beruf ist zugleich gesichert gegen Verlassenheit und Not. Darum sollten immer mehr von den Mädchen, die einen Arbeitskreis suchen und sich ihre Zukunft nützlich und sicher gestalten wollen, dem Diakonissenberuf sich zuwenden. A. E.     




Die Perle.

Roman von Marie Bernhard.

(15. Fortsetzung.)

Seitab im Park zu „Perle“ lag die sogenannte Familiengruft der Doßbergs, ein weites Stück Land, von einer dicken grauen Steinmauer umgrenzt. Ein hohes Portal bildete den Eingang, dessen Spitzbogen das Wappen des Geschlechtes zeigte. Seitdem das erste Begräbnis der Familie, die Wolframskapelle drüben, sich als zu klein erwiesen hatte, um alle Särge zu fassen, seit etwa achtzig oder neunzig Jahren wurden die Doßbergs hier im Park beerdigt. Ein schöner stiller Platz war’s; hier sang im Frühling ein ganzer Chor von Nachtigallen sein schwermütig süßes Lied, hier wuchsen wilde Blumen in Menge, hier wiegten sich im Sonnenschein die Häupter prachtvoller Linden und Kastanien. Heute lag Schnee auf den Bäumen, aber Sonnenschein war doch da; wehmütig bleiches Wintersonnenlicht lag auf den im weißen Schmuck strahlenden Zweigen, kein Windhauch spielte in ihnen, eine weiche stille Luft gab ein trügerisches Vorspiel des Frühlings, der doch noch so fern war, so fern. Die hohen Flügel des Portals waren weit zurückgeschlagen, Tannengewinde darum geschlungen. Hohe Tannenbäume waren in regelmäßigen Abständen in die Erde gegraben, sie bezeichneten den Weg nach dem offenen Grabe, neben dem ein Teil der Schloßdienerschaft stand. Aus dem Treibhaus waren alle Lorbeer-, Orange- und Myrtenbäume hierhergeschafft worden, die Palmen bildeten einen kleinen Wald für sich. Der Obergärtner wußte genau, daß ihm von den zarten empfindlichen Palmenarten viele eingehen würden, trotzdem es heute gelindes Wetter war, aber er hatte gemessenen Befehl erhalten, alles zu schicken und später die etwa verdorbenen Exemplare durch neue zu ersetzen. Die Dorfbewohner hatten Zutritt zum Park, in weitem Bogen umstanden sie in ihren Sonntagskleidern die Gruft und staunten über die pomphaften Vorkehrungen; sie waren der Meinung, keine Königin könne herrlicher beerdigt werden als ihre „Gnädige“, die sie so selten und in den letzten Jahren nie mehr zu Gesicht bekommen hatten. Seitwärts stand der Lehrer mit seinen Schulkindern; er war ein musikalischer Herr, hielt seinen Chor tüchtig zusammen und freute sich, heute einmal Gelegenheit zu finden, den Herrschaften sein Können zu beweisen. Sein strenger Blick musterte die Reihen der Schüler und rügte jede vorwitzige Bewegung, jedes Hüsteln oder Flüstern.

Im Wirtschaftshof der „Perle“ stand eine wahre Wagen-

und Schlittenburg, die von einer Viertelstunde zur andern wuchs.


  1. Wir geben in Anbetracht der Wichtigkeit der von uns in Nr. 51 des vorigen Jahrgangs angeregten Diakonissenfrage gern auch einer Vertreterin der bestehenden Zustände Raum zur Entgegnung. Ihre Ausführungen kommen uns ganz gelegen, denn was sie namentlich von dem Hause in Berlin berichtet und was, wie uns mitgeteilt wird, zugleich von einer Reihe anderer Anstalten gilt, das sollte auch dort eingeführt werden, wo es noch keine Aushilfe für die grobe Arbeit, keine Feierabendhäuser und keine Ferien für die „Schwestern“ giebt. Gegenüber von manchen uns auch sonst anläßlich jenes Artikels zugekommenen Briefen legen wir Wert darauf, zu erklären, daß die Absicht bei seiner Veröffentlichung nicht entfernt die war, vor dem Diakonissenberuf zu warnen, sondern ganz im Gegenteil, durch Aufdeckung der Schäden, welche ihm hin und wieder anhaften, den so wünschenswerten Eintritt recht vieler Mädchen aus gebildeten Kreisen zu ermöglichen und zu veranlassen.       Die Redaktion.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 271. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_271.jpg&oldid=- (Version vom 11.3.2021)