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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

heraus bis an die Lände. „Der Bid! Der Bid!“ stammelte Rötli und umschlang mit beiden Armen den Stamm des Kreuzes. Auch Wicho griff mit hastiger Hand nach dem heiligen Holz.

Nun war wieder Stille; nur der See rauschte und klatschte im Röhricht und warf im Dunkel seinen Schaum über die Lände. „Ich hab’ mir gleich gedacht, daß ’was geschehen muß,“ flüsterte der Knecht, tief atmend. „Der Bid hat das Heilholz gesehen, und das hat ihm nicht getaugt. Und vor Wut ist er heruntergesprungen in den See aus aller Höh’.“

„Er wird doch nicht auf den Alben gewesen sein!“ stotterte Rötli in bebender Angst. „Sell ist der Ruedlieb droben!“

Noch schlummerte die Liebe in diesem jungen Mädchenherzen; doch ihre Sorge wurde wach und lebendig in der Stunde der Gefahr und flog auf den Schwingen zärtlicher Angst empor durch die Nacht, den fernen Knaben suchend. Und in der gleichen Stunde geschah es, daß Ruedlieb auf der Reginalm aus der Hütte stürzte. Das Geschrei der Sennen und Alberinnen umgab ihn, das Gebrüll der rasenden Kühe, das Dröhnen der fallenden Steinlawinen … und er preßte die Hände an die Schläfe, ftarrte in die finstere Tiefe und lallte. „All Ihr guten Mächt'! Es wird doch dem Rötli nichts geschehen!“ …

Wie in der Ramsau, so hatte auch in der Martinsklause die Glocke geläutet, ohne daß eine Hand ihren Strang gezogen hätte. Eberwein und die Brüder waren vom Lager gesprungen, und während Schweiker das Feuer entzündete, lag Wampo auf den Knien und betete mit lallender Stimme. Eberwein wollte in Waldrams Zelle eilen, doch auf der Schwelle trat ihm Waldram entgegen, mit bleichem Gesicht, das kleine Holzkreuz in der erhobenen Hand. „Die Zeichen mehren sich! Und Gottes Stimme mahnet in der Nacht wie Donner! Will Dein Auge noch immer nicht sehen, Dein Ohr noch immer nicht hören?“

„Ich höre, wie die Mächte der Finsternis sich sammeln zum Streite gegen zitternde Menschen, und werde sehen, wie Gottes Macht die Geister der Vernichtung bändigt, wie Gottes Liebe sich erweist an seinen Kindern!“ Eberwein trat mit den Brüdern hinaus in die Nacht, da machte unter dumpfem Rollen der zweite Stoß den Grund erzittern, und die Glocke wimmerte. Auf dem Berghang über dem Teich löste sich eine Schuttlawine; die Finsternis deckte ihren Fall, aber ihr Rauschen und Gepolter hallte in der Nacht, und hüpfende Steine sprangen über die Rodung, kollerten um die Füße der Mönche und schlugen an die hölzerne Mauer der Klause. Bruder Wampos Knie brachen vor Angst, bleich stand Schweiker, eine lodernde Fackel erhebend; seine Augen starrten in Angst und Sorge hinweg über die schwarzen Wipfel der Bäume, einer fernen Höhe zu, und leise stammelten seine Lippen einen Namen.

Eberwein hatte die Arme erhoben, und zu den Sternen aufblickend, deren Glanz in der weichenden Mondhelle wuchs, sprach er mit fester hallender Stimme die Worte eines Psalms; da fühlte er seinen Arm erfaßt mit heftigem Griff, Waldram stand vor ihm.

„Was willst Du?“

„Folge mir und sieh mit eigenen Augen, was geschehen ist!“ Er zog ihn am Arm hinter sich her in das Kirchlein, welches der Schein der ewigen Lampe matt erleuchtete. „Blick’ auf zu ihm!“ rief Waldram und deutete nach dem Kreuzbild; aus den Händen des Bildes hatten sich die Nägel gelöst, und vorgeneigt, nur mit den Füßen noch haftend, hing es am Kreuz, als wollt’ es mit jedem Augenblick zur Erde stürzen. „Verstehst Du die Sprache dieses Zeichens?“

„Ja, Waldram!“ erwiderte Eberwein mit ruhigem Wort. „Sie sagt mir, daß ich morsches Holz für die Nägel wählte.“ Er löste seinen Arm und ging in die Klause, um den Hammer zu holen. Nach einer Weile hallten die Schläge. Weithin klangen sie in der Nacht …

Der Reiter, welcher auf keuchendem Pferd über die Felder der Strub jagte, hob lauschend den Kopf. „Die haben es aber nötig! In solch einer Nacht noch schaffen sie!“ Er duckte sich wieder und schlug dem Roß die Gerte über den Schenkel. Ueber die Schönau ging sein Weg, zum Falkenstein. Die Weiber, welche den Hufschlag hörten, stammelten zitternd: „Die Untersberger reiten.“

Fackelschein leuchtete in Wazemanns Burghof, und der Reiter fand das Thor geöffnet und die Brücke gesenkt. In Gruppen standen die Knechte und Mägde umher, während droben in der erhellten Halle Herr Waze saß, nur vom Hausrock umhüllt, mit nackten Beinen; seine Leute hatten ihn aus Bett und Stube herausgezerrt in die Halle; hier war er wieder eingeschlafen im Rausch und schnarchte mit offenem Mund. Der Knecht, der aus dem Sattel gesprungen war, stolperte über die Treppe hinauf und weckte den Schläfer. „Auf, Herr, auf, auf!“

Herr Waze hob den Kopf, glotzte in das Gesicht des Knechtes und erkannte ihn, er wollte sich aufrichten, doch seine Füße trugen ihn nicht, und fluchend fiel er wieder zurück auf die Holzbank.

„Auf, Herr, auf! Wer kann denn schlafen in einer solchen Nacht! Habt Ihr denn nicht gehört … es hat die Erd' gerumpelt!“

„Laß rumpeln,“ lallte der Berauschte, „und erzähl’! Wie war’s beim Thing?“

„Das Thing hat für Euch gesprochen, wider die Klosterleut’!“

Mit gröhlendem Lachen schlug Herr Waze die Fäuste über den Tisch.

„Der Käfig, den ich ihnen gebaut hab’, hat gute Stangen! Jetzt sollen sie springen, die Kutten! Erzähl’, Bub’, erzähl’ … wer hat wider mich geredet?“

„Der Fischer.“

„Den Tod an seinen Hals!“

„Und Eigel, der Kohlmann.“

„Wart’, Rußiger, ich such’ Dich heim an Deiner Kohlstatt! Ich weiß Dir ein heißes Bett in Deinem Meiler. – Wer noch? Wer noch?“

„Der Kaganhart! Der hat geraten, den Pechbrand in Euer Haus zu werfen.“

Herr Waze sprang taumelnd auf. „Zacho! Heripot!“ schrie er mit kreischender Stimme. Zwei Knechte kamen gesprungen. „Hinunter! Hinunter, sag’ ich, hinunter zu der Hilmtrud Haus! Den roten Hahn aufs Dach! Ich will das Aug’ nicht wieder schließen, eh’ ich die Keuch’ nicht brennen seh’. Weiter! Weiter! Soll ich Euch Füß’ machen?“ Herr Waze hob die Fäuste zum Schlag, doch er taumelte und fiel mit halbem Leib über den Tisch hin.

Die Knechte eilten davon, und der zuckende Schein der Fackeln, welche sie trugen, glitt niederwärts durch den Bergwald. Als sie der Achenbrücke sich näherten, hörten sie den hellen Schrei einer Mädchenstimme. Es war der Freudenschrei, den Edelrot ausgestoßen bei ihres Bruders Heimkehr. Am Waldsaum vor der Schönau mußten die Knechte hinter Gebüsch sich bergen. In allen Höfen war es lebendig; überall klangen in der Nacht die schrillen Stimmen der Weiber, die heiseren Rufe der heimkehrenden Männer. Einer rannte über die Halden, keuchend und stolpernd, kaum trugen ihn seine Füße noch, sein Weib, das im Dunkel harrte, hatte ihn schon gewahrt und schrie. „Bauer, Bauer!“

„Hilmtrud!“ klang die halb erstickte Antwort.

Sie lief ihm entgegen, umfaßte mit ihren derben Armen den Wankenden und schleppte ihn zum Hagthor. „Dank allen Gutholden! Weil Du nur wieder daheim bist!“

„Steht unser Haus noch?“ keuchte er mit erlöschendem Atem. „Steht’s noch?“

„Wohl, wohl! Schau’ hin: noch alleweil steht’s!“

Er taumelte in der Finsternis auf die hölzerne Mauer zu und griff nach ihr mit zitternden Händen, lachend und schluchzend. Da faßte das Weib seinen Arm, und bebende Angst klang aus der heiseren Stimme. „Sag’, Bauer, sag’ … gelt, Du hast im Thing nicht geredet wider Wazemann?“

Kaganhart zögerte mit der Antwort; dann stotterte er, nach Atem ringend. „Was Dir aber einfallt! Kein Wörtl hab’ ich geredet, kein einzigs Wörtl!“ Und mit scheuen Augen schielte er im Dunkel nach dem Gesicht seines Weibes.

Dies atmete Hilmtrud auf. „So ist alles gut!“

„Was ist gut? Ich versteh’ Dich nicht!“

Das Weib schüttelte den Kopf und stieß mit dem Ellbogen die Hausthür auf.

„Aber so red’ doch!“

„Laß mich in Ruh’! Wenn Du schon merkst, daß ich nicht reden will, was fragst denn noch?“

„Ja muß denn da schon wieder gescholten sein, weil ich auch einmal das Maul aufthu’ zu einer Frag’!“

„Wirst nicht Ruh’ geben?“ klang die drohende Stimme des Weibes aus der Thür. „Wirst nicht herein kommen?“

„G’rad nicht, jetzt g’rad nicht! So ’was! Das könnt’ mir

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 262. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_262.jpg&oldid=- (Version vom 14.8.2023)