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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Forderungen edler Weiblichkeit, sondern ganz im Gegenteil derselben erst zu ihrem rechten und vollen Wert verhelfen. Als eindrucksvollste Persönlichkeit der Versammlungen hält neuerdings in Vertretung der hochbetagten ersten Präsidentin, Frau Otto-Peters, die zweite Vorsitzende, Fräulein Auguste Schmidt, die Eröffnungsrede. Zweimal schon (1871 Nr. 49, 1883 Nr. 44) hat die „Gartenlaube“ die Verdienste dieser seltenen Frau und die geistvolle, warm zu Herzen dringende Beredsamkeit geschildert, womit sie schon oft eine Zuhörerschaft, die zum großen Teil aus Männern bestand, hingerissen hat. Etwas von den militärischen Eigenschaften des Vaters, eines Breslauer Offiziers, muß auf die 1833 geborene Tochter übergegangen sein, denn mit einer in damaliger Zeit für Mädchen ihres Standes sehr ungewöhnlichen Entschlossenheit erwählte sie, von dem Bedürfnis nach ernster Thätigkeit getrieben, den Lehrberuf, den sie erst als Erzieherin, dann als Lehrerin in Breslau und schließlich als Leiterin eines eigenen Instituts in Leipzig ausgeübt hat. Daß eine an Kopf, Herz und Charakter gleichmäßig starke Frauennatur gerade auf diesem Feld das Höchste zu leisten vermag, das beweist die begeisterte Verehrung von Generationen ihrer Schülerinnen. Dabei behielt sie, trotz anstrengendsten Berufsdienstes, Frische und Freudigkeit für die Aufgaben des Frauenvereins, welche sie noch kürzlich (Oktober 1893) in Nürnberg in einer prächtigen Rede entwickelte. Die Schlußworte lauteten: „Nicht im Genießen, in ernster Arbeit werden die Tugenden des Weibes, der Mutter geboren. Nicht im Dilettantismus, in der strengen Schulung reift die Einsicht. Auch die Töchter der bevorzugtesten Klassen sollen sich in Reih und Glied mit der arbeitenden Menschheit stellen, an Arbeit in den Kindergärten, Mädchenhorten etc. wird es nicht fehlen, und würdiger als im Ballsaal lernen sie hier das Leben kennen … Wir brauchen studierte Lehrerinnen für die Oberklassen der höheren Mädchenschulen, wir brauchen tüchtige Aerztinnen …“ Sie führte dann eine Reihe von Humanitätsaufgaben auch für die Frauen und Familienmütter an und schloß: „In diesem Sinne will der Allgemeine deutsche Frauenverein reformieren. Nicht entfremden will er die Frau dem Hause, er will sie dem Mann als erprobte Gefährtin zur Seite stellen. ‚Frauenarbeit und Frauenbildung‘ hat er auf sein Panier geschrieben. In den Dienst humaner Bestrebungen will er das eigene Geschlecht stellen“.

Die aus diesen Worten klingende Idealität kennzeichnet von jeher den Geist des Allgemeinen deutschen Frauenvereins. Dieser Geist lebte schon früher in Luise Otto (geboren 1819 in Meißen), die als Urheberin der Frauenbewegung in Deutschland anzusehen ist. Ihre feurige Seele begeisterte sich zuerst an der Freiheitsbewegung des Jahres 1848, sie gründete eine Frauenzeitung, um ihr Geschlecht aus der geistigen Dumpfheit zu erwecken. Das Blatt wurde freilich von der Reaktion wieder unterdrückt. Aber der mutige, für moralische und rechtliche Freiheit der Frauen kämpfende Geist der „Bürgerin Otto“, wie ihre Freunde sie nannten, war nicht zu unterdrücken. Von schweren persönlichen Schicksalsschlägen [1] richtete sie sich an der Wirksamkeit fürs Allgemeine wieder aus und verfolgte festen Fußes das schon in der Jugend erwählte Ziel, die Veredlung ihres Geschlechtes mit allen Mitteln, welche die liberalere Zeitrichtung und die Vereinigung der Gleichstrebenden an Frauenvereine boten. Seit 1865 leitete sie als Vorsitzende dessen Versammlungen und wirkte durch die „Neuen Bahnen“ unermüdlich für seine Zwecke. Sie lebt heute zu Leipzig-Reudnitz. Ueber die dichterischen Leistungen von Luise Otto-Peters kann in dem kurzen Raum dieser Spalten nicht ausführlich gesprochen werden; ihre zahlreichen Schriften zur Frauenfrage, Gedichte, Romane und Aufsätze (darunter auch manche in den früheren Jahrgängen der „Gartenlaube“) haben ihr einen geachteten litterarischen Namen erworben. Die Hauptgenugthuung ihres Lebens aber muß die große Wandlung sein, die sich in der Stellung der deutschen Frau während der letzten fünf Jahrzehnte unter ihren Augen und durch ihre Hilfe vollzogen hat. Was zu ihrer Jugendzeit undenkbar war; weibliche Berufsthätigkeiten, weibliche Aerzte, Frauen in Versammlungen öffentlich und gut sprechend, Organisationen einführend, deren Wirkungen sich weithin erstrecken – das ist fast alles heute selbstverständlich geworden, dank den mutigen Kämpferinnen für die Selbständigkeit der Frau!

Zu ihnen gehören auch die drei Verstorbenen Luise Büchner, Marie Calm und Bertha von Marenholtz-Bülow.

Die erste, geboren 1821 in Darmstadt und Schwester der begabten Brüder Büchner, übte schon in den fünfziger Jahren durch ihr vortreffliches Buch „Die Frauen und ihr Beruf“ eine lebhafte Wirkung auf das heranwachsende Geschlecht. Ihre ausgezeichneten Geschichts- und Litteraturvorträge erregten bald die Aufmerksamkeit der Großherzogin Alice von Hessen, der Förderin aller weiblichen Interessen, und in nahem Zusammenwirken schufen die edle Fürstin und die schlichte, stark denkende und warm fühlende Schriftstellerin die ausgezeichneten Anstalten: den Alice-Bazar, das Alice-Lyceum und eine Industrieschule für Mädchen. Aus reichem Wirken nahm sie 1877 der Tod hinweg. Ihr Andenken aber bleibt eng verbunden mit der deutschen Frauenbewegung.

Ebenso dasjenige der begabten und bekannten Schriftstellerin Marie Calm (geboren 1832 zu Arolsen), die ihre durch wiederholten Aufenthalt in England erworbene Kenntnis der dortigen kräftigen und erfolgreichen Frauenbewegung durch Rede und Schrift für die erst im Beginn stehende deutsche nutzbar machte und bald nach 1865 schon eine führende Stellung in dem neuen Verein einnahm. Sie war eine geistvolle und gewinnende Rednerin; die bescheidene Liebenswürdigkeit bildete einen solchen Grundzug ihres Wesens, daß man sie in Zeiten, wo den Frauenvereinstagen noch der Schrecken vor den „Emanzipierten“ vorausging, gewöhnlich als erste voraussandte, um die Bildung eines Lokalkomitees zu erreichen. Wie Darmstadt um Luise Büchner, so trauerte Cassel um die in reicher Thätigkeit als Vereinsvorsteherin und Gründerin von Schulen hochverdiente Mitbürgerin, als sie 1887 aus dem Leben schied.

Bertha Freifrau von Marenholtz-Bülow, geboren 1811 in Braunschweig, verkörperte eine andere Seite der großen Erziehungsfrage. Sie war der begeisterte Apostel Friedrich Fröbels und wirkte nach dessen frühem Tode unausgesetzt für sein aus Pestalozzis Lehre begründetes Streben nach naturgemäßer Erziehung der Jugend in Volkskindergärten. Weder Vorurteil, noch Spott, noch förmliches ministerielles Verbot der als gefährlich betrachteten Neuerung schreckte sie ab, sie ging ins Ausland und redete und schrieb dort für die ihr heilige Sache, bis 1861 das Verbot in Preußen aufgehoben wurde und nun der durch ihre Wandervorträge überallhin verbreitete Gedanke rasch zur That werden konnte. An allen Orten entstanden Kindergärten nach Fröbels Plan, bewährten sich ausgezeichnet und die edle Frau erlebte die Genugthuung, das Werk ihres Lebens noch in voller Blüte zu sehen, ehe sich im Januar 1893 ihre Augen schlossen.

Erbin ihres begeisterten Strebens und Ausgestalterin desselben ist Frau Henriette Goldschmidt, geborene Benas, aus der preußischen Provinz Posen. Auch sie besitzt eine vorzügliche Redegabe und weiß auf den Frauentagen durch ihre geistvolle, klare und maßvolle Darstellungsweise die Zuhörer zu fesseln und zu überzeugen. Die Gründung und Ueberwachung von vier Volkskindergärten und einer Lehrerinnenanstalt ist ihr gelungen. Die Vorstandschaft eines Leipziger „Vereins für Familien- und Volkserziehung“ würde eine andere Arbeitskraft vollauf in Anspruch nehmen; Frau Goldschmidt aber, in der festen Ueberzeugung, daß Fröbels Erscheinung vorbedeutend für die naturgemäße und wissenschaftliche Bildung der weiblichen Jugend war, hat mit ernsten und gelehrten Männern zusammen in Leipzig auch ein Lyceum gegründet, um darin die künftige Frau, die Mutter nachwachsender Geschlechter, für ihre große Erziehungsaufgabe vorzubereiten. Zugleich soll dieses Lyceum in Verbindung mit den Volkskindergärten die Vorbereitungsstätte für Töchter vermögender Familien abgeben, zum Dienst für die Allgemeinheit. Ein „Dienstjahr im Volkskindergarten“ für solche Töchter hat Frau Goldschmidt bereits vor 25 Jahren gefordert, und hoffentlich ist die Zeit nicht fern, wo dieser vortreffliche Gedanke zur allgemeinen Uebung wird! An Hindernissen und Kämpfen aller Art hat es auch dieser idealgesinnten Frau nicht gefehlt, sie hat sie überwunden mit der stillen Beharrlichkeit der Ueberzeugung und steht heute neben Luise Otto-Peters und Auguste Schmidt unter den Häuptern des Frauenvereins.

Der gegenwärtige Kreis derselben würde unvollständig sein, wenn nicht neben den Erziehungsbestrebungen auch der eigentlich praktische Hausfrauenberuf darin vertreten wäre. Er ist es auf ausgezeichnete Weise sowohl für Nord- als für Süddeutschland, für letzteres durch Frau Professor Mathilde Weber, geboren 1829 bei Ellwangen, das Urbild einer heiteren, gemütvollen, energisch tüchtigen Hausfrau; sie verfügt über eine ebenso natürliche


  1. Sie verlor 1864 nach kurzer glücklicher Ehe ihren Gatten, den Schriftsteller August Peters, der 1850 wegen Teilnahme an den Revolutionskämpfen erst zum Tod verurteilt, dann zum Zuchthaus begnadigt worden war und dem sie sich eben dort in selbstloser Liebe verlobt und nach seiner Befreiung 1858 vermählt hatte.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_258.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)