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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

kaum sie, für die seine Worte bestimmt waren, diese verstehen konnte, „ich hoffe, es wird eine Zeit kommen, wo Sie dennoch diese Kette tragen werden!“

„Ich darf Dir doch Sekt eingießen lassen, Ilse?“ fragte Graf Röstems Stimme jetzt von der andern Seite, und das junge Mädchen wandte hastig den Kopf zu ihm. „Ich bitte, lieber Guido!“

Sie leerte den Inhalt ihres Glases beinahe auf einen Zug, was den jungen Mann zu der Bemerkung veranlaßte: „Ich finde es so vernünftig, die Diners und Soupers gleich mit Sekt zu eröffnen, es giebt entschieden Stimmung. Du scheinst auch meiner Ansicht, Du hast einen ganz achtungswerten Zug gethan. Liebst Du den Sekt so sehr oder bist Du so durstig?“

„Beides!“ entgegnete Ilse in halber Gedankenlosigkeit und erlaubte, daß er ihr Glas von neuem füllen ließ. Sie sah hinüber zu ihrem Vater, der unweit von ihr an der andern Seite der Tafel neben der Gräfin Röstem, einer schönen alten Dame, saß. Sie sprach eifrig auf Doßberg ein und sah ihm wohlwollend ins Gesicht – sie wie ihr Gatte schätzten den langjährigen Freund sehr, hatten ihm mehrmals nach besten Kräften geholfen und würden ihm gern die „Perle“ erhalten haben, wenn ihre eigenen Mittel es gestattet hätten.

„Dein Papa und meine Mama scheinen sich sehr gut miteinander zu unterhalten!“ sagte Graf Guido, der Ilses Blick gefolgt war. „Es war ein glücklicher Gedanke, die beiden zusammenzusetzen. Aber hör’ ’mal, Ilse,“ fuhr er, durch den Sekt angeregt, lebhaft fort, „das ist ja auffallend, wie Dich der junge Montrose anstarrt – da links von meiner Mama sitzt er! Der läßt ja kein Auge von Dir, und seine Dame giebt sich soviel Mühe um ihn! Er mag schön wütend sein, daß er Dich nicht zur Nachbarin bekommen hat. Du, nimm Dich doch vor dem gefälligst in acht, der steht in einem gefährlichen Ruf!“

„Ich weiß, Guido.“

„So! Auch schon! Das ist doch seit unseren Kinderjahren so geblieben, daß Du immer alles weißt. Und der Botho Jagemann, der guckt auch in einemfort nach Dir – sollte sich schämen! Hat ja ’ne Braut, wenn sie auch nicht sehr reizend ist.“

Nach diesem ganz ungewöhnlichen Aufwand von Beredsamkeit versank der junge Graf Röstem wiederum in Schweigen.

Was konnten Montroses Worte von vorhin bedeutet haben? fragte sich Ilse. Es werde die Zeit kommen, da sie jenen Schmuck dennoch tragen werde? Sie sann und sann, ohne eine Antwort zu finden. Ach, wäre das Fest erst vorüber, dürfte sie erst wieder in ihrem schlichten dunklen Hauskleid da sitzen, wohin sie gehörte – am Krankenbett ihrer Mutter! Sie wandte sich von neuem dem Grafen zu und suchte ihn in ein Gespräch zu verwickeln, das war aber nicht leicht. Guido setzte ihr die Vorzüge seiner beiden Pferde, die beim nächsten Rennen eine Rolle spielen sollten, mit Eifer und soviel fachmännischen Ausdrücken auseinander, als habe er einen gewiegten Sportsmann an seiner Seite, nicht aber eine elegante junge Dame. Gleichviel! Sie hörte ihm zu oder that wenigstens so und brauchte auf diese Weise nicht mit dem Nachbar zur Rechten zu sprechen, Es kamen aber die unvermeidlichen Trinksprüche, es kam das Anstoßen, und als Ilse sich umwandte, neigte Herr von Montrose den feingeschliffenen Glaskelch, den er in der Hand hielt, dem ihrigen entgegen und sagte leise: „Sie wissen es wohl, Baroneß, daß man beim Glase Wein an geheime Wünsche denkt, die uns in nüchterner Alltagsstimmung unerhört vermessen erscheinen. Wollen Sie mir auf solch einen kühnen Wunsch Bescheid thun?“

Nein, sie wollte nicht – aber sie mußte! Mußte es, weil so viele Blicke auf sie gerichtet waren, die sahen, wie der Herr des Hauses ihr sein Glas entgegenhielt, mußte es vor allem unter dem Bann dieser Augen.

Georges von Montrose, der gerade lebhaft auf seine Dame einsprach, wurde unruhig, blieb mitten in seinen Worten stecken und sprach sie schließlich ziemlich verwirrt zu Ende; es war ihm auch ganz gleichgültig, was aus seinem angefangenen Satz wurde. Der Teufel hole die ganze Tischunterhaltung, wenn man so etwas ruhig mit ansehen soll! Was hatte denn sein Vater für ein Gesicht, als er jetzt dem „süßen Geschöpf“ zutrank – und sie, und sie! Georges reckte sich auf seinem Platz und machte einen langen Hals, um besser beobachten zu können. Wahrhaftig, sie sah ganz sonderbar aus, wie magnetisiert! Was in aller Welt hatte er mit ihr angestellt, daß sie ihn so ansah! Georges blickte nach Clémence hinüber – hatte sie es auch bemerkt? Nein, sie konnte von ihrem Platz aus schwerlich die beiden sehen, außerdem war sie eben in ein eifriges Geflüster mit Botho vertieft – das heißt, sie flüsterte, und Botho hörte zu. Hm, hm! Der Husarenoffizier fing an, sich allerlei „verrückte“ Gedanken zu machen, die er schließlich auf den Wein schob. So ’was war ja einfach unmöglich!

Aber als dann die Tafel aufgehoben war, ereignete sich das Unerhörte, daß, da die Frau Regierungspräsidentin sich an den Arm ihres alten Freundes Sonneberg hing, der Herr des Hauses Baroneß Doßberg den Arm bot, unbekümmert darum, was aus dem jungen Röstem wurde. Es war, dank den vortrefflichen Weinen und den ausgezeichneten Tafelgenüssen, eine außerordentlich heitere zwanglose Stimmung bei dem größten Teil der Tischgesellschaft durchgebrochen, irgend jemand hatte der Musik zugerufen: „Polonaise!“, was lebhaften Beifall von allen Seiten fand, und so eröffnete denn der Gastgeber mit Ilse von Doßberg am Arm einen Rundgang durch die lichtdurchfluteten Räume, die zum heutigen Fest geöffnet worden waren. Wie im Traum schritt Ilse durch die Zimmer und Säle, die sie so zahllose Male als jubelndes Kind, als heiteres unbefangenes Mädchen betreten hatte – waren es noch dieselben Räume? War sie selbst dieselbe noch? Fremd, wie alles um sie her sie anblickte, sah es auch in ihrem Innern aus!

Die Polonaise war beendet; Ilse suchte ihren Vater, sie wollte gehen. Aber Baron Doßberg war nicht zu finden, und die jungen Mädchen umringten sie, die Offiziere erklärten lärmend, sie ließen Ilse nicht durch, und bildeten eine lebendige Mauer vor dem Flüchtling. Georges von Montrose stand dicht neben Ilse, er blickte sie unverwandt und so eigen forschend an, daß sie eine überlebhafte Unterhaltung mit einer ihrer Freundinnen begann, um diesem Blick auszuweichen. Da spielte die Musik einen einschmeichelnden Walzer, und plötzlich sah Ilse sich davongetragen in Georges’ Armen, fühlte, wie er sie leidenschaftlich an sich preßte, und hörte ihn etwas murmeln, was sie nicht verstand. Dem ersten Paar folgten viele andere, auch Clémence fegte mit ihrer majestätischen Schleppe über das spiegelnde Parkett. Als Georges endlich seine Tänzerin losließ, drängten seine Kameraden ungestüm heran, aber Ilse blieb unerbittlich. Sie wollte und sie mußte fort! Sie hatte ihren Vater entdeckt, der am Eingang des Tanzsaals stand und sie mit den Augen suchte; sie winkte ihn heran, und an seinem Arm ging sie quer durch den Saal, sich da und dort verabschiedend. Clémence sprach höflich ihr Bedauern aus, daß Ilse so früh schon das Fest verlasse; Herr von Montrose brachte von den kostbaren Cotillonsträußen den schönsten für Ilse herbei; die Offiziere bildeten ehrfurchtsvoll Spalier, und der Herr des Hauses ließ es sich nicht nehmen, das junge Mädchen bis zur Halle zu begleiten, dem herbeieilenden Diener Pelzmantel und Shawl abzunehmen und eigenhändig seinen Gast einzuhüllen. Baron Doßberg stand daneben und sah dies mit an, sah die Erregung in Montroses Gesicht, dachte an die Perlenkette und seine beschwichtigenden Worte: „Ist Montrose nicht alt genug, um Dein Vater sein zu können?“ Worte, die ihm plötzlich gar keinen Sinn mehr zu haben schienen.

Sie traten beide zum Schloßportal hinaus, froh, den kurzen Heimweg durch die sternklare Winternacht noch vor sich zu haben. Wie auf Verabredung blieben Vater und Tochter stehen, als sie den freien Platz vor dem Schloß erreicht hatten, und blickten zurück. Die Fackeln brannten ruhig in der stillen dunkeln Luft – wie ein riesiger Goldwürfel lag das alte stolze Schloß inmitten seiner totenhaft stillen Umgebung. Gleich bleichen Gespenstern reckten sich die hohen Bäume um all den buntschimmernden Glanz empor – gedämpft klang die Tanzmusik in das feierliche Schweigen der nordischen Winternacht, und am tiefschwarzen Himmel standen in ruhevollem Glanz die Sterne. Mit ihren heißen bangen Augen blickte Ilse empor zum Himmel … konnte dieser klare Glanz keinen Trost in ihre wild erregte, von verworrenen Empfindungen erfüllte Seele bringen? Hoch atmete sie auf, aber der lastende Druck blieb.

Im Verwalterhause waren ein paar Fenster hell – das konnte nicht befremden, Ilse hatte angeordnet, daß eine Lampe zu ihrem Empfang im Vorzimmer brennen sollte, und die kranke Baronin hatte oft die ganze Nacht hindurch in ihrem Zimmer Licht. Als Baron Doßberg, der, tief in seinen eigenen Gedanken

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_254.jpg&oldid=- (Version vom 9.7.2020)