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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


„Such’ nur, es muß schon dabei sein!“ brummte der Bauer und drängte sich zwischen die anderen.

Der Schönauer blickte auf die dunklen Lose nieder und atmete auf, als wäre ein drückender Stein von seiner Brust gefallen. Er faßte die Hand des Mardereckers, der an seiner Seite stand, und flüsterte: „Nachbar, wenn Du zur Alben kommst, so sag’ meinem Liebli: ich wart’ auf ihn … er kann wieder heim!“ Dann hob er das Messer und sprach mit hallender Stimme: „Mannerleut’! Das Thing hat den Spruch gethan: für Wazemann und wider die Klosterleut’! Wir stehen unter Schwur, das ist ein Weiser für alle!“

„Nicht für alle! Einen nimm aus!“ Mit bleichem Gesicht trat Sigenot vor den Blutstein.

„Fischer!“ stammelte der Schönauer, während die anderen sich erschrocken und lärmend herbeidrängten.

„Was ich sag’, das braucht in keinem die Angst erwecken. Den Schweigschwnr halt’ ich und geh’ von der Thingstätt’ unter der Hahnfeder. Aber ich kann nicht stehen, wo ich Unrecht seh’ und krumme Furcht. Und weil ich gehen müßt’ mit Euch, solang’ ich zur Gemein’ gehör’,“ er riß ein brennendes Scheit aus dem Feuerstoß, löschte mit einem Schlag auf den Blutstein die rauchende Flamme und schleuderte das glimmende Holz hinaus über den Ring der Männer, „so reiß’ ich mich los von Euch und Eurer Gemein’ und will von Stund’ an nimmer teilen mit Euch weder Rat noch That, weder Gut noch Blut, weder Leid noch Freud’, und will als Einschichtiger den Weg gehen, den ich für den rechten halt’!“

Ehe der Schönauer, der bis an die Lippen erblaßt war, ein Wort erwidern konnte, hatte Sigenot sich abgewendet und war den Bäumen zugeschritten. Totenstille war hinter ihm, nur das versinkende Thingfeuer rauschte und knisterte. Doch als er den Wald betrat, erhob sich beim Blutstein ein wüster Lärm …

Mit raschen Schritten folgte Sigenot dem schmalen Waldpfad, auf welchen die sinkende Mondhelle nur mit spärlichen Lichtern niederblickte. Er war nicht weit gekommen, da hörte er klappernde Sprünge hinter sich. „Fischer! Fischer!“ Eigel war es, der Kohlmann.

„Was willst? Keiner wird wenden, was ich gethan hab’! Auch Du nicht!“

„Wenden?“ lachte der Alte. „Ich hab’ Dir’s nachgethan und bin Thingbot’ gewesen zum letztenmal. Die Narrensupp’, die man da droben gekocht hat, schmeckt mir nicht. Jetzt merk’ ich’s: der einzig’ Gescheite von uns allen ist der gewesen, der nicht gekommen ist, der alte Gobl. Aber Verstand muß Unehr’ heißen. Hätt’ ich mir nur den Apfel mitgenommen!“ Wieder lachte der Kohlmann. „Aber wie schon alles geworden ist … da steh’ ich lieber zu Dir als zu den andern. So nimm mich halt mit in die Einschicht und laß mich hausen in Deinem Hag!“

Sigenot zögerte mit der Antwort. „Ich könnt’ Dich brauchen, Kohlmann, aber ich muß Dir sagen: meine Hofreut hat einen heißen Boden.“

„Warum?“

„Mein Weg geht unter Eisen, ich steh’ in Fehd’ wider Wazemanns Haus!“

„Wider Wazemann? Ich könnt’ ein besseres Wort nicht hören! Da hast meine Hand … so lieber geb’ ich mich!“

„So komm!“

Sie tauschten einen Händedruck, dann stiegen sie thalwärts durch die Nacht. Als sie auf vorspringender Bergrippe eine kleine Blöße erreichten, blieben sie erschrocken und lauschend stehen.

Ein dumpfes Rollen wie Donner in der Tiefe ging unter ihren Füßen hin, und noch eh’ es verstummte, lief ein Stoßen und Zittern über den festen Grund. Die Bäume ächzten im Wald, für einen Augenblick erlosch im Thal das Rauschen der Ache, und überall auf dem Berghang kollerte das lose Gestein. „Fischer!“ schrie der Kohlmann und faßte den Arm des Gefährten. „Es rührt sich im Berg’! Ob die da droben beim Feuer wollen oder nicht … die gute Zeit steht ein!“ Die beiden Fäuste streckte er gegen den Untersberg, der fern in der Nacht sich schwarz emporhob aus dem Thal, die Zinnen umflimmert vom letzten Dust des erlöschenden Mondlichts. „Rühr’ Dich Herr Wute, rühr’ Dich! Die hundert Jahr’ sind um, und der Birnbaum harret!“

Es rollte in der Erde und wieder bebte der Grund „Mein guter Herre, Du mein Gott!“ stammelte Sigenot. „Meine Mutter! Mein Haus!“ Und mit jagenden Sprüngen stürmte er den steilen Berghang niederwärts, daß ihm der Kohlmann nicht mehr zu folgen vermochte. –

Droben auf der Thingstätte waren die Männer, die sich mit den Metkannen um das Feuer gelagert hatten, erschrocken aufgesprungen, als jählings im Beben der Erde der glühende Holzstoß zusammenfiel. Bleich und lallend standen sie und starrten einander an, und als zum zweitenmal der Grund erzitterte, faßten sie schreiend, was ein jeder zu greifen fand in seiner Nähe, der eine sein Grießbeil, der andere eine rollende Metkanne, der dritte ein halbverkohltes Scheit, der vierte die Kappe, die seinem Nachbar entfallen, der fünfte einen hüpfenden Stein … keiner sah, wonach seine Hände griffen … ein jeder wollte in sinnloser Angst nur bergen und retten, ein jeder faßte, was ihm vor die Füße kollerte, und so stürzten sie vom Feuer weg und rannten schreiend davon nach allen Seiten.

Oede und schweigend lag die Thingstätte. Da raschelte es im Stamm eines vor Alter morschen Baumes, als wäre rührsames Leben in seinem hohlen Holze; dann knackten die Zweige, und eine Gestalt glitt an der Rinde nieder; sie hnschte über die Thingstätte, rannte thalwärts und verschwand im Wald. Nach einer Weile klangen auf tieferem Hang die Hnfschläge eines Pferdes über kiesigen Grund.

Ueberall im Thal ertönte Geschrei der Menschen, wer geschlummert hatte unter Dach, war aufgesprungen und aus der Hütte gerannt. Die einen standen, geschüttelt von Angst, und starrten hinaus in die Nacht, die anderen liefen um die hölzernen Mauern, ob sie noch stünden und hielten in ihren Fugen. Von den Almen tönte, halb erstickt durch die Ferne, das Gebrüll der scheu gewordenen Kühe, und hoch in den Felsen dröhnten und knatterten die Steinlawinen, welche niedergingen über die steilen Wände. Im Gadem zündeten sie die Feuer an auf dem bedrohten Herd und warfen die dürren Heilbuschen in die Flammen … in der Ramsau sanken sie auf die Knie und beteten, oder sie rannten zum Kirchlein, dessen Glocke sich gerührt hatte, ohne daß eine Hand den Strang gezogen. Und manch einer, der die Hände in christlichem Gebet gesaltet hielt, schielte nach den Alraunen und Feuermännlein im rußigen Winkel der Herdstatt, und manch einem, der die Heilbuschen in die Flammen legen wollte, zögerte die Hand und seine Augen suchten mit zweifelndem Blick die Höhe …

In der Schönau war der alte Gobl unter dem Apfelbaum erwacht, im nassen, zerlegenen Gras, zwischen Schutt und faulenden Aepfeln. Halb richtete er sich auf und lächelte müde: „Schau', jetzt rührt sich richtig der Berg! … Gute Zeit? … Komm oder komm nicht … mir ist alles eins!“ Er legte sich wieder nieder und wollte die Augen schließen. Da bebte der zweite Erdstoß durch den Grund. Ein paar Aepfel klatschten durch die Zweige herab, am brüchigen Hause ächzten die Balken, das Dach begann sich zu bewegen, die morschen Mauern wichen auseinander, und langsam fiel die Hütte in sich zusammen. Das machte keinen großen Lärm; ein träges, kurzes Gepolter – und alles war wieder stille. Gobl hob nur ein wenig den Kopf. „Hätt’ ich drin geschlafen heut’ nacht … nicht einmal erschlagen hätt’s mich!“ Er seufzte und drehte sich auf die Seite. – –

Ueber dem Falkenstein zitterte trüber Lichtschein; er kam aus Reckas Kammer, in welcher die Leuchte neben dem Spiegel brannte; schlummerlos lag Recka auf ihrem Lager, ihre nackten Arme schimmerten, und in wirren Strähnen hing das gelöste Rothaar über das Bärenfell auf die Diele nieder. Als der Stoß durch das feste Haus gegangen war, hatte sie die Arme zur Decke gehoben und gestöhnt. „Fall’ doch! Fall’! Dann hab’ ich Ruh’!“ Und schluchzend war sie hingesunken über das Lager.

Ihren Vater und ihre Brüder hatte das Rollen in der Tiefe und der Erdstoß nicht geweckt; sie lagen im Metrausch und in dumpfem Schlaf. Aber die Knechte und Mägde waren schreiend aus dem Steingeschoß des Hauses und aus den Ställen geflüchtet. Lärm erfüllte den Burghof, und unter den Mauern schwankte der in seinen Tiefen erregte See mit rauschenden Wellen, welche klatschend durch das Röhricht an die Lände schlugen und über den Sand hinausspülten bis an den Fuß des Kreuzes. Matt schimmerten dessen frisch behauene Balken in der Nacht, während am Fischerhaise roter Feierschein aus der offenen Thür und aus allen Fenstern leuchtete.

(Fortsetzung folgt.)




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