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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

erschrockenem Widerspruch, während sich Kaganhart zu Eigel wandte. „Das wird wohl eine Red’ gewesen sein, eine richtige Mannsred’!“

Da packte eine Faust ihn an der Brust. „Mordbrenner!“ Der Bauer starrte den Fischer an, welcher vor ihm stand mit funkelnden Augen und fahlem Gesicht.

„Thingfrieden!“ rief der Schönauer und streckte den Arm mit dem Messer zwischen die beiden. „Was einer auch raten mag, jedes Wort ist frei!“ Und als der Fischer schweigend zurücktrat, sich mühsam zur Rühe zwingend, rief der Richtmann, mit hallender Stimme den Lärm übertönend: „Ich mein’ wohl, der Kaganhart hat heißer gekocht, als er essen möcht’. Aber sag’, Fischer … wenn wir thäten, was der da geraten hat, und wir kämen morgen zum Lok’stein und möchten sagen: ‚Herr Waze liegt erschlagen mit Buben, Dirn’ und Knecht’, und sein Haus ist Feuer und Rauch geworden‘ – was meinst wohl, daß er sagen möcht’, Dein Herr?“

Mit zuckenden Lippen erwiderte Sigenot: „Was er sagen muß nach heiligem Recht: wer Feuer wirft, soll die Händ’ verlieren, wer Blut vergießt, soll stehen unter Strick und Messer!“

Der Schönauer nickte und lächelte, während der Schmied von Ilsank mit seiner Bärenstimme den wilden Lärm überschrie: „Ja höret doch, Männer, so höret doch! Wenn wir den Wazemannsleuten ein Härlein sengen und einen Finger brechen, so müssen wir gar noch Gericht beim Lok’stein fürchten!“

Unter dem wirren Geschrei, das diesen Worten folgte, sprang der Richtmann zum Blutstein und hob das Messer. „Höret, nur eins noch höret, was ich sagen muß! Und Du, Nachbar Kaganhart, Du dank’ allen guten Mächten, daß Deine Stimm’ nicht hinaushallt über den eidfesten Ring! Sonst möcht’ Herr Waze von Dir noch träumen in der heutigen Nacht!“ Das seltsame Wort, das mit hallendem Klang an alle Ohren schlug, machte die Schreier verstummen und lauschen. „Höret, Mannerleut’! Der Fischer hat Euch Botschaft getragen vom Lok’stein … so muß ich Euch Botschaft bringen von der andern Seit’. Der Fischer hat es gut gemeint und ist zum Lok’stein gegangen. Herr Waze aber ist zu mir gekommen und hat mir das Messer an den Hals gelegt und hat das Eisen gehoben über meines Buben Kopf. Mannerleut’“ – wie drängende Wellen über das Gebälk der engen Schleuse, so stürzten in treibendem Schwall die Worte von den Lippen des Richtmanns – „Mannerleut’, ich scheu’ mich nicht, vor Euch allen sag’ ich’s grad’ heraus … in mir zittert die Angst um meinen Buben, der mein Alles ist, meine ganze Lieb’ und meine einzige Freud’!“ Lautlose Stille herrschte im Ring, während der Schönauer von Wazes Besuch in seinem Hof erzählte. Jedes Wort, das Herr Waze gesprochen, hatte die Angst und der Kummer in ihm festgehalten. Und er brauchte den lauschenden Männern Wazemanns „Träume“ nicht zu deuten, ein jeder verstand, wie sie gemeint waren. Wie der trübe Schlamm, den der Wildbach nach einem Unwetter aus seinem zerrissenen Bett hinauswälzt in den klaren See, von einer Welle in die andere quillt, so floß die dunkle Angst, welche aus den bebenden Worten des Richtmanns redete, in die Herzen der Lauschenden über, und jeder dachte der eigenen Kinder und sah sie fallen unter dem ersten Schlag, den Herr Waze zu führen drohte. Die Hoffnung der besseren Zukunft, welche Sigenots Botschaft geweckt, ging ihnen unter in der Furcht der Gegenwart, in der Angst vor der Not des kommenden Tages.

„So hat Herr Waze geredet,“ rief der Schönauer, „und was er mir und meinem Buben vermeint hat, das gilt Euch allen! Und schier ein jeder von Euch hat einen Buben oder Kinder, an denen er hänget mit Leib und Seel’. Und ich mein’ doch, es wär’ einem jeden sein Kind, was dem Baum sein Mark ist, das er haget mit Holz und Rind’, mit Aest und Blättern. Lasset den Waze doch thun, wie er mag, soll er doch reißen von unserem Hab und Gut! Wenn er mit keiner Hand nur rührt an unsere Kinder! Oder saget, Mannerleut’, saget, will einer von Euch morgen heimkehren in seinen Hag … und will er seinen Buben oder sein Kindl im Blut und im letzten Schnaufer finden, und wenn sein Liebl, sein armes, ihn anschaut und seufzet: ‚Vater, Vater, was hast Du gerufen über mich!‘ … wer will dann sagen von Euch: ‚Meinetwegen, sei hin – aber ich muß von Neujahr an nur halbe Steuer legen!‘“

Da kam es von allen Lippen wie ein einziger Schrei, sie streckten die Hände aus, als möchten sie den Mund verschließen, der solche Worte sprach; und der Marderecker sprang auf den Schönauer zu und rüttelte seinen Arm. „Drei Kinder hab’ ich, Richtmann, drei! Eines lieber wie’s ander’! Ja sag’ doch, sag’, was thu’ ich denn, daß ich meine Kinder hüt’?“

Der alte Eigel stand, mit dem blutigen Bocksfell um die Lenden, und schüttelte den Kopf. während Sigenots Augen mit verlorenem Blick über die erregten, vom zuckenden Feuerschein erhellten Gesichter hinschweiften, als könnte er nicht fassen, was hier geschah. Da hob sich die Stimme des Schönauers über den Lärm. „Mannerleut’, weil Ihr mich fraget, was ich rat’, so höret! Wir all’ müssen den Weg gehen, den die Not uns weiset. Wir all’ müssen stehen zu Wazemann, so lang’ er Spisar ist im Land. Ihm tragen wir Zins und Steuer hin, ihm bieten wir die Fron, und außer ihm geht uns kein anderer was an. Keiner von uns soll sich einlassen mit den Klosterleuten, keiner von uns soll Albengab’ tragen zur Klaus’!“

„Richtmann!“ rief Sigenot erschrocken und faßte die Hand des Schönauers. „Du hast üblen Rat!“

Aber im Ring schrien die Männer: „Red’ weiter, Richtmann! Weiter!“

„Mein Rat ist, wie die harte Stund’ ihn fordert. Noch allweil ist Wazemann der Herr. Blüht einmal andere Zeit und kommen die Klosterleut’ obenauf … Du selber, Fischer, hast ja gesagt, wie gut ihr Herz ist und wie stark ihre Lieb’ … wenn sie gar so gut und liebreich sind, so müssen sie auch einsehen, daß wir heut’ nicht anders können, und sie dürfen uns auch in einer kommenden Zeit nimmer harb drum sein, weil heut’ der einzige Weg, auf dem wir unsere Kinder hüten, um den Lok’stein herumgeht und dem Wazemann zu!“

„Richtmann. Richtmann!“ mahnte Sigenot mit bebender Stimme. „Dein Rat hat krummen Weg, Du gehst dem Unrecht zu! Richtmann. thu’ die Augen auf. Du hast die Wahl zwischen Tag und Nacht … an Deinen Buben denk’ und reiß’ ihn nicht hinaus auf den Nachtweg! Laß ihn stehen bei Licht und Recht!“

Doch Sigenots Worte erstickten unter dem wirren Geschrei, mit welchem der Rat des Richtmanns aufgenommen wurde. Und alle anderen überschrie der Schmied von Ilsank: „Wir wissen genug! Das Raiten hat ein End’! Richtmann laß die Los’ werfen … schwarz wider die Klosterleut’!“

Der Thingbot’ brauchte nicht im Ring zu gehen, um die Stäbe zu sammeln; haufenweise drängten sich die Männer um ihn her und warfen die dunklen Lose in das Bocksfell. Da schrie der Marderecker mit kreischender Stimme: „Richtmann. die Ramsauer losen nicht!“ Tumult erhob sich, und laute Rufe schwirrten durcheinander. „Das ist wider Brauch und Recht! Sie müssen losen!“

„Wer will uns zwingen?“ fragte der alte Runot und streckte das Grießbeil vor sich und die Seinen hin. „Wir losen nicht! Wir haben all’ nur eine Stimm’, und die ist daheimgeblieben.“

„Das ist eine Ausred’,“ klang’s aus dem Haufen. „Sie wollen sich lösen aus dem Schwurbann und wollen ihrem Kuttenbruder zutragen, was wir geraitet haben in der Thingnacht!“

Die Ramsauer hoben die Fäuste gegen den Schmäher, aber der alte Gaumann hielt das Grießbeil fest. „Gebet Ruh’, Leut’! Was die Lügenzung’ geredet hat, das fallt auf unser’ Ehr’ und Treu’ wie ein Stäubl ins Wasser. Rach einer solchen Red’ aber, mein’ ich, haben wir Ramsauer auf der Thingstätt’ nichts weiter mehr zu schaffen! Kommet, Leut’, wir gehen heim!“ Ohne Gruß ging der Alte dem Walde zu, und die Ramsauer folgten ihm.

Mit zornigem Geschrei drängte der Haufe ihnen nach. Aber da stand der Fischer vor den Schreiern und hob die geballten Fäuste. „Die Ramsauer haben freien Weg … wer ihnen nach will, muß weg über mich! Wollt Ihr raufen im Thing wie Buben in der Hofreut … nur her auf mich! Ich mein’, ich steh’ noch wider Euch alle!“ Vor seinen eisernen Armen und seinen blitzenden Augen wandelte sich die Streitlust in den erhitzten Köpfen zu raschem Frieden.

Inzwischen war Eigel auf den Schönauer zugetreten und hatte das Bocksfell mit den Stäben auf die Erde geworfen, zwei weiße Lose hielt er in der Hand. „Da brauchst nimmer zählen, Richtmann!“ sagte er mit zornigem Lachen. „All’ sind schwarz … bis auf die zwei in meiner Hand! Das erst’ hat der Fischer geworfen und das ander’ ich!“ Da gewahrte er den Kaganhart. „Du! Wo ist denn das Deinig’?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 246. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_246.jpg&oldid=- (Version vom 14.8.2023)