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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Bock auf den Blutstein. Da gewahrte der Richtmann, daß die Ramsauer zur Seite stehen blieben in getrennter Gruppe. „Ramsauerleut’, her zur Heilstätt’!“

Aber der alte Runot streckte das Grießbeil vor seine Gauleute und schüttelte den Kopf. Thu’ Du mit den Deinen, wie Du meinst, daß es gut und recht ist und Brauch seit alter Zeit. Das soll Euch keiner wehren. Es soll aber auch uns nicht verwehrt sein, daß wir thun nach unserem Brauch, wenn’s gilt, zu hüten vor Schad’ und Nöten unser Haus, Weib und Kind, Stall, Vieh und Gesind’!“ Der Alte stieß das Grießbeil in die Erde. ließ sich auf die Knie nieder und faltete die Hände. Rings um ihn her knieten die Männer der Ramsau, und der helle Feuerschein zuckte auf ihren Gesichtern und glänzte in ihren Augen, welche emporgerichtet waren zum mondlichten Himmel.

Bewegung und Murren ging durch die Reihen der anderen, und die Erregung steigerte sich noch, als Sigenot der Fischer auf die Ramsauer zuging und neben dem alten Runot die Knie beugte. „Fischer!“ stammelte der Richtmann, und es zitterte seine Hand. welche das Messer schon an den Hals des Bockes gelegt.

Der Greinwalder schien dem Fischer folgen zu wollen; auf halbem Weg aber blieb er stehen, kraute sich hinter dem Ohr, schielte zu den Knienden hinüber und drehte die Augen wieder dem Blutstein zu. Eigel, dessen Hände den Bock gefesselt hielten, stieß den Köppelecker mit dem Eckbogen an und sagte mit heiserer Stimme: „Greif’ zu, Schöff’, daß ich die Händ’ ledig krieg’ … ich hab’ einen Weg sell hinüber!“

„Thingbot’,“ rief ihn der Richtmann an. „halt’ fest!“ Und er führte durch den Hals des Tieres mit rascher Hand den tötenden Schnitt, während die Ramsauer mit halblauten Stimmen ihr frommes Lied begannen:

„Mein guter Herre, Du mein Gott
Dein Schild ist wider alle Not,
Du hürdest fest und hagest gut,
Herr, nimm uns auf in Deine Hut!“

Gleich einem sprudelnden Quell rann das Bockblut über den Stein. Der Richtmann tauchte den Wachholderwedel in das dampfende Bächlein und sprengte die Tropfen gegen den Eichbaum.

„Das Blut soll rinnen,
Daß uns die Holden Gutes sinnen!“

Wieder netzte er den Wedel.

„Das Blut soll rinnen,
Daß uns die Unholden nichts Uebles spinnen!“

Während der Richtmann zum Feuer trat, klang mit wachsenden Stimmen das Lied der Ramsauer:

„Mein guter Herre, Du mein Gott,
Thu’ speisen uns mit Hmmelsbrot
Und heb’ uns aus dem Leidenthal
Hinauf in Deinen Freudensaal!“

Das Lied verklang. und die Stimme des Richtmanns hallte: „Das Feuer scheinet, das Feuer reinet!“ Er warf den bluttriefenden Wedel in die Glut; es prasselte, eine schwarz aufsteigende Rauchwolke trübte den Schein der Flammen – aber rasch hatte das Feuer die nassen qualmenden Zweige verzehrt und loderte wieder in reiner Helle.

„Jetzt, Mannerleut’, lasset uns raiten um unser Wohl!“ Vor dem Blutstein ließ sich der Richtmann auf eine Wurzel der Eiche nieder, und um ihn her im Halbkreis lagerten sich die hundert Männer. während die Schöffen dem verbluteten Bock das Fell abzogen und Eigel neben dem Feuer über einem Haufen glühender Kohlen den Bratspieß rüstete. Die Metkannen gingen um, ihre hölzernen Deckel klapperten, und murmelnder Zuspruch und Dank ließen sich vernehmen.

Mit lauter Stimme begann der Richtmann zu sprechen, langsam, als wöge er jedes Wort. Noch hielt er seine eigene Meinung zurück und schwieg von der Zwiesprach, welche Herr Waze mit ihm gehalten. Er sprach von der Stiftung, welche Frau Adelheid auf ihrem Sterbebett gethan, von der Ankunft der Klosterleute, von ihrem Klausenbau beim Lokistein „Sie sind nach Brief und Siegel wohl die Herren im Gadem, Herr Waze aber sitzt auf seinem festen Haus und hat die Macht. Er will nicht weichen von seinem Sitz und will den Gadem nicht lassen aus seiner Hand. Für ihn und seine Buben ist Zins und Steuer, was für die Kuh das freie Futter ist. Und so müssen sie stehen wider die Klosterleut’ wie der Senn’ wider die Wölf’. Sie haben auch schon den Ring gezogen um den Lok’stein und den Wald um die Klaus’ her in schweren Bann gelegt.“

Der Greinwalder sprang auf. „Meine arme Dirn, weil sie Albengab’ getragen hat zur Klaus’, haben sie blutig geschlagen, daß sie schier sterben hätt’ müssen.“

Andere Stimmen schrien dazwischen, sie alle, die vor den Wazemannsbuben wieder umgekehrt waren in Scheu und Furcht. Jeden Ruf, der sich vernehmen ließ, schien der Schönauer gerne zu hören, denn er nickte zu jeder Stimme.

„Ihr sehet, Mannerleut’, es wird ein schieches Raufen anheben zwischen denen beim Lok’stein und denen in Wazemanns Haus. Zu wem sollen wir halten? Stehen wir zu keinem, so haben wir alle beid’ wider uns. Stehen wir zum einen, so ist wider uns der ander’. Jetzt raitet, Mannerleut’, wie wir uns hüten mögen vor Not und Schaden! Runot, Du bist der Aeltest’ unter uns, thu’ Du die erste Red’!“

Der Greis erhob sich. „Ich weiß keine! Und um was denn sollen wir Ramsauer raiten? Wir haben’s gut und wollen’s nicht besser. Solange Herr Waze der Spisar ist, tragen wir ihm Zins und Steuer hin … wenn er mehr will, soll er nur kommen! Unser Herr ist ein anderer, und sein guter Knecht ist Bruder Hiltischalk. Weiter weiß ich keine Red’ und keinen Rat. Ich red’ nicht wider Wazemann, denn es könnt’ für Euch im Gadem zu Not und Schaden sein – ich red’ nicht wider die Klosterleut’, weil’s unseren Bruder Hiltischalk verzürnen könnt’. So raitet halt selber. Ihr Gademer Leut’, es geht ja um Euch her! Ich mein’ wohl, unser Bruder Hiltischalk hätt’ das richtige Wörtl gefunden und den guten Weg gewiesen. Aber Du hast ihn nicht geladen, Richtmann. So haben wir ausgeredet, wir Ramsauer, denn mit ihm ist unsere Stimm’ daheim geblieben.“ Wirr schrien im Kreis, als Runot zurücktrat, alle Stimmen durcheinander. Der Schönauer hob das Messer, doch eh’ er noch sprechen konnte, war Eigel mit geballten Fäusten in den Ring gesprungen „Leut’, Leut’,“ schrie er mit zornigem Gelächter, „ich hätt’ gemeint, die Frag’, zu wem wir halten sollen, wär’ ausgeraitet beim ersten Wort. Wenn ich die Wahl thun muß zwischen Trunk und Durst, zwischen Tag und Nacht. zwischen Lieb’ und Haß … muß ich mich da denn noch besinnen und raiten? Ist denn einer unter Euch. der den Waze nicht kennt und seine Buben? Einer, der ihm nicht gedoppelt steuern hat müssen Jahr um Jahr? Einer. dem er nicht gerissen von seinem Gut und Vieh? Einer, der seine Buß’ nicht geschmeckt hat und nicht weiß, wie seine Ruten brennen? Einer, der vor ihm und seinen Buben nicht gebanget hat um Weib und Tochter? Und da raitet Ihr noch?“ Die Glut seiner Worte faßte die Männer und weckte zornigen Beisall auf allen Seiten. „Not und Unrecht hat er ausgeworfen über uns, so dick wie die Körner fallen aufs Traidfeld. Lieb’ hat er gerissen von Lieb’ und hat uns geschlagen mit Weh und Jammer! Jetzt aber, jetzt kommt für ihn die zahlende Stund’ … und für Euch die gute Zeit!“

Der Schönauer war aufgesprungen. „Kohlmann!“ überklang seine Stimme den wachsenden Lärm. „Kohlmann! Du hast sie wohl schon in der Hand, die gute Zeit? Gelt? So schau’ doch einmal drauf hin beim Lichtschein. ob’s auch die gute ist oder am End’ gar die schlechter’ noch!“

Stimmen. die zur Ruhe mahnten, mischten sich in den Lärm, der sich mühsam dämpfte. Eigel und der Richtmann standen voreinander, sich messend mit funkelnden Augen.

„Kohlmann, Dein Gesicht brennt! Aus Dir redet die heiße Rach’ wider Waze, der Dir die Salmued genommen!“

„Und Dein Gesicht ist weiß! In Dir zittert die Angst um Deinen Buben! Und doch ist die Zeit, die uns die Klosterleut’ bringen, die beste, die uns blühen kann … Dir wie Deinem Buben! Ich hab’ von den Klosterleuten einen geführt … das ist der Oeberst’ von ihnen, derselb’, dem der Gadem gelegt ist in die Herrenhand! Er hat geredet zu mir, und seine Red’ ist mir ins Herz gegangen. Ich hab’ ihm ins Aug’ geschaut, tief hinein und lichtscheinig hat’s mich angeleuchtet wie da droben der Vollmond in der Finsternis! Mit dem ist ein gutes Hausen, Leut’! Und eh’ ich mein Hölzl noch in die Bockshaut leg’, mag von Euch ein jeder wissen, wie ich los’: weiß für die Klosterleut’!“

„Ich auch!“ fiel Kaganhart ein mit hastigem Wort. Während im Ring die Stimmen laut durcheinander schwirrten, faßte Eigel den Kaganhart am Arm. „‚Ich auch‘? Mehr ist Dir nimmer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_243.jpg&oldid=- (Version vom 14.8.2023)