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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Expreß“ machen die 1600 Kilometer betragende Fahrt in 24 Stunden - in der ganzen Welt nicht noch einmal zu finden sei. Nun beträgt allerdings die Durchschnittsleistung nur etwa 67 Kilometer auf die Stunde, aber der Umstand, daß sie auf eine Strecke eingehalten wird, welche diejenige von Wien bis Konstantinopel noch übertrifft, macht diese Fahrt doch zu einer außerordentlichen. Daß sie nicht unübertrefflich war, bewiesen die Amerikaner plötzlich im Sommer vorigen Jahres gelegentlich der Weltausstellung. Am 28. Mai nämlich ließ die New York-Centralbahn ohne viele Ankündigungen urplötzlich einen Zug ab, der die vielbefahrene Route New York-Chicago in kaum 20 Stunden, die Rückfahrt dagegen am nächsten Tage in noch etwas kürzerer Zeit bewältigte und von da ab in regelmäßiger Folge als zwanzigstündiger „Exposition Flyer“ - fliegender Ausstellungszug - seine Fahrten an jedem Nachmittage in den beiden Weltstädten antrat. Seine Leistung, 80 Kilometer im Durchschnitt während 20 Stunden, ist seit dieser Zeit der unbestritten höchste Dauerrekord, der von eisernen Rennpferden je erreicht wurde. Seine Geschwindigkeit erreicht nicht ganz die des schnellsten deutschen Zuges, Berlin-Hamburg, aber sie erstreckt sich über eine fast sechsmal längere Frist. Dabei soll der Zug während der ganzen Fahrt so ruhig über die Geleise gegangen sein, daß ein Unterschied gegen die früheren Fahrten kaum festzustellen war.

Die äußerste Schnelligkeit der Züge wird auch mit diesem Fortschritt noch nicht erreicht sein, wiewohl in der That für den Weltverkehr viel erreicht wäre, wenn es allenthalben Schnellzüge von gleicher Leistungsfähigkeit gäbe. In 70 Stunden würde man alsdann, anstatt in 108 Stunden, von New York nach San Francisco fahren können; von Berlin nach Paris könnte man in 14, nach Wien in 8, nach Petersburg endlich, wohin jetzt die Fahrt 35 Stunden währt, in 21 Stunden gelangen. Aber schon jetzt drängt der Wettbewerb zwischen den Eisenbahnen auf weitere Steigerung hin. Daß sie ausführbar, ja bis 140 und 150 Kilometer bereits ausgeführt ist, wurde im vorstehenden gezeigt, um sie aber in die Alltagspraxis zu übersetzen, sind nicht nur starke Lokomotiven und sichere Geleise, sondern auch, besonders in den Vereinigten Staaten, noch erhebliche Verbesserungen der Signalvorrichtungen nötig. Man hat es dort zwar mit Hilfe vorzüglicher Bremsen soweit gebracht, daß ein mäßig langer Zug von 80 Kilometern Geschwindigkeit auf die geringe Entfernung von 300 Metern zum Stehen gebracht werden kann, doch würde sich diese Strecke bei Geschwindigkeiten von 100 oder 110 Kilometern sicherlich schon auf das Doppelte bis Dreifache erhöhen, und in demselben Maße würde natürlich auch die Gefahr eines Zusammenstoßes wachsen.

Kehren wir nun noch einmal zu den Ausstellungshallen der „Weißen Stadt“ zurück. Was dort am Bau dieser gewaltigen amerikanischen Stahlrenner am meisten auffiel, war die vor kurzem noch ganz unbekannte, heute aber bereits von mehreren Fabriken geübte Anwendung der „Compound“- oder „Verbund“-maschinen auf die Lokomotiven. Nicht mehr zwei, sondern vier Cylinder führen diesen ehernen Riesen ihre Kraft zu, von denen die beiden größeren nur den Dampf nochmals zu verarbeiten haben, welchen die kleineren bereits teilweise ausnutzten. Die Maschinen sollen etwa um 5 Prozent weniger Kohlen verbrauchen als die älteren, was bei den hoch in die Millionen gehenden Kohlenkosten großer Gesellschaften schon recht hübsche Ersparnisse ermöglicht. Die größte bisher auf dem ganzen Erdenrund erreichte Geschwindigkeit hat, wenn wir dem Bericht des amerikanischen Fachblattes „Scientific American“ glauben dürfen, die Lokomotive Nr. 999 der New York-Centralbahn erzielt. 112½ englische Meilen oder einhundertachtzig Kilometer in der Stunde. Und das mit einem vollen Zuge hinter sich! Die Erbauer hoffen es noch auf 120 Meilen oder 193 Kilometer zu bringen. Derartige Maschinen würden also das Kunststück der geplanten elektrischen Eilbahn von Chicago nach St. Louis, 160 Kilometer im Durchschnitt zu fahren, mit Leichtigkeit ebenfalls vollführen.

Was das Gewicht betrifft, so ist jene Ideallokomotive Nr. 999 trotz ihrer Räder von zweieinviertel Meter Durchmesser noch geradezu leicht zu nennen: sie wiegt nur 57 Tonnen (zu 1000 Kilo). Zum höchsten Gewicht bringen es durchweg nicht die Renner der Eisenwelt, sondern die Gebirgs- und Güterzugslokomotiven. In Europa waren bis vor kurzem die 86 Tonnen schweren Maschinen der Semmeringbahn, in Amerika die 88½ Tonnen-Maschinen der berühmten Baldwinschen Werke in Philadelphia die schwersten Maschinen. Neuerdings erhielten die Hydepark-Werke zu Glasgow den Auftrag, für die gewaltigen Steigungen der mexikanischen Vera Cruz-Bahn eine Anzahl von sechsachsigen Maschinen zu bauen, deren Gewicht im Dienst bereits über 90 Tonnen, deren Preis allerdings auch runde 90000 Mark betragen sol. Und auch damit noch nicht zufrieden, haben in der jüngsten Zeit die Rhode-Island-Werke in Amerika für den Frachtendienst der mexikanischen Centralbahn Maschinen von 130 Tonnen oder 130000 Kilogramm Dienstgewicht gebaut; das ist bis jetzt der schwerste Lokomotivtypus und dürfte es vorerst auch bleiben, denn solche Kolosse nehmen den Unterbau ihrer Geleise selbst bei langsamer Fahrt entschieden stärker in Ansprnch als Lokomotiven von 60 Tonnen bei Geschwindigkeiten von 140 Kilometern und mehr.

Das wären die Fortschritte des eisernen Rennpferdes in 60 Jahren: Hier „Rocket“, ein Gewicht von 4500 Kilogramm, eine Schnelligkeit von 20 Kilometern in der Stunde - dort Renner, die 160 Kilometer laufen und von denen noch mehr verlangt wird, Riesen, welche 130000 Kilogramm wiegen und eine Last von 800000 Kilo, das Vierzigfache der Leistung von Stephensons Maschine, spielend über das Erdenrund befördern.



BLÄTTER UND BLÜTEN.

Zum Schutz der Waldschnepfe. Die Weidmannspoesie findet ihre schönste Blüte keineswegs in der Erlegung von Hirsch, Reh und Hase, im Kampf mit Bär und Sau, ja nicht einmal in der Ueberlistung Reinekes, sondern zweifellos in der Schnepfenjagd. Im Frühling, wenn die Natur ihre Festfeier begeht, wenn das frischgrüne Land sich zu entfalten beginnt und die bunten Blüten von Tag zu Tag mannigfaltiger und reicher sich erschließen, dann eilt der Jäger hinaus, um des köstlichsten Genusses teilhaftig zu werden, den sein Beruf mit sich bringt. Und für viele, ja für die meisten Grünröcke steht jetzt der Naturgenuß höher als die Jagd an sich.

Der Naturfreund und mit ihm der „edle“ Jäger, der seine Tiere liebt und hegt, der nicht bloß ein Töter, ein Schlächter, sondern ein Beschützer und gleichsam Züchter der Jagdtiere ist - muß er nun aber nicht unwillkürlich an das harte Los gerade des Vogels denken, dem er die schönste Jagd verdankt, der Waldschnepfe? Als Gast, als Wanderer auf dem Durchzuge erliegt sie einer rücksichtslosen Verfolgung!

An verschiedenen Stellen hat man es längst mit schmerzlichem Bedauern wahrgenommen, daß die Anzahl der durchwandernden Schnepfen sowohl auf dem Frühjahrs- wie auf dem Herbstzuge von Jahrzehnt zu Jahrzehnt sich erheblich verringert hat. Bei derartigen Feststellungen läßt sich allerdings nur schwierig eine gewisse Sicherheit erreichen, da ja der Zug infolge wechselnder Witterung außerordentlich unregelmäßig ist. Da aber die Stimmen der Sachverständigen, welche die Abnahme behaupten, immer zahlreicher werden, so läßt sich an der leidigen Thatsache wohl keinesfalls mehr zweifeln.

Doch ganz abgesehen davon – welche unmenschliche Härte liegt doch gerade darin, daß die Waldschnepfe allenthalben dann massenhaft abgeschossen wird, wenn sie unmittelbar vor der Brut steht! Dem harmlosen und überaus wertvollen Vogel gegenüber übt man ein Verfahren, das man sonst nur den schädlichsten Tieren gegenüber anzuwenden pflegt! Und es ist nicht bloß hart, es ist auch unwirtschaftlich, so und so viele dieser kostbaren Vögel unmittelbar vor der beginnenden Brut, überaus häufig sogar mit Eiern im Leibe, zu töten. Die Stimmen der Sachverständigen weisen darauf hin, daß dieser Zugvogel bei entsprechender Schonung bald in vielen Strichen unseres weiten deutschen Vaterlandes ein zahlreich nistender Brutvogel sein würde, da er ja bereits jetzt, trotz der Verfolgung, nicht selten bei uns nistet. Darum ist es ein berechtigtes Verlangen, es möchte der Waldschnepfe und zugleich auch unsern anderen Schnepfen eine Schonzeit vom Beginn ihres Nistens an gewährt werden. Möge man immerhin der Schnepfenjagd den Herbst hindurch freien Spielraum gönnen und meinethalben auch im Frühjahr, hier jedoch nur so lange, bis in jeder einzelnen Gegend festgestellt werden kann, daß die Schnepfen zu nisten oder zu legen beginnen. Dies müßte jedesmal, in ähnlicher Weise wie der Anfang der Hasen- und Rebhühnerjagd, durch eine Kommission von Sachverständigen geschehen, und der Zeitpunkt würde natürtich je nach der Lage eines Landstrichs verschieden sein.

Hätte ich einen bedeutenden Einfluß auf die maßgebenden weiteren Kreise unserer deutschen Jägerschaft, so würde ich sie noch um etwas Größeres bitten, nämlich darum, dem herrlichen Jagdvogel im Frühling einen vollen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 239. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_239.jpg&oldid=- (Version vom 25.6.2023)