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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Ein Zittern befiel den Fischer, als er diese Thränen sah. „Geh’, thu’ nicht weinen!“ sagte er mit schwankender Stimme. „Schau’, wenn ich den Falken wieder lebig machen könnt’, ich weiß nicht, was ich gäb’!“

Recka hörte nicht, was er sagte, nur der Klang seiner Stimme schlug an ihr Ohr; sie hob die funkelnden Augen, ihr Gesicht verzerrte sich im Zorn und mit geballten Fäusten sprang sie auf. „Fischer, was hast Du meinem Falken gethan?“

„Nichts, Recka!“ stammelte Sigenot. „Ich hab’ ihn nicht angerührt.“

„So hat ihn wohl die Ente zu Tod gestochen mit ihrem stumpfen Schnabel? Oder hat sie ihn erwürgt, da sie schon verendet lag? Er flog und lebte ... und Deine Hände haben gegriffen nach ihm!“ Sie trat vor den Fischer hin, bebend vor Zorn und Erregung. „Was hast Du meinem Falken gethan?“

„Nichts, Recka! Ich hab’ es schon einmal gesagt und meine Red’ ist Treu’ und Wahrheit.“

„So treu und wahr, wie daß mein Falk noch lebt!“ fiel Recka dem Fischer mit schriller Stimme ins Wort. „Wenn Du ihn schon erschlagen hast, so hab’ doch den Mut und sag’ mir’s ins Gesicht! So sag’ es doch frei heraus: das ist die Vergeltung für Hennings Pfeil und Stein!“

„Recka!“ Erbleichend war Sigenot zurückgetreten.

„So nimm sie, Deine Buß’!“ Mit zuckender Hand hob sie den Falken von der Erde und schleuderte ihn vor die Füße des Fischers. „Hennings Pfeil hat Dich gefehlt, mich aber hast Du getroffen in meinem Einzigen und Liebsten. Und üble Buß’ hast Du genommen ... Henning hat geschlagen wider einen, der in Wehr und Eisen geht, Du aber hast geschlagen wider mein wehrloses Tier ... noch schlechter als er bist Du!“ Zorn und Zähren erstickten ihre Stimme, sie wandte sich ab und ging ihrem Rosse zu, welches mit schleifendem Zügel zwischen den Baumen graste.

Da vertrat ihr Sigenot den Weg. Fahle Blässe bedeckte seine Züge, seine Augen brannten und seine Stimme klang, als läge eine würgende Hand an seiner Kehle. „Du hast mir gesagt, was keiner, der Mannesnamen hat, mir sagen hätt’ dürfen, ohne daß ich ihn niedergeschlagen hätt’ mit meiner Faust.“ Mit heiserem Lachen richtete sich Recka auf, und ihre Hand griff nach dem Messer am Gürtel. „Laß die Hand von Deiner Wehr! Ich brauch’ nicht denken, daß Du ein Weib bist, ich denk’ nur, was Du gestern gethan hast für meine Schwester ... und der Schimpf, den Du mir angethan, ist wett gemacht. Noch einmal sag’ ich Dir: ich hab’ Deinem Vogel an keine Feder gerührt! Ich hab’ gesehen, wie er fallt und wie ihm das Leben ausgeht ... und mir ist leid gewesen um ihn, denn ich hab’ gewußt, daß der Vogel Dir lieb ist. Hätt’ ich Buß’ gesucht für Hennings Pfeil und Stein, ich hätt’ wohl anderen Weg genommen als zu Dir und Deinem Vogel!“

Recka wollte sprechen, doch wie ein glühender Strom floß Sigenots Rede. „Ich hab’ gar wohl geschieden zwischen Deinem Bruder und Dir! Und hab’ ich ihn gehaßt wie der Tag die Nacht ... Dir bin ich gut gewesen wie der Baum dem Licht. Was schaust mich an? Das Wort ist heraus ... und weil wir schon raiten miteinander, soll geraitet sein bis auf das letzte Wörtl! Dir bin ich gut gewesen, seit ich denk’ ... und hab’ zu Dir aufgeschaut wie die Morgenerd’ zur lieben Sonn’. Ich mein’, Du hätt’st es merken können auf dem Weitsee in derselbigen Sturmnacht, in der ich untreu mein eigen Blut hab’ sinken lassen, weil ich greifen hab’ müssen nach Dir!“

Reckas Gesicht verfärbte sich, und mit tastender Hand griff sie nach einem Baum, als bedürfte sie einer Stütze.

„Und seit ich Dich in derselbigen Nacht gehalten hab’ an meinem Herzen, derzeit hab’ ich hangen müssen an Dir in Weh’ und Lieb’, derzeit hab’ ich denken müssen an Dich in Licht und Finsternis, öfter in jeder Stund’, als der streifende Wolf in der Schneenacht die eigene Fährt’ überläuft!“ Schweratmend verstummte Sigenot und drückte die Fäuste auf seine Brust, als könnte er gewaltsam den Sturm bezwingen, der in seinem Herzen entfesselt war.

„So sprich doch weiter!“ stieß Recka mit versagender Stimme hervor. „Red’ es doch zu End’, was mein Vater begonnen hat in der heutigen Nacht ... es klingt ja Deine Red’ zu der seinigen wie das Echo zum Hall.“ Sie lachte zornig. „So sag’ es doch, daß Du mit ihm eins geworden ... sag’ es doch, daß Du geschachert hast und den Preis bestimmt, für den Du mit ihm gehen willst auf gleichem Weg und zu ihm halten wider die Klosterleut’! Eins aber merk’ Dir: eh’ Du mit Deiner heiß gewordenen Fischhand rühren sollst an mich, eh’ mögen die da draußen beim Lok’stein meines Vaters Dach über mich und meine Brüder werfen!“

Sigenots Arme sanken und seine Augen richteten sich mit festem Blick auf Recka. „Ich weiß nicht, was Du meinst! Doch daß ich zu Deinem Vater und zu Deinen Brüdern halt’, daß ich einen Weg geh’, auf dem ich Treu’ und Recht nicht find’, dafür giebt’s keinen Preis in der Welt, und möcht’ er so schwer auch wiegen, wie Du mir gewogen hast! Ich kann mein Herz nicht umwerfen, wie der Bauer die Erd’ mit seinem Pflug ... aber sterben kann ich an meiner Treu’, die meinem Haus und Blut gehört und dem, was recht und gut ist! Schau’ her!“ Er raffte einen dürren Ast von der Erde. „Schau’ den Stecken an! In aller Not, die Deine Brüder sinnen wider mein Haus, nach allem Schimpf noch, den Du mir angethan, hängt meine Lieb’ an Dir wie Holz an Holz! Aber so“ – mit jähem Ruck zerbrach er den Ast und schleuderte das eine Stück zur Linken, das andere zur Rechten – „so gehen unsere Weg’ auseinander! Ich bin, was ich sein muß ... und Du bist Blut von Wazes Blut! Zwischen Dir und mir ist ein Wasser, das nimmer ausrinnt, zwischen Dir und mir ein Berg, der nimmer fallt und eben wird!“

Mit bleichen Lippen wandte Sigenot sich ab und schritt durch den Wald der Ache zu. Recka stand zitternd, mit fahlem Gesicht und ballte die Faust. „Triff ihn, Henning!“ keuchte sie. „Triff ihn ... und ich will den Streich nicht schelten!“ Stöhnend schlug sie die Hände vor das Gesicht und so stand sie lange, an den Baum gelehnt. Endlich ließ sie die Arme sinken; wie versteinert waren ihre Züge. Sie ging auf den Falken zu, hob ihn von der Erde und bestieg das Roß; langsam ritt sie durch den Wald, keinen Zügel führend, dem Pferde die Sorge um den Weg überlassend. Im Schoße hielt sie ihren toten Liebling, und während sie mit starrem Auge auf ihn niederblickte, suchte ihre zitternde Hand das wirre Gefieder zu glätten.

Um die Wildente, welche vergessen im Moose lag, begannen die Fliegen zu summen ...

Der Abend kam, still und mit goldigem Schimmer. Ein leiser Wind erwachte und von den grünen Buchen flatterte zuweilen ein gelbes Blatt zur Erde; im Sommerleben der Natur erwachte schon die Ahnung des nahenden Winters. Ueber den Feldern der Schönau, hoch in den Lüften, kreiste eine Schwalbenschar, die sich sammelte zur Wanderung in die Ferne.

Im roten Schein der sinkenden Sonne wanderte Sigenot, einem Pfad am Ufer der Ramsauer Ache folgend, über die Halden der Strub, vorüber an kleinen hagumschlossenen Hütten. Von der Höhe des Lokiwaldes klang der Hall der Glocke. Sigenot verhielt die Schritte und seine Augen schweiften mit kummervollem Blick hinauf über das schattige Waldgehänge. „Für alles kann er halt doch nicht helfen!“ murmelte er, streifte mit der Hand über die Stirn und wanderte weiter.

Die Glocke klang. Sie läutete den letzten Feierabend der Woche ein und grüßte mit ihrem Hall die vollendete Klause, auf deren mit Reisig, Moos und Rinden gedecktem Dach neben dem hölzernen Kreuzlein ein grünes Tannenbäumchen ragte.

Bruder Wampo kochte am flackernden Feuer das Abschiedsmahl für die Knechte, welche in der Mondnacht mit den Saumtieren heimziehen sollten nach der Salzaburg. Waldram lag im Zelte, gepeinigt vom Schmerz der schwer heilenden Geißelwunden; Eberwein schaffte noch im Zwielicht des Kirchleins, an der hölzernen Platte schnitzend, die er für den steinernen Altar gefertigt hatte. Vom ragenden Kreuze blickte das farbige Bildnis des Erlösers auf ihn nieder.

Vom Strang der Glocke hinweg war Bruder Schweiker wieder in die Klause getreten, um die kleinen Kammern zur Not für diese erste Nacht noch wohnlich einzurichten. Sein Gesicht war bleich, seine Augen hatten einen verlorenen Blick, und alle Arbeit that er wie ein Träumender.

Die Knechte hatten ihr Mahl genommen und standen zur Heimfahrt bereit, jeder ein Saumtier führend, jeder ausgerüstet mit einer Kienfackel, deren Flammen in der Nacht die Raubtiere verscheuchen und den Weg erleuchten sollten, bis das Licht des Vollmondes niederfiele in das enge Thal. Mit herzlichen Worten gab Eberwein den Knechten Abschied. Schweiker drückte wortlos ihre schwieligen Hände und klopfte die Saumtiere auf den Hals zum Gesellendank für die Arbeit, welche sie redlich mit ihm

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_224.jpg&oldid=- (Version vom 1.7.2020)