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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

dieser Vertiefung lag Hinzula auf dem Heubett, den Schoß bedeckt von einer grauen Kotze, auf welcher die Hände ruhten.

Zögernd näherte sich Schweiker; er wollte sprechen, aber nur wortlos rührten sich seine Lippen. Verwundert, fast erschrocken hingen seine blauen Augen an der Hirtin, die ihm, sauber gewaschen und gestrählt, verwandelt schien wie die verwunschene Jungfrau am guten Ende des Märleins. Sie trug ein ärmelloses Kittelchen aus gelblichem Hanftuch; weiß schimmerte das schmale Gesichtlein unter dem Blondhaar und der blutfleckigen Stirnbinde, und nicht minder weiß die nackten Arme, die der Sonnenbrand unter der grauen Hülle, welche sie getragen, nicht hatte bräunen können. Mit schüchternem Lächeln blickte sie zu Schweiker auf. „Gelt, jetzt bleibst noch ein lützel da? Mußt ja doch rasten!“

„Freilich,“ stotterte er, „freilich!“

„So geh’, thu’ Dich doch niederlassen!“ sagte sie und rückte an die Mauer, damit er Platz hätte auf dem Rand des schmalen Lagers. Er streckte schon die Hand nach der Kante und wollte sich setzen, da klang es leise in den Lüften und quoll durch Thür und Wände mit verschwommenem Hall, kaum hörbar noch, wie ein Ruf aus weiter Ferne.

Schweiker richtete sich auf, und seine Stimme zitterte. „Ich kann nimmer bleiben, Kindl ... das Glöckl ruft!“

Erschrocken hob sich Hinzula aus dem Heu und griff mit der Hand nach ihm. Aber er schüttelte den Kopf, daß der lange Flachsbart wie eine Welle floß. Der Atem schien ihr zu versagen, und es währte eine Weile, bis sie fragen konnte. „Aber gelt, Du kommst bald wieder und suchst mich heim?“

Er starrte vor sich nieder und murmelte. „Ich weiß nicht!“

Hinzulas Augen füllten sich mit Zähren. Scheu blickte er auf, und als er an ihren Lidern die Perlen schimmern sah, zog es ihm den Kopf gegen die Schulter, als hätte er einen Krampf im Nacken bekommen. Langsam streckte er die Hand aus, machte das Kreuzzeichen über Hinzulas wunde Stirn und flüsterte: „Friede sei mit Dir!“ Und als wäre ihm der gewohnte Spruch zu kurz und nicht kräftig genug, so fügte er noch bei: „Der liebe Gott soll Dich hüten und schützen, Kindl!“ Dann wandte er sich ab und schritt der Thür zu. Der Bauer und die Bäuerin traten ihm entgegen. „Ja was ist denn, Gottesmann?“. fragte der Greinwalder, „willst denn schon wieder fort?“ Wortlos schritt der Bruder an ihm vorüber, mit beiden Händen den Rosenkranz umklammernd, der hinter seinem Gürtel steckte. „Ja was hat er denn?“ fragte das Weiblein verwundert und starrte ihm nach.

Als Schweiker die freie Wiese erreichte, zog ein schwüler Windhauch über den sonnigen Wald herauf, und heller tönte die Glocke. Immer rascher wurde Schweikers Gang, und als er den Wald betrat, kam er auf dem steilen Hang ins Laufen. Am Ufer der Ache hielt er tief atmend inne. Eine Weile hingen seine Augen mit verlorenem Blick an den schießenden Wellen, dann hob er die Hände und starrte die leeren Arme an. Da gewahrte er die eingetrockneten Blutflecken. Er bückte sich, schöpfte Wasser mit der Hand und begann zu waschen, bis die letzte Spur des Blutes getilgt war. Als wäre er müde geworden von diesem Werk, so ließ er sich am Ufer niedersinken auf einen Stein, stützte die Arme auf und drückte das Gesicht in die Hände. Vor seinen Füßen ließ sich im Wasser ein leises Plätschern hören. Ohne daß Schweiker es merkte, war der Rosenkranz hinter seinem Gürtel hervorgeglitten und in den Bach gerollt. Die hölzernen Perlen schwammen, ein Wirbel ergriff und drehte sie; hier stießen sie wider einen Stein, dort hafteten sie an einem niederhängenden Ständlein aber eine leuchtende Welle faßte die Perlen und trug sie gaukelnd davon.




17.

In der Mittagssonne ritt Herr Waze über die Schönauer Felder. Auf einzelnen Aeckern schnitten die Leute das Korn, auf anderen lagen schon die gebundenen Garben und harrten des Erntekarrens. Wo Herr Waze ritt, eilten die Knechte und Mägde auf ihn zu und küßten ihm unter scheuem Gruß den Steigbügel. Ritt er weiter und blickte sich um, so sah er, wie sie beieinander standen und die Köpfe zusammensteckten.

Am Gehöft des Kaganhart führte sein Weg vorüber; das Thor war geschlossen, und lautlose Stille lag über dem Hag. Doch als Herr Waze durch einen Hohlweg niederwärts ritt gegen den Thalwald, begegnete ihm die Hausfrau des Kaganhart mit beladener Kraxe. Scheu blickte sie zu dem Reiter auf und trat seitwärts in die Dornbüsche. Herr Waze musterte das Weib, und ein dünnes Lächeln glitt über seine Lippen. „Woher, Hilmtrud?“ fragte er, das Pferd verhaltend.

„Von der Alben, Herr!“

„Wo ist Dein Hauswirt?“

„Der kehrt morgen heim.“

„So? Nächtet er auf der Alben oder“ – wie zei Dolche blitzten die Augen des Reiters auf Hilmtrud – „oder hat er vielleicht einen Weg in der heutigen Nacht?“

„Einen Weg, Herr?“ stotterte das Weib. „Ich weiß nicht, was Ihr meinet.“

Eine Weile schwieg Herr Waze, dann sagte er lächelnd: „Da hast Du aber eine schwere Krax’ voll Zeug. Wenn Du abladest daheim, so vergiß nur nicht, daß mir Dein Hauswirt von Sonnwend’ her noch die halbe Steuer schuldet.“ Hilmtrud erblaßte und schlang die beiden Arme rückwärts um die Kraxe. „Schau’ doch,“ lachte Herr Waze, „meine Mahnung treibt Dir ja alles Blut aus dem Gesicht! Ihr braucht Euer Sach’ wohl selber, gelt? Freilich, das ist ein schlechter Sommer heuer. Und ich möcht’ Deinem Hauswirt die Steuer wohl gern erlassen. Aber ein Dienst, mein’ ich, wär’ des anderen wert.“

„Was müßt’ er denn schaffen dafür?“ fragte die Bäuerin hastig.

„Nicht viel. Nur heimlich müßt’ er mich wissen lassen, für wann er zum Thing auf den Totenmann geladen ist.“

Eine dunkle Röte schoß über Hilmtruds Gesicht. „Aber Herr,“ stammelte sie, „wie kann er denn das? Der Thingbot’ ruft doch unter Schwur!“

„Freilich! Da wirst Du halt die Steuer zahlen müssen! Und heut’ noch, ober ich müßt’ Dich morgen mahnen lassen durch meine Knecht’!“ Freundlich grüßte Herr Waze und ritt davon. Er hatte den Wald noch nicht erreicht, da kam die Bäuerin ihm nachgelaufen, ohne Kraxe. Mit beiden Händen faßte sie den Bügel, und Herr Waze verhielt das Roß. „Was willst Du noch?“

„Euch sagen, was ich weiß – ich hab’s erlauscht!“ raunte das Weib mit bleichen Lippen. „Er ist geladen ... in der heutigen Nacht, wenn Vollmond einsteht!“

„Heut’ schon?“ lachte Herr Waze. „Da hab’ ich Eil’!“ Und er gab dem Pferde den Stachel.

„Herr, Herr!“ keuchte Hilmtrud, klammerte sich an den Bügel und ließ sich vom Rosse schleifen. „Euer Wort, Herr, Euer Wort, daß es heimlich bleibt und daß die Steuer ... die Steuer ...“ Weiter kam sie nicht; um nicht unter die Hufe des sich bäumenden Pferdes zu geraten, mußte sie den Bügel fahren lassen und taumelte rücklings in die Dornbüsche.

In jagender Eile sprengte Herr Waze davon, vor dem niederhängenden Gezweig des Waldes auf den Hals des Pferdes sich bückend. Bald erreichte er die Ache und den breiteren Reitweg, welcher emporführte zu seinem Haus. Bei einer Wendung des Pfades konnte er über die Bäume niederblicken auf das Fischerwesen, von welchem helle Beilschläge zu ihm heraufklangen. Herr Waze verhielt das Pferd und deckte spähend die Hand über die Augen; in Sigenots Hofreut sah er vier Männer bei der Arbeit.

„Er hat seine Sennen gerufen und festet wohl den Hag.“ Lachend trieb er das Pferd wieder an. „Schlag’ nur die Pfähl’ und leg’ die Balken! Sie sollen mir den Weg nicht sperren, wenn Deine Stund’ gekommen ist!“

Als Herr Waze sich dem Burgthor näherte, kam seine Tochter Recka ihm entgegengeritten; bleich wie ein steinernes Bild saß sie auf ihrem Rappen, die beiden weißgefleckten Bracken sprangen ihr voraus, und während sie mit der Linken die Zügel hielt, trug sie auf der Rechten ihren Liebling Edilo, welcher unsicher, mit gesträubtem Gefieder auf dem ledernen Handschuh saß. Finster blickte Herr Waze auf seine Tochter, welche zum Gruß kaum merklich nickte und schweigend vorüberreiten wollte. Dunkle Röte färbte seine Stirn, er riß das Pferd herum und sperrte Reckas Weg. „Betrag’ Dich wider mich, wie Dir die Laun’ steht, das ist mir alles eins! Aber Narrheit im Weidwerk leid’ ich nicht! Unter der heißen Tagsonn’, das ist keine Zeit zum hohen Flug.“

„Ich reite nicht zu meiner Lust,“ erwiderte Recka in mühsam bewahrter Ruhe, „ich reit’ um des Falken willen. Er krankt seit der heutigen Nacht, Flug und Freiheit werden ihm

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_222.jpg&oldid=- (Version vom 24.6.2020)