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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Netz von Unwahrheiten und falschen Vorstellungen, in das die kranke Frau seit Jahren schon eingesponnen war. „Man sagt ihr irgend ’was, wenn ich ’mal lange fort bin – landwirtschaftliche Akademie, weite Reise, kleines Erkältungsfieber, das mich am Heimkommen hindert, das findet sich schon! Aber weil ich doch minderjährig bin, muß ich Deine Zustimmung haben, Papa!“

„Wie denkst Du Dir Deine seemännische Laufbahn?“ unterbrach ihn sein Vater in etwas scharfem Ton.

„Das ist ziemlich einfach – ich hab’ mir schon alles zurechtgelegt. Mit dem Zeugnis für Oberprima komm’ ich bei der Marine an – ich hab’ ein Langes und Breites mit Onkel Erich darüber geredet. Zu Anfang war er gehörig wütend und sehr grob; der Seemannsberuf sei zehntausendmal zu schade dazu, so nebenher als Notbehelf gewählt zu werden, bloß weil’s mit der Landwirtschaft nichts werden könne, und ’n richtiger Seemann sei um fünfzig Prozent besser als ein Landwirt, und was er sonst noch so gesagt hat. Zuletzt aber, als ich gar nicht locker ließ, da hat er vernünftig geredet und mir von seinem Paten allerlei erzählt, das ist ein Kapitän Kamphausen, auch bei der Marine, führt jetzt die ‚Nixe‘, in China oder da herum. Muß ein sehr tüchtiger Mensch sein, und so einer wie der will ich auch werden. Kennst Du den Kapitän Kamphausen, Papa?“

„Sehr oberflächlich!“

„Mir ist doch so, als hättest Du mir ’was von ihm erzählt – oder war das Ilse? Na, einerlei, auf den also schwört Onkel Erich, und wenn Kamphausen zurückkommt, dann werd’ ich mich an ihn machen, und er wird mir helfen, denn das kann er, sagt Onkel Erich. So, und nun wißt Ihr es! Bist Du böse, Papa?“

Herr von Doßberg wiegte kummervoll den Kopf hin und her. In vielem von dem, was sein Sohn soeben gesprochen hatte, lag Wahrheit, er konnte sich’s nicht verhehlen. Ein Landwirt ohne Vermögen, das war eine kümmerliche Existenz! Aber nun Seemann – ein so schwieriger, so gefahrvoller Beruf! Ein solches Los hatte er, der Vater, seinem einzigen Sohn bereitet, daß dieser den Weg, den seine Vorfahren in Ehren gegangen waren, verlassen und froh sein mußte, wenn Fremde ihm „halfen“, in den neuen Beruf einzutreten! Bitter stieg es empor in dem unglücklichen Mann. Ilse strich sanft mit ihrer weichen Hand über seine Rechte, die, zusammengeballt, schwer auf dem Tisch lag. „Böse kann Papa nicht sein!“ sagte sie tröstend, aber mit etwas erzwungener Frische zu Armin, der erschrocken zu seinem Vater hinübersah. „Dazu ist er viel zu einsichtsvoll und zu gerecht; als Landmann wird er Dich selbst nicht gern sehen wollen, nachdem alles sich so anders gestaltet hat. Und wenn Dir jetzt der Beruf eines Seemanns noch am besten gefällt, so wird Papa sich gewiß allmählich in den Gedanken finden, und ich werde es auch! Nicht wahr, Papa, wir werden es beide thun? Das sind wir schließlich doch Armin schuldig, vorausgesetzt natürlich, daß er nicht wankelmütig ist und seine Pflicht thut. Und wenn Onkel Erich seine Hand über ihn hält – er hat Dir’s doch versprochen, nicht wahr?“

„Ja, und er sagte auch, falls es Papa zu schwer würde … mit den Kosten, mein’ ich … so würd’ er zusehen, ob sich nicht in seiner Tasche etwas für mich fände!“

„So ist Onkel Erich!“ Ilse nickte dem Bruder lebhaft zu „Er kann herzhaft grob werden, unausstehlich kann er sein … schließlich, wenn man seiner bedarf, ist er allemal auf dem Platz.“

„Aber die Gefahren dieses Berufs!“ warf Doßberg ein.

„Ach, Väterchen, er ist aber doch schön!“ Ilses Augen leuchteten, die Stimme klang warm und überzeugend. „Die ganze weite schöne Welt sehen dürfen, all das Neue, Fremdartige genießen, von dem andere ihr Lebtag kaum eine dürftige Ahnung durch Bücher bekommen – sein gutes Schiff sicher durchbringen durch Sturm und Wetter –“

„Ich habe gar nicht gewußt,“ sagte der Baron langsam und musterte Ilse mit prüfendem Blick, „daß mein Töchterchen ein so begeisterter Anwalt für den Seemännsberuf ist!“

„Aber recht hat sie!“ fiel Armin mit seiner heisern Stimme ein, die so drollig zwischen krähendem Diskant und wuchtigem Baß hin und herschwankte.

Inzwischen war Ilse, um ihre Verlegenheit zu verbergen, an den kleinen Seitentisch getreten; sie füllte die Gläser, mischte, prüfte, mischte wieder und trat dann vor den noch immer stumm und unschlüssig dasitzenden Vater hin. „Komm,“ sagte sie heiter und gab ihm das Glas mit der dampfenden Flüssigkeit in die Hand, „komm, Papa, stärk’ Dich! Und das erste Glas auf Armins neuen Beruf!“

Die drei Gläser klangen aneinander; mit einem leichten Kopfschütteln, aber ohne weiteren Widerspruch setzte Herr von Doßberg sein Glas an die Lippen, während Armin, in feuriger Begeisterung für die gute Sache, das seinige fast bis zur Neige leerte.

Es klopfte leise, Lina erschien auf der Schwelle. „Guten Tag, Herr Armin! Die gnädige Frau sind aufgewacht, Herr Baron, und fragen nach dem jungen Herrn!“

„Grüß Gott, Lina! Wir kommen – wir kommen sofort!“

Hinter des Vaters Rücken griff Armin nach Ilses Hand und drückte sie in seiner Dankbarkeit so „männlich“, daß das junge Mädchen fast aufgeschrieen hätte. „Bist ’n famoser Kerl. Du!“ flüsterte er anerkennend. „Hast Dich einfach großartig benommen – ich vergeß’ Dir’s nicht. Und wenn Du gelegentlich von mir ’was haben willst … na, sollst ’mal sehen!“

Die Drei schritten durch das Vorzimmer, dessen Ausstattung Armin vorhin, ganz erfüllt von seinen Seemannsgedanken, weiter nicht beachtet hatte. Es glich einem Blumengarten. Auf Tischen, Korbgestellen und in gefällig geformten Majolikagefäßen duftete und blühte es hier, am vierundzwanzigsten Dezember, wie am herrlichsten Frühlingstag. „Prachtvoll!“ rief Armin, einen Augenblick stehen bleibend, um seine Nase tief in einen ganzen Busch frischer Maiblumen zu vergraben. „Ist ja fabelhaft schön! Wo habt Ihr das her?“ Ilse that, als habe sie die Frage nicht gehört, sie ging hastig voran. „Wo habt Ihr das her?“ wiederholte Armin.

„Herr von Montrose schickt täglich Blumen aus dem Gewächshaus herüber!“ sagte Baron Doßberg.

Armin fuhr von den Maiblümchen zurück, als züngelte ihm daraus plötzlich eine Natter entgegen. Ilse winkte ihm ungeduldig. „So komm doch, Armin, Mama wartet ja!“ – 0000000000

Einige Stunden später brannten neben dem Bett der Baronin die Lichtchen des Weihnachtsbaums. Die Kranke lag still in den hochgetürmten schneeweißen Kissen, die Hände leicht ineinandergelegt, und starrte unverwandt, mit großen Augen, in den Glanz der Kerzen; in ihren weitgeöffneten Augen spiegelte der Lichtschein sich wieder. Sie sprach sehr wenig, aber sie wollte all die kleinen Gaben sehen, die Mann und Kinder einander beschert hatten, und als man sie ihr einzeln ans Bett brachte, nickte sie freundlich. Auch die weiche seidene Decke, das feine Häubchen, das buntgemalte Trinkglas, die für sie bestimmt waren, schienen ihr Freude zu machen, ihre schmale Hand strich leise über die knisternde Seide hin, ihr Mund lächelte dankbar. Armin fand die Mutter im ganzen unverändert, nur daß ihre Stimme anders klang als sonst, fiel ihm auf. Sie sprach mit einem ganz leisen müden Ton wie ein geduldiges Kind.

Armin war sehr vergnügt. Die Sache mit dem Berufswechsel hatte ihm schwer auf der Seele gelegen, jetzt aber mußte alles gut werden. Und auf vierzehn Tage frei von der Schule zu sein, war auch nicht übel! So saß er denn neben dem Bett der Mutter, erzählte allerlei drollige Schulgeschichten, ahmte seine Lehrer nach und brachte die Zuhörer mehr als einmal zu lautem Lachen. Die Lichter am Tannenbaum brannten fort, ein feiner Harzduft schwebte durch den Raum, die großen Wandspiegel warfen den Kerzenglanz leuchtend zurück, dann und wann knisterte ein Zweiglein. Baron Doßberg dachte zurück an den mächtigen Saal im Schloß, in dem sonst die drei riesengroßen Tannenbäume gestanden hatten, die langen Tafeln, die vom einen Ende des weiten Raumes zum andern reichten, belastet mit Geschenken für die Schloßdienerschaft, für die Bewohner des Dorfes. Jetzt baute ihnen ein Fremder die Gaben auf, zum erstenmal seit Jahrhunderten war es kein Doßberg! Heiß stieg es ihm in die Augen, die Lichter des Weihnachtsbaumes flimmerten vor seinem Blick. Leise kam Lina ins Zimmer, sie machte sich etwas in Ilses Nähe zu schaffen und flüsterte dabei: „Fräulein Ilse, bitte, einen Augenblick! Im kleinen Vorzimmer ist – ist – jemand!“

Der Baron sah, wie seine Tochter erblaßte, er hatte Linas Bestellung gehört; es kam ihm in seiner Stimmung gelegen, gleichfalls zu gehen. „Ein paar Minuten nur für mich und Ilse, liebste Elisabeth!“ sagte er und küßte die Hand seiner kranken Frau. „Gleich sind wir wieder bei Dir!“

Im Vorzimmer unter den Blumen stand Clémence von Montrose, in einen kostbaren Pelz gehüllt, eine viereckige polnische

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 218. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_218.jpg&oldid=- (Version vom 30.5.2020)