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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Mit halb geschlossenen Augen spähte er in Reckas Gesicht und suchte zu lesen in ihren steinernen Zügen. „Bevor ich aber weiter antwort’,“ sagte er langsam, „hätt’ ich selber eine Frag’. Was kümmert denn Dich der Fischer?“

„Er? Nichts!“ erwiderte Recka mit heftigem Wort und wandte sich ab. „Ich sorge mich um seiner Schwester Los, die mir ins Herz gewachsen!“

„So? Die Schwester also?“ Herr Waze fing mit der Zunge den Schnurrbart zwischen die Zähne und nagte an den grauen Haaren. „Warum hast Du sie denn gar so lieb, die Schwester?“

„Weil sie gut und hold ist und meine Lieb’ verdient.“

„So? Gut und hold? Die Schwester? Und drum verdient sie Deine Lieb’? Und sonst, sonst hast Du keinen Grund?“

Recka blickte den Vater an. „Einen Grund? Welchen?“ Kalt und ruhig klang ihre Stimme, doch in ihre bleichen Wangen schlich eine dünne Röte.

Herr Waze lächelte. „Komm, mein schönes Rotfüchsl, thu’ nicht so finster! Komm, setz’ Dich her zu mir und laß uns miteinander reden in Ruh’! Schau’, ich wüßt’ schon einen Weg, auf dem der Fischer ein gutes Leben und Weilen hätt’ … da wär’ dann auch seiner Schwester geholfen, die Du so lieb hast!“

Zögernd ließ sich Recka auf den Sessel nieder, zu welchem der Vater sie gezogen hatte. Ihr gegenüber setzte sich Herr Waze an den Tisch und legte die Arme über die Platte. Langsam, als wöge er jedes Wort, begann er von den Sorgen zu sprechen, welche ihm die Klosterleute bereiteten, und er wählte die Worte glücklich; denn Recka lauschte gespannt, und zornig blitzten ihre Augen, als sie jener ersten Begegnung mit Waldram und Eberwein gedachte.

„Mein Haus und Land wollen sie mir nehmen, und Dir den Wildbann, Dein Roß, die Falken und die freie Luft! Ich hätt’ ihnen wohl einen Hag geflochten wider solch Gelüst’, aber dieser Fischer, dieser Sigenot …“

„Laß den Fischer aus Deiner Rede!“ fuhr Recka in brennendem Unmut auf.

„Ich brauch’ ihn aber! Wär’ der Fischer für mich, so hätt’ ich leichteren Stand. Er geht für hundert, ihm laufen die anderen nach … ich muß ihn haben!“

„Und meinst Du, wie Henning um ihn wirbt, das wär’ die beste Art, ihn zu gewinnen?“

„Ich hab’ ja zuvor auch im guten mit ihm geredet.“

„Zuvor?“ Reckas Augen blickten starr auf den Vater; dieses eine Wort hatte ihr viel gesagt.

„Ja, ja, ja!“ schrie Herr Waze in entfesselter Ungeduld. „Aber dieser Stock hat einen Sinn wie Eisen. Ich hab’ ihn nicht halten können, und ich bin doch ein Mann mit Fäust’! Aber ich muß ihn haben, ich muß! Und schau’, Dirn’, schau’, was ein Mann nicht fertig bringt, das wird oft einem Weib so leicht wie Spiel! Runde Arm’ und lange Haar’ machen feste Schlingen und Netz’.“

Recka war aufgesprungen, daß ihr Sessel zu Boden fiel. Mit flammenden Augen maß sie den Vater, und wortlos schritt sie der Thüre zu. „Was rennst Du denn davon auf einmal?“ rief der Alte in Verblüffung und Zorn; und als sie keine Antwort gab, sprang er auf und vertrat ihr den Weg. „Bleib’, Dirn’!“

„Gieb mir die Thüre frei! Wir haben ausgeredet. Du bist zu Scherzen aufgelegt, wie sie Deinen Buben gefallen mögen, aber mir nicht!“

„Scherz! Scherz! Meinethalben mag aus der Sach’ auch Ernst werden! Ich muß den Fischer haben, so oder so! Faß’ ihn mir, Füchsl, faß’ ihn! Ich mein’, es kostet Dich nur einen Blick und ein Wörtl …“ Von Reckas Lippen klang ein zorniges Lachen. „Und Du selber machst ja auch keinen schlechten Tausch. Vergleich’ ihn nur mit dem Pfleger von Hall, der sonst der einzig’ ist, den ich weiß für Dich. Steht der Fischer nicht da wie ein Baum in seiner jungen Kraft? Ein freier Mann, ein Herr auf seinem Eigen! Hat Haus und Hof, Sennen und Vieh … und sein Fischrecht wiegt wie ein rechtes Herrengut. Was meinst?“

„Ich meine,“ erwiderte Recka mit halb erstickter Stimme, „ich meine, wenn Dir ein andermal wieder die Laune kommt, mit mir zu reden, so thu’ es vor dem Mahl, nicht hinter dem Becher. Ich höre den Met aus Dir.“

„Dirn’!“ schrie Herr Waze gereizt und hob den Arm. „Daß ich Dir für solche Red’ die Faust ins Gesicht schlag’ … wer hindert mich?“

Das Mädchen richtete sich auf. „Mein Arm! Und eine die zwischen Dir und mir steht – meine Mutter Friderun!“ Am Vater vorüber schritt Recka in ihre Kammer und schlug hinter sich die Thüre zu. Mit erblaßten Lippen und funkelndem Blick, das Gesicht von Wut verzerrt, starrte Herr Waze seiner Tochter nach. „Deine Hand noch hätt’ ihn halten können, für Dich und für mich … jetzt muß er fallen!“

In der Kammer, welche Recka betreten hatte, brannte eine Leuchte neben dem Zinnspiegel; als sie an ihm vorüberschritt, zeigte ihr das blanke Metall in grellem Licht das von Zorn und Scham gerötete Antlitz. Und als könnte sie den eigenen Anblick nicht mehr ertragen, so stieß sie mit der Faust die Leuchte um; langsam erlosch das qualmende Flämmlein auf der Diele, während Recka sich im Erker niederwarf, durch dessen Fenster das Mondlicht mit bleichen Strahlen in die Kammer fiel. Schwer atmend, das Gesicht in den Armen vergraben, saß sie über den Tisch gebeugt. Das Mondlicht umwebte ihr Haupt mit Schimmer und machte das Geschmeide funkeln, welches noch immer neben dem offenen Kästlein verstreut umherlag. Zwischen dem glitzernden Gold und den farbig glimmenden Edelsteinen leuchtete mit fahlem Weiß der zersprungene Beinreif, wie ein aus dem Grab geworfener Totenknochen, wie der letzte Ueberrest eines vermoderten Lebens, eines versunkenen Glücks.

Draußen in der Mondnacht schrie ein Uhu, der mit lautlosem Flügelschlag von den Seewänden hinausstrich in das waldige Thal, um seinen Raub zu suchen. Ueber dem Fischerhause klang sein häßlicher Schrei und tönte an Sigenots Ohr, der unter seinem krankenden Jahrbaum saß, das Haus bewachend und der Heimkehr seines Knechtes harrend. „Es ruft der Totenvogel!“ flüsterte er, spähte durch das Gezweig empor in den bleichen Himmel und sah einen Schatten huschen.

Weiter und weiter ging des Nachtvogels Flug, über den Untersteiner Forst und gegen die Schönau hin. Da hörte ihn der Richtmann, der in schlummerloser Sorge lag und seines Buben dachte. Beklommen lauschte er. „Gilt’s mir oder gilt’s meinem Liebli?“ Immer weiter strich der Schreier in der Nacht, über Felder und Halden hinweg, vorbei an Gehöften und nah’ vorüber bei einer Brandstätte und einem zerfallenen Haus. Der alte Gobl erwachte unter dem Apfelbaum; er hörte den Ruf und lächelte: „Schrei nur! Schrei nur! Wie öfter, so lieber hör’ ich Dich! Vergelt’s der Botschaft, die Du mir anschreist!“ Ueber die Ramsauer Ache ging der Flug des Vogels, über die Gehänge der Strub hinauf zum Lokiwald und dem Untersberg entgegen.

Hell lag der Mond über der weiten Lichtung, auf den Zelten der Klosterleute und über dem wachsenden Bau. Wicho, mit dem geleerten Lägel auf dem Rücken, stand vor dem Zelt der dienenden Brüder; die Neugier hatte ihn näher gezogen. Doch als er den Schrei des Nachtvogels hörte, schüttelte ihn ein Grauen, und hastigen Laufes suchte er den Heimweg.

Drinnen im Zelt, durch dessen Ritzen nur ein matter Dämmerschein der Mondnacht quoll, richtete sich Bruder Wampo von seinem harten Mooslager auf. „Schweiker! Schweiker!“ Der Schlummernde hörte nicht; er schlief, von der Arbeit müde, den Schlaf des Gerechten. „Schweiker! Schweiker!“ Da rührte sich der Bruder und die Stangen seines Lagers ächzten. „Was ist denn schon wieder?“ fragte er mit verschlafener Stimme.

„Es hat sich ’was gerührt, draußen, ich hab’ schon gemeint, es kommt herein!“

Schweiker erhob sich und trat ins Freie; tiefe Stille herrschte ringsumher, und öde lag die mondhelle Lichtung. „Hast wohl wieder geträumt!“ sagte Schweiker, in das Zelt zurückkehrend. „Laß mich doch einmal in Fried’ mit Deiner unsinnigen Angst! Dein Fürchten wird schon bald eine Sünd’. Wir stehen doch in Gottesschntz!“

„Angst? Was Angst? Ich hab’ mich ja gar nicht geforchten!“ schmollte Wampo. „Gehört hab’ ich halt ’was! Und das hätt’ doch ’was Gutes auch sein können! Dein Bartele ist ja selbigsmal mit dem Himmelsbrot auch in der Nacht gekommen!“

Schweiker brummte ein unverständliches Wort und warf sich auf sein Lager. Seufzend ließ sich Bruder Wampo zurücksinken,

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