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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Buben – ‚haben Sie eine Ahnung, was man so sagt – ich meine, was ich in diesem besonderen Falle sagen werde?‘

‚Nein,‘ erwiderte sie, ebenfalls halblaut und bedrückt.

Ich seufzte. ‚Ich auch nicht!‘ sagte ich.

‚Ach lassen wir’s am Ende ganz!‘ fängt sie an. Da, wie wir eben um die Ecke biegen, kommt uns Franz entgegen. Er sieht uns so im halben Dämmerlicht im Schlitten nebeneinander sitzen, stutzt, greift an die Mütze mit einem finsteren Gesicht und geht weitere ohne, wie es bei der sehr langsamen Gangart unseres Gefährtes ganz gut möglich und angebracht gewesen wäre – ohne stehen zu bleiben und uns ‚Guten Abend!‘ zu sagen.

Ich griff in die Zügel, und wir waren vorbei.

‚Also lassen wir’s mit unserem Plane?‘ fragte ich Lisa im Weiterfahren, offen gesagt, ganz erleichtert, erschrak aber, als ich ihr finsteres Gesichtchen sah.

‚Nein!‘ sagte sie und stampfte mit dem kleinen Fuße zornig und fest auf, ‚nein, es bleibt dabei, und wenn ich Sie heiraten soll – mir ist jetzt schon alles ganz egal!‘

Wieder recht schmeichelhaft!

Aber sie war jetzt in der richtigen Stimmung – erregt, gekränkt, wütend über den Philister von Franz, ganz geneigt, ihm zu zeigen, daß ein anderer davontrage, was er verschmähe, und als wir die Klingel zogen, wendete sie ihr von Winterluft und Aufregung glühendes Gesicht entschlossen nach mir herum: ‚Sagen Sie gar nichts, Onkel Karl, gar nichts! Ich werde alles sagen, ich ganz allein!‘ Und sie stürzt vor mir her in die Stube und der Mutter um den Hals. ‚Liebe Mama, ich habe es nicht gewußt – ich habe doch eine andere Neigung – ich habe mich mit Onkel Karl verlobt – und nun schreibt es Herrn Schröder!‘

Tableau!

Mutter und Vater standen da, als wenn der Blitz vor ihnen eingeschlagen hätte – das war das Letzte, was sie sich von der Schlittenfahrt versprochen hatten! Aber was war zu machen? Die Tochter hatte den verlangten Gegenstand der ‚andern Neigung‘ pünktlich zur Stelle geliefert – was derselbige Gegenstand in dem Augenblick für ein schafsdämliches Gesicht gemacht haben mag, das kann ich nicht sagen, sintemal ich keinen Spiegel mir gegenüber hatte.

Ich bekam nicht, wie ich im stillen noch immer hoffte, einen Korb, im Gegenteil – die Mama Präsidentin streckte mir mit Rührungsthränen die Hand hin. ‚Sie sind ja ein lieber braver Mensch, Onkel Karl – wenn Lisel denn will – machen Sie das Kind nur recht glücklich!‘

Alle Wetter – so hatte ich mir die Sache nicht gedacht! Ich fühlte, wie mir ein Würgen, halb Angst, halb Gemütsbewegung, im Halse saß – ich küßte der Schwiegermama, zu der ich auf so überraschende Weise gelangt war, stumm die Hand, der Papa kam auch dazu – beide machten gute Miene zum bösen Spiel!

‚Aber daß Ihr nie ’was habt merken lassen,‘ meinte der Präsident kopfschüttelnd.

‚Ja eben!‘ sagte ich.

Lisa sagte gar nichts... Sie stand am Fenster und sah trotzig in den Abend hinaus, auf die aufflammenden Laternen.

‚Hört, Kinder,‘ begann der Papa nach einer Weile, ‚Ihr seid ein sonderbares Brautpaar, nehmt mir’s nicht übel! Eins steht hier, das andere dort – so gebt Euch wenigstens einen Kuß, damit man die Sache glauben lernt!‘

Ich, eingedenk unserer Abmachung, begab mich denn etwas zögernd ans Fenster zu meiner Auserwählten – aber da war diese auch schon an der andern Seite des Zimmers. ‚Nein, nein, das haben Sie mir versprochen, Onkel Karl!‘ rief sie überlaut, und die Eltern sahen wie die Mutter vom Zappelphilipp ‚stumm auf dem ganzen Tisch herum‘ – das war ihnen doch sehr sonderbar, was jeder begreifen wird!

Der Abend verging äußerst peinlich. Die Eltern bemühten sich vergeblich, dieses absonderliche neugebackene Brautpaar zur Fröhlichkeit zu bringen – ich wenigstens kam nicht damit zustande.

Offen gesagt: so niedlich und allerliebst meine kleine Freundin war – die Sache schien mir doch bedenklicher, als ich mir vorgestellt hatte. Erstens war ich überhaupt der geborene und geschworene Junggesell, und die gerührte Schwiegermutter, die das Rauchen nicht vertrug, stand mir schon in den zwei ersten Stunden als bedenklicher Umstand vor der Seele. Und dann – auf Lisas Gesicht stand denn doch zu deutlich zu lesen ‚Aus Aerger‘, und das hat für einen Bräutigam, selbst wenn er bloß ein Scheinbräutigam ist, seine zwei, wo nicht gar drei Seiten.

Als ich mich nun spät abends von den Schwiegereltern verabschiedete – man hatte in Anbetracht unserer stillen und ernsten Stimmung von jeder festlichen Begehung des Ereignisses abgesehen, sogar von der Bowle, die mir nicht unerwünscht gewesen wäre als einzige greifbare Annehmlichkeit meiner neugeknüpften Bande – nachdem ich also meinen Kratzfuß gemacht hatte, begleitete mich mein finsterblickendes Bräutchen auf einen Wink der Mutter noch in den Flur hinaus. Da standen wir und sahen uns eine ganze Weile stumm an.

‚Na, Lisa,‘ fing ich endlich an, ‚soll ich morgen die Ringe bestellen?‘

‚Meinen Sie ’s denn im Ernst?‘ fragte sie rasch und ängstlich.

‚Ja – ich sehe nicht recht, wie wir herauskommen werden,‘ sagte ich verlegen und niedergeschlagen.

Sie stand und biß sich mit ihren kleinen weißen Zähnchen auf die Unterlippe – sehr niedlich, das war nicht zu leugnen aber – aber! Dann warf sie den Kopf zurück. ‚Nun, wenn es nicht anders geht, zanke ich mich morgen fürchterlich mit Ihnen,‘ sagte sie entschlossen. ‚Aber eines müssen Sie mir noch versprechen, nur eines ...‘

Ich stellte mich in Positur – ich dachte, nun käme doch mindestens als Belohnung für meine Dienste ein verheißungsvolles ‚daß wir trotz alledem gute Freunde bleiben‘, oder ‚daß Sie mich trotzdem lieb behalten‘, und ich war schon ganz gerührt. Ja, prosit Mahlzeit ... ‚daß Sie es Ihrem Freunde Franz erzählen, bald – heute noch, jetzt gleich! Das will ich wenigstens davon haben. Schwören Sie, daß Sie’s ihm sagen – heute abend noch!‘

Ich schwur – und ging.

Das war der Schluß meines Verlobungstages, und als ich auf der Straße stand, sagte ich zu mir: ‚Du hast heute eine recht dankbare Rolle gehabt, alter Freund! Ein andermal wirst Du wohl nicht so rasch bereit sein, den Sebaldus Notanker zu spielen!‘

Ein andermal! Ja, vorläufig saß ich mit dem einen Male hübsch drin! Und alle Bedenken, die ich vorher hätte haben müssen und haben sollen und nicht gehabt hatte, kamen jetzt – es war in jedem Falle eine tolle Geschichte! Mußte ich heiraten – ein so junges unfertiges. wenn auch noch so niedliches Kind, halb so alt wie ich selber – so war meine Ruhe, meine Bequemlichkeit, mein Hund, meine gemütlichen vier Pfähle, meine Pfeife ... alles übern Haufen geworfen! Und ging die Sache nach drei Tagen wieder auseinander – wie peinlich für beide Teile ... für uns beide, die wir in der kleinen Stadt, in der untereinander so genau bekannten Gesellschaft nicht zwei Schritte thun konnten, ohne uns in den Weg zu laufen; und vorteilhaft ist es doch für ein junges Mädchen nie, wenn sie einmal drei Tage lang verlobt gewesen ist, besonders, da man doch nicht öffentlich anschlagen lassen kann, daß die ganze Sache keinem der Beteiligten Ernst war.

In diesen Gedanken, Selbstbeschuldigungen und Ueberlegungen fiel mir Franz und mein Schwur ein. Das mußte zu allererst besorgt werden.

Ich ging denn in das ‚Bräu‘, in dem wir uns gewöhnlich alle trafen – er war nicht da. Also zu ihm nach Hause!

Es war zwar schon elf Uhr vorbei, indessen Schwur bleibt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 198. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_198.jpg&oldid=- (Version vom 3.12.2023)