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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Dauerte gar nicht lange, so traf meine Gesellschaft ein. Die beiden Jungen saßen hinten auf, und mein Fräulein Lisa kam zu mir auf den Vordersitz – ich kutschierte selber.

‚Donnerwetter!‘ dacht’ ich, als sie in ihrem Husarenjäckchen und ihrer jungenhaften Pelzmütze so neben mir saß und die Winterluft das allerliebste Gesichtchen unter dem Schleier anmalte wie ein Aepfelchen, ‚Donnerwetter – es ist doch ein niedliches Ding! Ich sollte ’mal an Franzens Stelle sein – ich wüßte wohl, was ich thäte!‘ So dachte ich, und sie mochte auch wohl allerlei denken, denn sie sprach gar nicht. Wir sausten schon aus der Stadt hinaus, über flaches freies schneeflimmerndes Feld, da fiel mir erst ihre ungewohnte Schweigsamkeit auf.

‚Nun, Lisa,‘ sagte ich – wieder ein Vorrecht meiner Onkelschaft! – ‚Sie sind ja heute sehr nächdenklich!‘

‚Hab’ auch alle Ursache!‘ erwiderte sie kurz – und was sah ich? Eine Thräne rollte ihr die Wangen herunter!

‚Potz Blitz!‘ rufe ich, ‚was ist denn das? Wer hat Ihnen etwas zuleide gethan?‘

Sie sah sich ängstlich nach den beiden Buben um, die hinter uns saßen. ‚Pst!‘ machte sie und legte den Finger auf den Mund.

Mir kam ein Gedanke. ‚Jungen!‘ rief ich die beiden an, ‚der Schnee backt heute famos – wie wär’s, Ihr machtet Euch hier einen Schneemann, und wir fahren immer rund’ um das Feld und holen Euch in einer halben Stunde wieder ab!‘

Die beiden Buben, denen es nicht ums Stillsitzen zu thun sein mochte und die es wohl schon innerlich danach verlangt hatte, sich in den Schneehaufen da drüben tüchtig abzubalgen, waren es wohl zufrieden. Sie stiegen ab, und ich ließ meine Pferde Schritt gehen.

‚So,‘ sagte ich, ‚nun losgeschossen, Liselchen! Wozu hat man Kummer und wozu hat man einen alten Onkel, wenn man den einen nicht auf den andern abladen will!‘

Sie lächelte mich dankbar an. aber gar nicht so fidel wie sonst. ‚Sie sind so gut, Onkel Karl,‘ sagte sie.

‚So, und wer ist denn nicht so gut?‘ fragte ich weiter.

‚Ach!‘ seufzte sie, ‚die Eltern! Sie wollen durchaus, ich soll den Schröder‘ – so hieß der dicke Gutsbesitzer – ‚heiraten, und ich mag ihn nicht!‘

‚Dann thun Sie’s lieber nicht!‘ riet ich, ganz verständig, wie mir schien.

‚Ja, das ist schlimm!‘ fuhr sie fort. ‚Er hat gestern abend geschrieben und sich Bescheid erbeten, und der Papa sagt, wenn ich keine andere Neigung hätte, dann gebe es gar keinen triftigen Grund, ihn abzuweisen – das sei das Einzige, was er gelten lasse!‘

‚Und Sie haben keine andere Neigung?‘ fragte ich und bückte mich, um ihr ins Gesicht zu sehen.

Sie wurde feuerrot. ‚Nein!‘ sagte sie hart, ‚nein – ich habe keine!‘

‚Armer Franz!‘ dachte ich bei mir.

‚Denn ich werde doch keinen gern haben,‘ fuhr sie fort, ‚von dem ich nicht genau weiß, ob er mich gern hat – – ja, der es am Ende selber nicht weiß!‘ ‚‘ Das ‚armer Franz!‘ kam mir nach der letzten Bemerkung etwas voreilig vor – aber das war eine dumme Geschichte – er wußte es ja wirklich nicht! Und ihm so die Pistole auf die Brust setzen, das ging doch auch nicht an. Dazu war mir das liebe Mädchen doch zu schade, denn zuzutrauen war’s dem unentschlossenen Peter, daß er auch dann noch mit allerlei eingebildeten Bedenken und Bedenklichkeiten kommen werde – und dann?

‚Sie kamen mir heute wie vom Himmel gesandt, Onkel Karl!‘ sagte meine kleine Freundin und trocknete sich die Augen, ‚denn gegen Abend will Papa schreiben, und ich hatte zu Hause keine Viertelstunde Ruhe, – immerfort redeten sie auf mich ein.‘

‚Da wundert es mich, daß Sie überhaupt mitfahren durften!‘

‚Ja – ich sagte, ich führe so schrecklich gern Schlitten, und wenn sie mich nicht mit ließen; dann sagte ich ganz gewiß Nein!‘ antwortete sie mit einem so niedlichen Eigensinn in Miene und Ton, daß ich wirklich beinahe dachte: ‚Wenn Franz nicht wäre –‘

‚Und wie soll es nun werden?‘ fuhr sie nach einem kurzen Stillschweigen fort; ‚komm’ ich jetzt nach Hause, so muß ich mich entscheiden, und ich kann nicht sagen, daß ich eine andere Neigung habe – ich kann nicht!‘ Sie brach in lautes Schluchzen aus. ‚Ich habe auch keine!‘ stieß sie trotzig zwischen den Zähnen hervor, ‚ich kann niemand leiden – niemand!‘

Ich zog ihr sanft die Hände vom Gesicht. ‚Auch mich nicht?‘

Sie lachte mich durch ihre Thränen an. ‚Ach – Sie!‘ ‚Sie sind mein alter guter Onkel Karl, Sie meine ich gar nicht mit, wenn ich an – so etwas denke!‘

Recht schmeichelhaft, was?

Na, mir kam aber ein Gedanke, und ich war großmütig genug, ihn auszuführen. ‚Hören Sie mich einmal an, Liselchen,‘ sagte ich, als sie sich etwas beruhigt hatte, ‚ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen. Zeit gewonnen, alles gewonnen – mir scheint, es kommt im Augenblick hauptsächlich darauf an, den Schröder wegzugraulen!‘ Sie nickte eifrig.

‚Deshalb schlag’ ich vor –‘ Hier schnappte ich ab. Donnerwetter, es sagte sich doch nicht so leicht, wie ich gedacht hatte!

‚Nun?‘ meinte sie und sah mich erwartungsvoll an.

‚Daß – aber Sie dürfen nicht Zeter schreien – können Sie sich’s gar nicht denken?‘

‚Nein!‘ sagte sie mit dem ehrlichsten Erstaunen von der Welt.

‚Na – daß Sie sich mit mir verloben!‘ stieß ich hervor, und dann sah ich rasch zu der anderen Seite des Schlittens hinaus – ich mochte nicht sehem was sie für ein Gesicht machte.

‚Unsinn!‘ rief sie rasch.

‚Natürlich Unsinn!‘ erwiderte ich, ‚aber der Zweck heiligt die Mittel! Wir verloben uns heute abend, diese Nachricht wirkt auf den braven Schröder wie Petersilie auf die Katzen – er schwebt ab, und morgen früh haben Sie sich’s anders überlegt, haben Ihr Herz nicht gekannt, oder – das ist das Wahrscheinlichste – Ihre Eltern finden, daß ich eine zu schlechte Partie für Sie sei … ich habe meine Schuldigkeit gethan und kann gehen! Nun, wie ist’s? Wollen Sie, Lisa? Es wird Zeit, daß wir uns entscheiden – die Jungen sind schon mit ihrem Schneemann fertig!‘

Sie atmete ein paarmal tief auf und sah mich dann plötzlich ganz treuherzig an. ‚Ja, ich will!‘ sagte sie. ‚Aber, Onkel Karl, Sie dürfen mir dann nicht böse sein, daß ich Sie nicht mag!‘

‚I bewahre!‘ sagte ich, ‚das ist ja alles Verabredung – keine Spur von böse!‘

‚Und –‘ Sie stockte.

‚Na?‘ ermunterte ich.

‚Sie dürfen mir natürlich keinen Kuß geben!‘ brachte sie mühsam hervor.

‚Darüber können wir ja noch reden,‘ sagte ich, denn das sah ich eigentlich gar nicht ein. Aber schließlich – na, ich gestand auch das zu. Wir fuhren als neuverlobtes Brautpaar übers Feld, bewunderten den Schneemann, luden uns die Buben wieder in den Schlitten und sausten, beiderseits etwas still und bedrückt, der Stadt entgegen.

Je näher wir der Straße kamen, wo ich meine Ladung abliefern sollte, um so langsamer fuhr ich – es war doch eine verdammte Lage! Bei Vater und Mutter um die Hand der Tochter anhalten, ist schon unter gewöhnlichen Verhältnissen eine Verlegenheit, wie ich mir habe sagen lassen, und nun erst mit dem Bewußtsein dieser Komödie auf der Seele!

‚Liselchen,‘ begann ich nach einer Weile – halblaut, wegen der

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