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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


Streitigkeiten, die andere zu schlichten versuchen.

Das Eierklauben.

Da es keineswegs nur auf den Bau der Eier, sondern ebensogut auch auf die Stärke und Richtung des Schlagens ankommt, so werden bald einzelne, die es zu einer besonderen Geschicklichkeit gebracht haben, zu kleinen Eierkönigen. Man fragt sie um Rat, man leiht Eier bei ihnen, macht ihnen Vorwürfe, wenn diese eingeschlagen werden, und weigert sich, schlechte Ware zurückzuzahlen. Und es soll nicht selten vorkommen, daß man zuletzt auf den Rücken statt auf ein Ei schlägt.

*  *  *

„Ein jeglich Land hat seine Sitt’,
Die seinem Landvolk folget mit,“

sagte schon vor 600 Jahren Hugo von Trimberg, und als gelehrter Schulmeister von Bamberg mußte er es wissen. So weitverbreitet nun der Brauch ist, daß am Osterfest Eier in den Vordergrund treten, so verschieden sind die Spiele, die man mit ihnen anstellt. Neben dem Eierschlagen, das sich wohl der weitesten Beliebtheit erfreut, steht im Osten des deutschen Kulturgebiets das Eierrollen, oder, wie es in der Lausitz heißt, das „Waleien“.

In der Niederlausitz bildet es eine Volksbelustigung in größerem Maßstab. Es ist allerdings schon sehr im Schwinden, und nur hier und da wird es noch gespielt. Ein sanft abfallender Platz ist die unerläßliche Vorbedingung für das Spiel, das im Freien vor sich geht. Bereits am Ostersonnabend wird hier mittels Schnur und Hacke ein gleichschenkliges Dreieck abgemessen und eingezeichnet. Seine Spitze liegt auf der Höhe, seine Grundlinie an der tieferen Seite. Der Boden, den die Seiten des Dreiecks einschließen, wird sorgsam geglättet, und man wacht eifersüchtig darüber, daß keinerlei Verschiebung vorkommt. Am ersten Ostertag wird alles sorgfältig noch einmal nachgeprüft, Mütter und Schwestern haben zugleich daheim eifrig zu thun, denn es gilt, für jeden Burschen eine genügende Menge haltbarer und deutlich gezeichneter Eier hartzusieden. Auch Bräute verwenden große Sorgfalt darauf, denn ihre Gaben sind glückbringend. Ganz regelmäßig gebaute, rundliche oder längliche oder sich stark verjüngende Eier werden ausgesucht, damit der Spieler für jeden vorkommenden Fall ein besonders geeignetes Stück zur Hand habe. Mittags beginnt das Spiel.

Der angesehenste Bursche, dem die Herstellung des Dreiecks anvertraut war, setzt seinen Fuß an dessen Spitze, und oberhalb desselben setzt jeder von denen, die sich beteiligen wollen, ein gezeichnetes Ei hin. Es gilt zunächst, die Reihenfolge zu bestimmen, in der gespielt wird. Derjenige beginnt, dessen Ei nach dem Abrollen auf der Grundlinie am weitesten nach links liegt. Die Burschen kennen die Kunstgriffe und wählen sämtlich sich stark verjüngende Eier, deren Spitzen nach links weisen. Und doch läuft manches der äußersten rechten Ecke zu. Der erste Aerger!

Erst jetzt, nachdem sich die Zieleier selbst verteilt haben, beginnt das eigentliche „Waleien“ in der „Welt“ oder „Walei“, wie das Dreieck benannt wird. Der Besitzer des unten am weitesten links liegenden Eies beginnt ein weiteres hinunterlaufen zu lassen. Trifft er eines der Zieleier, so gehört das getroffene ihm und er darf weiter rollen, fehlt er, so ist auch hier das gerollte Ei verloren. Während sich auf beiden Seiten die Zuschauer dicht herandrängen und es an Scherz und Spott nicht fehlen lassen, verfolgt der, welcher eben an der Reihe ist, sein Ei bis zu seiner Ankunft unten mit Körperbewegungen, gleich als ob er dadurch auf den Verlauf seiner Bahn Einfluß ausüben könnte. Geschicklichkeit, Stärke des Stoßes und kluge Wahl vermögen viel zum sicheren Treffen beizutragen, aber doch nicht alles; denn die kleinsten Unebenheiten vermögen ein wohlgezieltes Ei aus seiner Bahn zu bringen, und nicht einmal der Liebeszauber erweist sich in allen Fällen als wirksam.

Auf das Spiel folgt ein gemeinsamer Trunk im Wirtshaus, da sonnen sich dann die Sieger in ihrem Ruhme und die Besiegten haben Gelegenheit, ihren Aerger hinunterzuspülen.

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Wo noch im Volke der Trieb zu Wettbewerb in körperlicher Leistungsfähigkeit vorhanden ist, da giebt es auch in der Osterzeit ein Spiel, bei dem sich Kraft, Ausdauer und Schnelligkeit zeigen können. Es ist das „Eierlaufen“ oder „Eierlesen“. In Süd- und Westdeutschland ist es heimisch und auch in Tirol wird es vielfach geübt.

In Zams am Inn nennt man es „Eierklauben“, und hier steht es in so engem Zusammenhang mit der Osterfeier des gesamten Landvolkes der Umgegend, daß es sich wohl lohnt, einmal einen Blick darauf zu werfen.

Im Sonntagsstaat, jeder mit einem großen Korbe bewaffnet, gehen die zwei schnellfüßigsten Burschen der Gemeinde vom Gründonnerstag an von Gehöft zu Gehöft und bitten alle Bäuerinnen um Eier, denn zur Ausführung des Spieles sind nach alter Ueberlieferung nicht weniger als einhundertfünfundsiebzig Stück nötig, und es gelingt ihnen immer, dieselben zusammenzubringen.

Am Nachmittag des ersten Ostertages zieht das Volk scharenweise hinaus nach dem Pfade, der den Schauplatz des Wettlaufes bildet.

Im Angesicht der Menge, die sich selbst belustigt, werden die 175 Eier vom Korbe aus in Abständen von fünf Fuß längs des Pfades niedergelegt, und zwar so, daß auf zehn allemal ein gefärbtes kommt. Dann treten die beiden auserkorenen Wettläufer an dem Korbende an und laufen, während alles mit gespannter Aufmerksamkeit zuschaut, einigemal längs der Eierkette hin. Plötzlich stürzt sich der eine in die Volksmenge, die bei seinem Einbrechen Platz macht, und ist nach einer halben Minute verschwunden. Indessen giebt es für den anderen reichliche Arbeit. Er muß sämtliche Eier einzeln auflesen und in den auf seinem Platze verbleibenden Korb tragen und bei jedem einzelnen den Weg um sämtliche Eier beschreiben. Die Strecke wird aber nicht etwa bei Wegnahme jedes Eies kleiner, da der Läufer bei dem ersten, dem Korbe zunächst liegenden Ei beginnen und so fort immer das jeweils dem Korbe nächstliegende Ei aufnehmen muß.

Unterdessen muß der andere über die Zamser Brücke nach Lötz, Perjen, über die Pürschler Brücke nach Landeck und von da wieder zurück nach Zams zum Eierkorbe laufen, ein Weg, der eine gute Stunde beträgt.

Wer zuerst seine Aufgabe vollendet, ist Sieger.

An das „Eierklauben“ schließt sich dann noch eine kleine Stegreifaufführung, bei welcher alle Ereignisse in der Gemeinde, alle schlechten Witze, Thorheiten und heimlichen Liebschaften zur Sprache kommen, und das Ganze endet mit einem höchst feierlichen Festessen, welches in der Dorfschenke aus den Eiern des Spieles und aus anderweit gelieferten Eßwaren, als da sind Speck, Wurst, Kuchen, hergerichtet wird und bei welchem der Sieger die Hauptrolle spielt.


Die Perle.

Roman von Marie Bernhard.

 (11. Fortsetzung.)

Ilses Fuß blieb am Boden haften, und sie sah Herrn von Montrose an wie eine geisterhafte Erscheinung. Und doch lag nichts Furchterregendes in dessen Aussehen, durchaus nichts. Sein feines schmales Gesicht war blaß, sein melancholischer Blick hatte nichts Aufgeregtes, sondern traf das junge Mädchen mit einer Art stiller Bewunderung, wie wenn er sagen wollte: ich muß Dich schön finden, obschon ich weiß, daß Du nicht für mich bist! „Guten Abend, Baroneß!“ sagte seine angenehme, ein wenig bedeckte Stimme. „Ein seltsames Zusammentreffen!“

Ilse neigte nur wie zur Bestätigung seiner Worte den Kopf.

„Ich war auf ‚Perle‘,“. setzte er seine Erklärung fort, „habe im Schloß nachgesehen und bin dann lange mit Ihrem Herrn Vater umhergefahren. Er hat mir vieles gezeigt, vieles erklärt – es ist eigentlich beschämend für mich, so alt geworden zu sein, ohne auch nur die oberflächlichsten Kenntnisse über den Landbau erworben zu haben. Aber der Baron ist ein guter Lehrmeister, hier zumal, wo er jeden Fußbreit Erde kennt. Er wünschte, noch in Belten zu bleiben, und ich fuhr allein hierher, ich wollte so gern ein paar Atemzüge Meeresluft mitnehmen in die dumpfe Stadt!“

„Kommt mein Vater auch hierher?“ fragte Ilse unsicher.

„Nein! Er hatte noch zu thun und wollte sich dann ein Pferd geben lassen und geradeswegs von Belten heimreiten.“

Sie antwortete nichts darauf, ihr Blick irrte von ihm fort und wandte sich der Sonne zu, die rasch sank. Bis zur Hälfte schon war die strahlende Kugel ins Meer untergetaucht, sie zeigte ein unheimliches düsteres Rot, das in den Wellen verzitterte und dem tiefhängenden Gewölk einen fahlen Feuerschein gab.

„Sie waren in der Stadt, Baroneß?“ begann Montrose von neuem.

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