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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

„Ich bin halt, wie Du mich gezogen hast!“

„So redest Du mit mir?“ Herr Waze trat mit geballter Faust vor seinen Buben hin, welcher lächelnd stand und keinen Schritt zurückwich. „Ich sag’ Dir’s noch einmal: mir graust vor Dir. Am Morgen den Bruder und am Abend die Schwester ... Das ist ein lützel viel für einen Tag!“

„Ich will halt nicht zu kurz kommen!“ erwiderte Henning mit rohem Lachen. „Gelt, das hat Dir getaugt, daß ich Dir den andern vom Hals geschafft hab’. Der Bruder ist für Dich gewesen ... jetzt laß mir die Schwester!“

„Außerhalb der Mauer thu’, was Du willst!“ murrte Herr Waze. „Aber das Haus sollst Du mir rein halten! Was eingeht unter Dach, ist heilig.“

„Hast recht! Die Fischerdirn’ soll mir so heilig sein, wie Dir in Deiner jungen Zeit die Salmued gewesen ist. Ich mein’ doch, die wär’ bei Dir auch eingegangen unter Dach ... wie das Täubl in den Marderkobel!“ Henning lachte. „Und ich bin doch ein Lediger noch. Du aber hast Weib und Kind gehabt! Gegen Dich bin ja ich ein Heiliger!“

Herr Waze war bleich geworden bis an die Lippen. „Du, Du,“ keuchte er und faßte den Sohn mit beiden Fäusten an der Brust. „Wer hat Dir das gesagt? Wer? Wer?“

„Wahrscheinlich eine, die’s weiß!“ brummte Henning, schüttelte den Vater von sich ab und trat in die Falkenkammer.

Wie ein angeschossener Eber stürmte Herr Waze über die Freitreppe hinauf und in die Stube. Eine der Thüren riß er auf und brüllte: „Ulla! Ulla!“ Die greise Magd erschien, blaß und zitternd; sie wagte kaum, näherzutreten. „Her zu mir. Du Sudelhex’, Du alte!“ schrie Herr Waze und schlug mit der Faust auf den Tisch, daß der Hall an den Wänden dröhnte. „Gelt, Zähn’ hast Du keine mehr im Maul, aber beißen möchtest noch allweil? Beißen?“

Die Magd rührte die bleichen Lippen, aber sie brachte kein Wort hervor. Herr Waze schüttelte ihren Arm. „Red’, sag’ ich – wie kommt es, daß Henning von der Salmued weiß?“

Es währte lang. bis Ulla die Sprache fand. „Wann es war, weiß ich nimmer,“ stotterte sie, „da bin ich mit dem Zeugknecht hinter der Mauer gesessen, und wir haben so geredet von den alten Zeiten ... und ... und von Frau Friderun, wie schön und gut sie gewesen ist, und von der Schwermut, die sie getragen hat durch lange Jahr’ ...“

„Und von der Ursach’, gelt, von der Ursach’?“ schrie Herr Waze in schäumendem Zorn.

„Wie man halt redet, Herre!“ stöhnte die Magd. „Und da ist Euer Junker Henning dazugekommen – er muß ein paar Wörtlein aufgefangen haben, denn er hat mich gepackt und hat geschrieen: ‚Da hör’ ich eine feine Mär’, heraus damit, die muß ich wissen!‘“

„Und da hast Du ihm alles gesagt! Dem Buben! Von seinem Vater!“

„Er hat mich ja gezwungen, daß ich red’, hat mich geschlagen und am Haar gerissen.“

„Du Schandmaul, Du!“ schrie Herr Waze und schlug der greisen Magd die Faust ins Gesicht. „Ein andermal schweig’ Und hinaus mit Dir, hinaus!“ Ulla humpelte zur Thür; sie schien noch froh zu sein, daß sie so glimpflich davongekommen war.

Herr Waze ging eine Weile mit grimmigen Schritten in der Stube auf und nieder; dann warf er sich beim Fenster in einen Stuhl. „Alles, alles kommt über nach, das Alte und das Neue! Feind’ im Haus und Feind’ da draußen!“ Er stützte mit der Faust das Kinn und starrte finsteren Blickes in die Ferne.

Inzwischen saßen die beiden Mädchen in Reckas Kammer. Das war ein kleiner traulicher Raum, welcher durch die unverwahrten Fenster eines Erkers das goldene Licht der sinkenden Sonne empfing. Nur ein hoher Schrein, ein von zwei hölzernen Säulchen getragener Zinnspiegel und einzelne, hier und dort umherliegende Gewandstücke verrieten, daß dieser Raum die Wohnstätte eines Weibes war. Sonst aber sah es wohl aus wie in einer Junkerstube; Reckas Jagdgeräte, Bogen, Köcher, Wildfänger und kurze Speere, Falknertaschen, Federspiele und Falkenhauben. Zaumzeug und Vogelnetze lagen in allen Ecken und hingen an den Holzmauern, welche bis zur Decke von Geweihen starrten. Und dem Lager eines Mannes glich das niedere plumpgezimmerte Bett, über welches eine schwarze Bärenhaut gebreitet war; statt feiner Leinwand mit bunten Säumen und Stickereien diente zur Stütze des Hauptes eine mit Rehfell überzogene Rolle, zum Schutz wider die Kälte eine Lodenkotze und eine in grobes Hanftuch genähte Hirschdecke mit grauem Winterhaar. Im Erker, von welchem aus der Blick über das weite Waldthal hinausschweifte, saßen Recka und Edelrot an schmalem Tischlein einander gegenüber. Neugierig hatte Rötli das hölzerne, mit Eisen beschlagene Kästlein geöffnet, welches vor ihr auf dem Tische stand. Ein leiser Ruf des Staunens glitt von ihren Lippen, als sie es gefüllt sah mit Ringen, silbernen Kettlein und Spangen, mit funkelnden Gürtelschließen und goldschimmernden Mantelhaken. Es war Geschmeide von roher Arbeit und geringem Wert – aber die Sonne machte das matte Gold und Silber leuchten und weckte farbigen Glanz in den ungeschliffenen Steinen, so daß Rötli den Schatz einer Königin vor sich ausgebreitet wähnte. Freundlich lächelnd, wie eine Mutter auf ihr spielendes Kind, blickte Recka auf das Mädchen, das sich vor Schauen nicht zu fassen wußte und all ihr Staunen in sprudelndem Geplauder ergoß.

„Schau’ nur, schau’, wie das gleißt und glitzert! Alles Gold und Silber, und ein blitziger Farbstein um den andern! Du! Das muß ja soviel wert sein wie der ganze Gadem mit Wald und Häusern mit Vieh’ und Leut’! Nein, nein, was das für schöne Sachen sind! Warum tragst denn nie ’was von Deinem Geschmeid’? Warum thust Dich denn gar nie schmücken damit?“

„Schmücken? Für wen? Für die Sauen und Hirschen in meinem Wald?“ lachte Recka. „Wenn ich ihnen den Fänger zwischen die Rippen stoß’, meinst Du, das Verenden möcht’ ihnen besser schmecken, wenn sie einen Ring blitzen sehen an meiner Hand oder eine Kett’ schimmern an meinem Hals?“

„Aber geh!“ schmollte Rötli. „Es giebt doch auch noch Leut’, die Dich gern anschauen. Und wenn Du diemal was umlegen möchtest von Deinem Geschmuck, schau’, das müßt’ Dich ja noch schöner machen!“

„Noch schöner?“ klang die lachende Antwort. „Ich, und schön? Wer sagt Dir, daß ich schön bin?“

Mit großen Augen blickte Rötli auf. „Muß mir das einer erst noch sagen? Ich darf Dich doch nur anschauen!“ Sie legte die Hand auf Reckas sonnverbrannten Arm und hing an ihr mit glänzendem Blick. „So schön wie Du ist keine mehr! Du bist die Allerschönst’ im Gadem! Glaub’s nur ... mein Bruder Sigenot hat’s auch gesagt.“

Reckas Züge wurden finster, und mit rauher Stimme sagte sie: „Red’ mir von Deinem Bruder nicht!“

„Ja warum denn?“ stammelte Rötli. „Laß Dir doch sagen ... schau’, das ist so gar lang nicht her ... da bist Du vorbeigeritten bei unserem Hag, und ich und Sigenot, wir haben Dir nachgeschaut. ‚Gelt,‘ hab’ ich gesagt, ‚gelt, wie sie droben sitzt auf ihrem Roß, recht wie ein Herrenkind so stolz und schön!‘ Da hat er vor sich hingenickt und hat gesagt, mit einer so linden Stimm’, wie er nur zur Mutter redet: ‚Stolz wie eine Eich’ da droben auf der Wand, über die kein Fuß hinaufsteigt, und schön wie die rote Sonn’ in der Höh’, zu der keine Hand hinauflangt.‘ So hat er gesagt und ... aber was hast denn?“ Recka war aufgesprungen, mit zornigem Lachen. „Was hast denn?“ fragte Edelrot noch einmal und streckte die Hand aus, als möchte sie die Ungestüme besänftigen. „Ich hab’ ja doch kein Wörtl gesagt, das Dich erzürnen könnt’.“

„Schweig’! Ich will nicht hören von ihm!“ Und mit der Faust stieß Recka nach dem Kästlein, daß die Ringe, Spangen und Ketten durcheinander klirrten.

„Ja was hat Dir mein Bruder denn gethan?“ stotterte Rötli erschrocken. „Denk’ nur selber, Recka ... ich mein’ doch, es war keine ungute Hand, die er in der Sturmnacht auf dem Weitsee nach Dir gestreckt hat, zuerst nach Dir!“

„Mahne mich nicht an jene Nacht!“ stieß Recka mit bleichen Lippen hervor und verließ den Erker; doch schon nach wenigen Schritten kehrte sie zurück, blieb vor Edelrot stehen und sagte mit bebender Stimme: „Daß Du nicht meinen sollst, ich wär’ zu stolz gewesen, um Deinem Bruder den Dank zu bieten, den er um mich verdiente in jener Nacht, so sag’ ich Dir: diese Hand hab’ ich ihm geboten mit freundlichem Dankwort! Und er? Wie von einer Bauernmagd hat er sich gewendet von mir!“

„Das hätt’ mein Bruder gethan?“

„Ja, ja! Dein Bruder! So hat er an mir gethan! Der Knecht an seines Herrn Tochter!“

Edelrot erblaßte; doch ruhig klang ihre Stimme, als sie

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