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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

gegen 500 Millionen Mark jährlich an Wert betragende Goldförderung? Vermünzt ist davon das Wenigste, denn wenn auch die seit vierzig Jahren in den Kulturstaaten vollzogene Prägung von Goldmünzen sich sogar noch um 5000 Millionen Mark höher beläuft als die ganze Goldgewinnung in derselben Zeit, so bestehen doch diese Prägungen zum größten Teil in der bloßen Umformung abgegriffener in neue Goldstücke. Thatsächlich vermehrt hat sich der Goldmünzenbestand der Erde zwischen den Jahren 1831, wo er 2¼ Milliarden, und 1891, wo er schätzungsweise 15¼ Milliarden Mark betrug, nur um 13 Milliarden oder jährlich um 200 Millionen gegen eine mehr als doppelt so starke Goldvermehrung. Für Münzzwecke würden wir also noch lange Gold genug besitzen, selbst wenn alle Länder der Erde die reine Goldwährung einführten und wenn wir die mit dem Umlauf des Goldes verbundene Abnutzung in Betracht ziehen, welche sich jährlich auf rund 1100 Kilogramm Gold oder 3 Millionen Mark beläuft. Ueberdies steht es bei dem in allen Staaten immer weiter um sich greifenden Kreditwesen sehr in Frage, ob die jetzt vorhandene Gesamtsumme gemünzten Geldes – etwa 30 Milliarden an Gold und Silber – sich in Zukunft noch wesentlich vermehren wird.

Indessen hat das Gold für seine Verwendung noch einige andere Abflüsse, welche die Ausmünzung an Masse sogar übersteigen. In jedem Jahre verbrauchen nämlich allein die europäischen Staaten und Nordamerika nahezu für 400 Millionen Mark an Edelmetallen für industrielle Zwecke, für das Kunstgewerbe, für Metallgießerei, Gerätefabrikation, Photographie etc. und da man nach statistischen Ausweisen nur ein Fünftel dieses Verbrauches auf die Umschmelzung alten Metalles anrechnen darf, so ergiebt sich für die gewerblichen Zwecke der genannten Gebiete ein jährlicher Edelmetall-Bedarf von 320 Millionen Mark, worunter etwa 230 Millionen Gold, also annähernd die Hälfte der ganzen irdischen Goldausbeute!

Der Rest endlich geht verloren in dem beständigen Gold- und Silberabfluß zum Orient, der mit Silber schon seit Jahrhunderten, mit Gold seit etwa 60 Jahren beständig von England und den Vereinigten Staaten versorgt wird. Ostindien sowohl als China und Japan haben von jeher einen starken Bedarf an Silber und neuerdings, seit in Indien die Silberprägung eingeschränkt und zuletzt ganz abgebrochen wurde, auch an Gold gehabt. Indien allein hat seit 60 Jahren aus Amerika und Australien, und zwar meist durch die Vermittlung Englands, mehr als 2 Milliarden Mark in Gold bezogen, um es zu verprägen, gewerblich zu verwenden oder auch einfach aufzuspeichern, und addieren wir diese 30 bis 35 Millionen jährlich zum Bedarf der Kulturnationen, so wissen wir annähernd genau, wo all das viele Gold bleibt und weshalb auch die Jahre der gewaltigsten Ausbeute den Preis des roten Metalles nicht herabzudrücken vermochten, vielmehr dasselbe mehr und mehr zum alleinigen Wertmesser und metallischen Beherrscher der Völker machten.

Und nun endlich noch einige Worte über das Gold des Meeres, dessen Gewinnung ja freilich stets als aussichtslos gegolten hat, durch die chemischen Wirkungen der Elektrizität aber möglicherweise – neuere Erfindungen beschäftigen sich bereits mit dieser Frage – doch einmal dem Menschen zum Teil zugänglich gemacht werden könnte. Daß wir im Meerwasser nachweisbare Spuren von Silber sowohl als von Gold besitzen, ist längst bekannt. Neuere Analysen von C. A. Münster in Norwegen stellten den Edelgehalt eines Kubikmeters Seewasser auf ein Fünftel Gramm Silber und etwa ein Viertel davon an Gold fest0 Das sind nur Spuren, wenn man das Wasser literweise nimmt; es sind aber märchenhafte Reichtümer, wenn man es kubikkilometerweise in Rechnung bringt. Ein Kubikkilometer Seewasser würde danach einen Goldreichtum von 140 Millionen Mark enthalten; um aber den Goldgehalt aller Weltmeere auszudrücken, wäre eine Zahl mit drei Ziffern und fünfzehn Nullen nötig, denn derselbe geht hoch in die Billionen und übertrifft die ganze bisherige Goldlieferung der Erde mehr als zwölf Millionen mal. Hoffen wir also, daß wir auch von dem „Meergolde“ noch etwas zu sehen bekommen!



BLÄTTER UND BLÜTEN.

Palmsonntag in den Alpen. (Zu dem Bilde S. 173.) Die Zweige der Salweide, die so früh im Lenz ihre Kätzchen hervortreiben, verdanken dieser glücklichen Naturanlage ein schönes Amt. Sie ersetzen unserem kühleren Norden die Palmen, die nach kirchlichem Brauche bei der Feier des Palmsonntags ihre Rolle zu spielen haben, daher auch die Salweide den Namen „Palmweide“ bekommen hat. In der mannigfaltigsten Weise sind durch Sitte und Ueberlieferung die Palmkätzchen in die kirchliche Feier des Festtags eingeflochten worden, und namentlich die Alpenländer sind reich an Beispielen einer sinnigen Verwendung der zartschimmernden Frühlingsboten. Unsere Zeichnung führt uns an einem schönen Palmsonntagmorgen hinaus vor das Dorf, dorthin, wo nahe bei der kleinen Kapelle das Bild des Gekreuzigten und der Maria steht. Zwei Mädchen haben ein reiches Büschel der blühenden Weidenzweige mitgebracht, das Bild damit zu schmücken; weiter im Hintergrunde aber ist ein Mann damit beschäftigt, sich frische Sprößlinge vom Baume zu schneiden, um sie mitzunehmen in die Kirche zur Palmenweihe.

Eine Barrikade zu Paris im Juli 1830. (Zu dem Bilde S. 169.) Es war am 25. Juli 1830, als König Karl X. von Frankreich, Bruder seines Vorgängers Ludwig XVIII. und des in der ersten Revolution hingerichteten Königs Ludwig XVI., jene Ordonnanzen unterzeichnete, welche in offenkundigem Widerspruch standen zur Verfassungsurkunde. Die Preßfreiheit wurde aufgehoben und strenge Censur eingeführt, die Mehrzahl der liberalen Blätter unterdrückt, das Wahlgesetz abgeändert, die Zahl der Wähler vermindert, die direkte Wahl in eine indirekte verwandelt, die noch nicht zusammengetretene Kammer wieder aufgelöst, eine neuzuwählende Kammer einberufen. Kaum waren diese Ordonnanzen am 26. Juli im Amtsblatte der Regierung, dem „Moniteur“, erschienen, als der Sturm losbrach. Die Abgeordneten versammelten sich in den Häusern ihrer angesehensten Führer, das Volk wogte durch die Straßen und hinderte die Gendarmen, welche die Pressen der Zeitungen versiegeln wollten. Die Nationalgarde war früher aufgelöst worden; jetzt tauchten wieder die Uniformen der Bürger unter den Arbeitern auf; General Lafayette wurde aufs Stadthaus berufen, um den Befehl über die Nationalgarde zu übernehmen; schon war auf dem Stadthause die dreifarbige Fahne als Protest gegen die Lilien der Bourbons aufgepflanzt worden. General Marmont, der die königstreuen Truppen befehligte, war schwankend und unentschlossen, selbst mit den Ordonnanzen nicht einverstanden, auch durch die geringe Zahl seiner Truppen, die er um die alten Königsschlösser sammelte, auf die Abwehr der Angriffe beschränkt. Einzelne Linienregimenter lösten sich auf, ohne indes zum Volke überzugehen. Nur die Garden blieben treu, vor allem die dem Volk verhaßten Schweizer, gegen welche der heftigste Kampf entbrannte. Drei Tage hindurch dauerte die Julischlacht: die Leiter der Bewegung, vor allem der reiche Banquier Lafitte, knüpften inzwischen Beziehungen zu dem in Neuilly bei Paris lebenden Herzog von Orleans an, der zu Fuß in die Stadt kam, ins Palais Royal, wo er als „Generallieutenant des Königreichs“ zunächst die Statthalterschaft annahm, dann aber die Königskrone. General Lafayette und Lafitte nahmen ihn in ihre Mitte, als er sich auf dem Balkon des Stadthauses unter der dreifarbigen Fahne dem versammelten Volke zeigte. Dem greisen König Karl X. gegenüber hatte er ein doppeltes Spiel getrieben und die Maske erst abgeworfen, als er seines Erfolges gewiß war. Der König hatte sich nach Rambouillet zurückgezogen; doch das Volk von Paris nahm seinen Weg dorthin, wie es einst den Weg nach Versailles nahm – und König Karl mußte im Schutze seiner Leibwache den Strand des Meeres zur Flucht nach England zu gewinnen suchen.

Das Bild von Cain zeigt uns die Verteidiger der Barrikaden in voller Arbeit mitten im Pulverdampf. Da sieht man diese seltsam zusammengewürfelte Mannschaft mit ihrer ebenso seltsam zusammengestoppelten Bewaffnung: die Vertreter des Bürgertums neben dem Gassenjungen, der unmittelbar unter der zerfetzten Trikolore seine Pistole gegen die anreitenden Regierungstruppen abschießt, im Hintergrunde rechts eine Gruppe von Arbeitern und Studenten, denen ein kleines Bürschchen, mit einem Papierhelm kriegerisch aufgeputzt, in der Schürze Munition zuträgt. Auch die Uniform der Nationalgarde fehlt nicht. Im Vordergrunde aber schauen wir die unglückseligen Opfer des Bürgerkriegs, greise ehrwürdige Gestalten, die das tödliche Blei getroffen. Ja, bei solchem Anblick mag es wohl der dringenden Mahnung des Anführers bedürfen, der mit gebieterischer Handbewegung Zurückbleibende zum Einspringen in die gerissene Lücke aufzufordern scheint. Wie an dieser Stelle der Kampf geendet, darüber giebt uns das Bild des Malers keinen Aufschluß.

Aber den ganzen Jammer des Bürgerkrieges thut es vor uns auf, der ein Volk grausamer zerfleischt als irgend ein anderer Kampf. Gerade die Stadt Paris hat solcher Scenen gar viele geschaut, und das lebende Geschlecht erinnert sich mit Grausen der Verwüstung, welche der Aufstand der Kommune im Jahre 1871 über die französische Hauptstadt gebracht hat. †      

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_179.jpg&oldid=- (Version vom 24.6.2023)