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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Flüsternd klang die Antwort. „Und ich Dein Knecht, Dir eigen auf Tod und Leben.“

„Mein ist Dein Leib, Dein Gebein und Haar, mein ist Dein Aug’ und Ohr ... aber ich laß Dir alles und will nur Deine Treu’. Leg den Schweigschwur in meine Hand!“ Wicho berührte mit den Fingern die Lippen und legte die Hand in Sigenots Rechte. „Unsere Händ’ liegen ineinander, Wicho, wie Stein in Stein. Steh’ Du für mich, wie ich stehen will für Dich!“

„Herr!“ stammelte der Knecht. „Wenn ich Dich anschau’, wird mir kalt ums Herz. Was ist denn geschehen?“

Sigenot löste die Hand. „Das sollst Du hören. Jetzt geh’ hinein ins Haus. Heut’ in der Nacht hab’ ich das Schwert meines Vaters von der Wand genommen, und in meiner Kammer hab’ ich’s geborgen unter der Wolfshaut auf dem Lager. Geh’ hinein ... und daß es Mutter und Schwester nicht merken, schieb’ das Schwert zum Fenster hinaus und bring’ mir’s her!“

Wicho wollte davoneilen, aber er wandte sich wieder um und fragte: „Was soll ich denn sagen im Haus? Sie haben sich gesorgt um Dich!“

„Sag’, ich wär’ gekommen und hätt’ einen Weg ... zum Richtmann in die Schönau.“

Während der Knecht dem Hagthor zusprang, ließ sich der Fischer auf einen Steinblock nieder, löste einen Ballen Moos vom Grund, faßte eine Handvoll der schwarzen kühlen Erde und drückte sie auf die brennenden Schürfwunden seines Armes. Er wußte kaum, daß er es that; seine Blicke gingen ins Leere, seine Lippen waren herb geschlossen, und zwischen seinen Brauen lag eine Furche, scharf wie ein Messerschnitt.

Als Wicho über die Hofreut emporstieg, eilte ihm Edelrot entgegen. „Kommt er? Kommt er?“

Der Knecht meldete, was Sigenot ihm aufgetragen, und bei dem Jubel mit welchem Edelrot diese Botschaft ihrer Mutter zutrug, konnte Wicho unbemerkt in die Kammer schlüpfen. Er brachte das Schwert in den Wald. Sigenot zog die breite Klinge, prüfte ihre Schärfe, stieß sie wieder zurück ins Leder und legte das Schwert über den Schoß. „Von Stund’ an geht mein Weg unter Eisen!“ Er blickte auf. „Wicho! Sie wollen mir ans Leben!“

Der Knecht erbleichte.

„Komm’, setz’ Dich zu mir und hör’ an! Vor zwei Tagen ist Hennings Pfeil vorbeigeflogen an meinem Hals, und heut’ auf dem Weitsee hat der Steinblock mich gestreift, den seine Händ’ gelöst haben. Ich bin mit dem Einbaum zugefahren unter den Moospalfen, um die Legangel zu heben. Wie ich die Hand streck’, hör’ ich ein Rollen über mir ... ich schau’ noch auf und seh’ den Block schon niedersausen. Aber da ist einer zu mir gestanden, den ich gerufen hab’ in der Not, und der hat mir Kraft gegeben! Wie ein Wolf unter der Baumfall’, so hab’ ich einen Sprung zur Seit’ gethan. Schulter und Arme hat mir der Stein gestreift, und derweil ich hinausflieg’ ins Wasser, saust der Fels gegen den Spiegel des Einbaums, daß der Hohlbalken hingesurrt ist über den See wie ein Pfeil. Mich hat der Wasserschwall unter die überhängende Wand geschwemmt ... schier hätt’ mich das Ringhemd, das ich trag’ unter dem Wams, hinuntergezogen. Aber zur rechten Zeit noch hab’ ich die Angelschnur gefaßt, die am Fuß des Palfens eingeklemmt war in einen Steinriß. Und der Faden hat ausgehalten ... es war eine feste Schnur, die mein Rötli geflochten! Um zu merken, daß nicht der Zufall den Stein gelöst, hätt’ ich nicht erst noch von der Höh’ des Palfens herunter Hennings Gelächter hören brauchen. Nur das Gesicht und die Hand noch über dem Wasser, so bin ich gehangen im See und hab’ mich still gehalten und gewartet, bis ich von Henning, der hinaufgestiegen ist über die Seewand, keinen Tritt und Laut mehr gehört hab’. Dann hab’ ich versucht, daß ich zwischen dem steil ins Wasser fallenden Gewand’ ein Flecklein erreich’, wo ich aussteigen könnt’. Es ist mir hart geworden, Wicho, gezogen hat’s an meinen Füßen, als hätt’ mich schon der Bid gefaßt und möcht’ mich hinunterreißen, dorthin, wo mein Vater liegt.“ Tief atmend verstummte Sigenot.

Wicho sprang auf und hob die Fäuste gegen den Himmel. „Hauset denn keiner mehr im Gewölk, der den Hamwer wirft und die Donnerkeil’? Fahrt denn nicht bald ein Blitz herunter über Wazemanns Haus? Thut nicht die Erd’ sich auf und verschlingt die Mordbrut?“

„Laß gut sein Wicho, und schilt nicht!“

„Ich soll nicht schreien in der Not? Wer hilft uns denn, wenn’s die nicht thun, die über uns sind und unter uns? Stehen wir nicht gegen die Wazemannsleut’ wie die Geißen gegen die Wölf’? Meinst, sie werden ablassen von Dir? Wer soll Dir denn helfen? Wie willst Dich wehren?“

Sigenots Augen blitzten, und seine Faust umklammerte den Schwertgriff. „Wenn es herging’ um mich allein ... ich wüßt’ schon was ich thät’. Aber an mir hängen Mutter und Schwester, die mich brauchen.“ Seine Stimme verlor sich in Murweln. „Ein einzigmal hab’ ich vergessen, daß ich meiner Schwester Bruder bin ... und zur Straf’, das spür’ ich, soll ich keine frohe Stund’ mehr haben im Leben.“

„Herr?“ stammelte Wicho.

Da faßte Sigenot die Hände seines Knechtes, und in heißer Qual lösten sich die Worte von seinen Lippen. „Wicho! Wicho! Ich bin wie ein Ferch, der ans Land gesprungen nach einer roten Blum’. Jetzt liegt er im Sand und muß verschmachten und verdursten ... und kann den Heimweg nimmer finden ins Wasser, dem er zugehört.“

„Ich versteh’ Dich nicht. Deine Red’ ist wie eine Nuß, die meine Zähn’ nicht beißen können. Schlag’ sie auf und zeig’ mir den Kern!“

Sigenot schüttelte den Kopf und streifte mit der zitternden Hand über die Stirne. Rach einer Weile sagte er: „Weißt Du, warum sie mir ans Leben wollen?“

„Ich denk’ mir’s.“

„Sie fürchten, ich halt’ zu den Klosterleuten, die gekommen sind und Herrenrecht haben an unser Thal.“

„So? Wohl wohl, das kann schon sein! Aber der Grund, den ich mir gedacht hab’, liegt noch ein lützel näher. Denk’ an Deine Schwester, wie süß und lieb ihr Gesicht ist ... und nachher denk’ an die Wazemannsbuben. Sie wollen das Lamm reißen – da ist ihnen der Hüter im Weg.“

„Wicho!“ Mit zornigem Schrei war Sigenot aufgesprungen.

Hastig erzählte der Knecht, was er gehört und gesehen, als Henning vor dem Hagthor stand.

Sigenots Gesicht war fahl, jeder Zug in seinem Antlitz hart wie Stein. Durch das dunkle Gewirr der Zweige spähten seine Augen hinauf gegen Wazemanns Haus und mit zuckender Hand griff er an seine Brust, als könnte er gewaltsam von sich abreißen, was ihm das Herz bedrückte. „Ein Wasser soll sein zwischen mir und ihnen, ein Wasser, so breit, daß kein Baum gewachsen ist für einen Steg. Nichts anderes will ich, als meiner Schwester Bruder sein und meiner Mutter Sohn!“ Er wandte sich zu dem Knecht. „Wicho! Dein Wort hat Feuer in mich geworfen, aber ich dank’ Dir! Jetzt hat der Ferch wieder heimgefunden ins Wasser!“ Tief atmend schlang er das Gehäng des Schwertes um seine Hüfte. „Geh’ hinein ins Haus! Schick’ die Heilwig zur Alben ... sie soll das Vieh betreuen und meine Sennen heimschicken. Wir brauchen Männer im Hof. Eh’ die Dirn’ zur Alben steigt, soll sie auf dem Schragen in den Weitsee fahren und den Einbaum holen. Laß ihn nicht liegen an der Länd’, sondern schleif’ ihn hinter den Hag. Dann schließ’ das Thor und leg’ die Sperrbalken ein. Und meine Schwester laß keinen Schritt aus der Hofreut thun ... hörst Du, keinen Schritt!“

„Keinen Schritt, oder sie müßt’ weggehen über mich!“

„Solang’ es sein kann, laß die Mutter nichts merken! Ich selber will reden mit ihr, wenn ich heimkomm’ zur Nacht! Jetzt geh’!“

„Und Du, Herr? Oder soll ich nicht wissen, wohin Du gehst?“ „Ich geh’, wohin ich muß! Wohin das Recht mich ruft, wohin die eigene Not mich treibt, zum Lok’stein! Wahr’ mein Haus, Wicho, bis ich wiederkomm’!“

„Verlaß Dich auf mich!“

Ihre Hände faßten sich; dann nickte der Fischer und eilte waldeinwärts, dem Thal der Ache entgegen. Wicho sprang hinaus auf die offene Lände; hier spähte er nach allen Seiten, doch alles war ruhig. nur von Wazemanns Haus herab tönte das Gekläff der Hunde. Als Wicho die Hofreut erreichte, kam Heilwig gerade von den Ställen her. Kopfschüttelnd hörte sie den Auftrag, den der Knecht ihr überbrachte. Sie hätte wohl gerne die Neugier gestillt, die in ihr lebendig wurde, aber Wicho machte sie schweigen mit einem zornigen Wort. Er schob sie vor den Hag hinaus und schloß hinter ihr das Thor.

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