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verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Sammlungen der Museen zu erwerben. Die Ergebnisse dieser Expedition sind veröffentlicht, und im Museum für Völkerkunde in Berlin befinden sich zahlreiche Gegenstände alten und neueren Ursprungs von der Osterinsel, die bei jener Gelegenheit erworben worden sind, vielfach letzte Ueberbleibsel einer entschwindenden Zeit, denn die europäische Kultur überzieht allmählich auch die entlegensten Inseln der Südsee.

Es sind, wie schon angedeutet, die Spuren einer alten, verhältnismäßig hohen Kultur, die auf der Osterinsel unser Erstaunen hervorrufen, und die unlösliche kulturgeschichtliche Frage, vor die uns jene Spuren stellen, ist die: wie erklärt sich der Ursprung und die Herkunft dieser entschwundenen Kultur auf der öden, einsamen Insel, bei ihrer geringen Bevölkerungszahl?

Die Altertümer auf der Osterinsel sind verschiedener Art. An mehreren Punkten finden sich nicht weit vom Strande des Meeres in der Ebene breite Plattformen, etwa 2 Meter hoch und 20 Meter lang, aus großen Quadersteinen nach den Regeln der Baukunst völlig kunstgerecht ohne Hilfe von Mörtel erbaut. Auf diesen Plattformen (vgl. die Abb. S. 156) standen große rohbehauene Statuen aus grauem Stein bis zu 9 Metern Höhe in der Form der antiken Hermen, viereckige Blöcke, die oben in einen Menschenkopf auslaufen. Auf dem Kopfe trugen diese Statuen mächtige cylinderförmige Aufsätze wie Hüte, aus einem anderen Steinmaterial als die Figuren, einer rötlichen Lava. Jetzt sind diese Hüte sämtlich herabgeworfen und zertrümmert, die Figuren umgestürzt. Alle liegen auffallenderweise mit dem Gesicht nach oben und dem Kopf nach Westen. Wer mag sie umgestürzt haben? Einige dieser Steinkolosse sind nach Paris, andere nach London in das Britische Museum übergeführt und so vor dem gänzlichen Untergang gerettet worden.

Steinbilder am Krater Rana Roraka.

Eine zweite, ganz verschiedene und anscheinend jüngere Art von steinernen Bildwerken steht am Abhänge des Kraters Rana Roraka, eines erloschenen Vulkans. Dort erheben sich ohne Plattformen, wie aus der Erde gewachsen, große plumpe steinerne Gesichter ohne Körper und Büste und ohne die roten Lavahüte. Sie starren mit eigentümlich unzufriedenem Gesichtsausdruck nach dem Meere und machen einen fast gespensterhaften Eindruck.

Die beiden Arten von Steinbildern gehören unzweifelhaft verschiedenen Perioden der unbekannten Geschichte der Insel an. Im ganzen haben frühere Beobachter fast 200 solche Idole auf der Insel gezählt.

Auch die ehemaligen Verfertigungsstätten dieser Bildwerke hat man aufgefunden. Sie waren an den Abhängen der Bergwände gelegen, hier wurden die Statuen aus dem Felsen herausgemeißelt, dann abgetrennt und mit Hilfe von Seilen den Abhang hinabgelassen. Noch jetzt kann man die Herstellung der steinernen Kolosse verfolgen, denn die alten Bildhauer sind mitten in ihrer Thätigkeit auf und davon gegangen. Angefangene und halbfertige Figuren haften noch unabgelöst an der Felswand, in allen Stadien der Ausarbeitung, von den ersten rohen Umrissen bis zur Vollendung. Auch die steinernen Meißel, mit denen die Arbeit ausgeführt wurde, haben die alten Steinmetzen zum Teil liegen gelassen; Kapitänlieutenant Geisler hat zwei dieser Werkzeuge mitgebracht.

Außer diesen Denkmälern hat man Fundamente von ehemaligen Behausungen der Eingeborenen aufgedeckt, ferner zahlreiche Grabmäler und niedrige Steinhäuser, halbverschüttet und im Innern nicht selten mit Einritzungen und farbigen Figuren versehen.

Im Jahre 1870 kam nun die Nachricht einer überraschenden Entdeckung nach Europa, die zu den ausschweifendsten Vermutungen Anlaß geben mußte. Der französische Missionär Roussel entdeckte auf der Osterinsel drei hölzerne Tafeln mit Hieroglyphenschrift! Nirgends deuteten sonst in Australien und bei den Völkern der polynesischen Inselwelt Spuren darauf, daß dort jemals, wie in anderen Erdteilen, eine höhere Gesittung zur Entwicklung gelangt sei, nichts deutete darauf, daß der australische Mensch irgendwo die Grenzen des rohen Wilden überschritten hatte. Die Schrift, jene wichtige Sprosse auf der Leiter zur Kultur, schien bei den Eingeborenen des jüngsten Erdteils gänzlich zu fehlen. Und nun lagen plötzlich die Proben einer solchen von der einsamen und öden Osterinsel vor, deren Steindenkmälern man ohnehin schon so ratlos gegenüberstand. Hier war für abenteuerliche Hypothesen der weiteste Spielraum geöffnet.

Inschriftentafel von der Osterinsel.

Die Funde solcher Holztafeln – die ersten sind jetzt im Museum zu Santjago in Chile – vermehrten sich bald, so daß heute in mehreren europäischen Museen, darunter auch im Berliner Museum für Völkerkunde, Proben dieser alten Reste einer untergegangenen Bildung im Original und in Abgüssen zu sehen sind.

Die Schrift, die sie aufweisen, besteht aus eingegrabenen hieroglyphenartigen Zeichen, ähnlich den ägyptischen, und läuft von rechts nach links und von unten nach oben. Die gleichmäßige Art, wie die Zeichen ausgeführt sind, verrät so große Gewandtheit, daß man an berufsmäßige Schreiber denken muß. Das Holz der Tafeln stammt zum größten Teil von der einzigen auf der Osterinsel vorkommenden Baumart, andere mögen wohl aus angeschwemmten Hölzern verfertigt sein – wenn man nicht zu wunderbaren Deutungen greifen will.

Solche wunderbare Deutungen knüpften sich aber naturgemäß an diese Entdeckung. War die Osterinsel der letzte Rest eines untergegangenen, von Kulturvölkern bewohnten Erdteils, den der Ocean verschlungen hatte wie die sagenhafte Atlantis der Griechen? Oder stand diese Kultur in Zusammenhang mit den alten civilisierten Ländern Amerikas, mit den Bewohnern Perus, mit den Völkern Centralamerikas, von denen die Insel Hunderte von Meilen durch das offene Meer getrennt ist? Bedeutende Kenner der amerikanischen Altertumskunde traten für diese letztere Vermutung ein. Denn darüber konnte kein Zweifel bestehen, daß der Ursprung einer solchen verhältnismäßig hohen Gesittung auf der kleinen vereinzelten Insel nicht zu suchen war. Aber schon Wilhelm von Humboldt hatte nachgewiesen, daß jedenfalls zwischen den Sprachen der polynesischen Inseln und denen Amerikas nicht die entfernteste Verwandtschaft besteht. Dennoch konnten ja in frühen Perioden der Geschichte Keime amerikanischer Kultur nach der Osterinsel gelangt sein, und der berühmte englische Geograph Markham suchte solche Beziehungen zwischen den vorgeschichtlichen Ruinen am Titicacasee in Peru und den Denkmälern der Osterinsel.

Man schätzte erklärlicherweise auch das Alter der Ueberreste auf der Osterinsel gewaltig hoch. Sie mußten die Zeugen einer längst vergessenen, grauen Vorzeit sein, denn die heutigen Eingeborenen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_157.jpg&oldid=- (Version vom 16.9.2021)