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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

des Himmels aus diesem friedlichen Bild? Sturm und zerstörende Wetter tobten über diesem Thal bei unserem Eintritt ... nun aber, da wir bauen an Gottes Haus, ist Frieden eingekehrt und sonnige Ruhe lächelt.“

„Wie Honig fließt Dir die Rede von den Lippen und mit Blumen möchtest Du den Weg bestreuen, den Du gehst. Siehe zu, wohin er Dich führen wird!“

Eberwein atmete tief und seine Augen suchten den Himmel. Er wandte sich ab, vor dem halb vollendeten Kreuzbild ließ er sich auf den Holzblock nieder und hob das Schnitzmesser von der Erde. Kaum hatte er in das weiße Holz den ersten Schnitt gethan, da fühlte er eine ungestüme Hand auf seiner Schulter. Waldram stand vor ihm.

„Du siehst, ich beginne die Arbeit!“ sagte Eberwein.

„Ich aber habe noch zu rechten mit Dir. Den Mönch und Priester hast Du gemahnt an seinen Gehorsam ... und wider meine bessere Einsicht muß ich schweigen und Dich die Straße gehen lassen, die Du gewählt. Nun aber höre den Bruder Deines Ordens, der gleiche Stimme mit Dir hat im weltlichen Rat!“

Eberwein legte die Hand mit dem Messer in den Schoß. „Sprich!“

„So säumig wie dem Himmel, so säumig dienest Du auch der Macht unseres Heiligen. Nicht als Knechte sind wir gekommen in dieses Land, als die Herren! Zwei Tage und zwei Nächte weilen wir in unserem Land ... wo aber bleibt der Richtmann, wo bleiben die Schöffen? Weshalb erscheinen sie nicht vor uns, in Ehrfurcht und zu schuldigem Gruß? Als ein Knecht unseres Heiligen sitzt ein Spisar im Gadem. Weshalb säumt er, vor uns zu treten, um seines Amtes Bestallung zu empfangen?“

Eberwein zögerte mit der Antwort und fragend ruhte sein Blick auf Waldrams Antlitz, als verstünde er die bebende Erregung nicht, welche zitterte und zuckte in diesen bleichen Zügen. „Richtmann und Schöffen? Nach ihnen verlang’ ich nicht. Sie werden wohl kommen zu ihrer Zeit ... und es mag wohl sein, daß sie noch nicht wissen um unsere Ankunft.“ Eberweins Stirne furchte sich. Dem Spisar dieses Landes aber hatte ich den ersten meiner Wege zugedacht. Und dennoch, wider mein eigenes Gefühl, besann ich mich anders. Ich mußte mir sagen, daß ich hier stünde an unseres Heiligen Statt, als Herr ... Herr gegenüber diesem einzigen Manne meines Landes. Vor der Schwelle unserer Klause soll Herr Waze erscheinen, er vor uns. Und kommen wird er, denn er weiß, daß wir im Lande sind. Ich habe ihm Botschaft sagen lassen durch den Mund seiner übermütigen Tochter.“

„Seine Tochter!“ Wie heiseres Lachen klangen die beiden Worte von Waldrams Lippen. „Seine Tochter! Sie! Sie! Und andere Rede weißt Du nicht? Und keinen anderen Boten fandest Du als sie? Und nun hoffst Du wohl, sie möchte auch Botschaft bringen von ihrem Vater! Und kommen! Zu Dir!“

Eine leichte Röte glitt über Eberweins Wangen. „Waldram! Ich fasse Deine Worte nicht ...“

„Ich aber sehe die verräterische Glut auf Deinem Antlitz. Und alles versteh’ ich nun, alles, alles! Standest Du doch in jener Stunde vor ihr wie versteinert, mit starrendem Aug’ jeden Reiz ihrer teuflischen Schönheit verschlingend, bezaubert von der Höllenglut ihres Blickes, umstrickt von den roten Schlangen ihres Haars!“ Schrilles Lachen unterbrach den keuchenden Klang dieser Worte. „Alles, alles versteh’ ich nun. Dein Zögern und Deine Langmut. Deine gewandelten Entschlüsse und dieses eine Wort, das immer und immer von Deinen Lippen schreit: Liebe, Liebe, Liebe.“

Erbleichend war Eberwein aufgesprungen. Schwer hob sich seine Brust, doch seine Lippen blieben geschlossen. Mit tiefernstem Blick nur hafteten seine Augen an Waldrams verzerrtem Gesicht. Dann wandte er sich ab, um seine Arbeit wieder zu beginnen.

„Du sollst mir Rede stehen!“ keuchte Waldram, faßte Eberweins Arm und schüttelte ihn so wild und zornig. daß das Messer der Hand entflog. Im Bogen schwirrte es durch die Luft und niederfinkend fuhr es mit der Spitze in das Bildnis, an der Stelle des Herzens. Da fiel es über Waldram wie lähmender Schreck. Zitternd stand er, mit entsetzten Augen auf die Klinge starrend. Dann jählings. brach ein dumpfes Schluchzen aus seiner Brust, er stürzte in die Knie, und mit beiden Armen das Bildnis umschlingend, schlug er die Stirne auf das Holz. Eberwein aber hob ihn empor. „Steh’ auf, Waldram! Noch ist dieses Holz kein heiliges Bild – das fallende Messer konnte nicht verletzen. was erst entstehen soll. Mich nur hast Du verwundet in meinem tiefsten Innern. Mag es Dir Gott verzeihen! Ich kann es nicht in dieser Stunde ... ich bin ein Mensch und fühle den Schmerz des Stiches.“ Ohne die Augen zu erheben, schlug Waldram die Hände vor das Gesicht und wankte ins Zelt.

Tief atmend ließ Eberwein sich nieder, zog das Messer aus dem Holz und tilgte die Spur des Stiches mit raschem Schnitt. Er arbeitete weiter, doch nicht lange; dann mußte er innehalten, denn seine Hand zitterte. Er legte den Arm aufs Knie und stützte das Haupt, als hätte tiefe Ermüdung ihn befallen. Aus dem Zelt klang Waldrams betende Stimme und das Klatschen der Geißel. Eberwein hörte nicht; seine kummervollen Augen blickten ins Leere.

Bruder Wampo kam herbeigeschlichen und rief mit scheuem Stottern. „Herre!“ Er wartete auf Antwort, doch sie kam nicht. „Ich möcht’ ’was fragen, Herre!“

Eberwein hob das Gesicht, mit verlorenem Blick; er sah den Bruder an, als wär’s ein Fremder, und fragte: „Was willst Du?“ Da hörte er aus dem Zelt die Stimme Waldrams. Immer lauter klang sie und wandelte sich zu jauchzendem Gesang, während klatschend die Schläge der Geißel fielen. Erschrocken sprang Eberwein auf und eilte ins Zelt. Waldram lag auf den Knien, mit entblößtem Rücken, auf welchem die Striemen bluteten. Sein Haupt war in den Nacken gesunken. wie im Fieber glühte sein Gesicht, seine starr zur Höhe gerichteten Augen brannten, und während er mit zuckendem Armschwung die Geißel über die Schulter schlug, jauchzten seine Lippen: „Den Himmel teilt er und fährt herab ... und fährt auf dem Cherub und fliegt und rauscht auf den Flügeln des Windes daher. Es zittert vor ihm die Erde, und die Gründe der Berge beben ...“

„Waldram!“ stammelte Eberwein und versuchte die Geißel zu fassen.

„Es strahlet die Helle seines Lichtes, und sichtbar werden die Tiefen des Meeres, enthüllt die Gründe der Welt vor seinem Glanz. Siehe, siehe ... aus der Höhe reicht er den Arm und faßt mich und zieht mich aus tiefem Gewässer ... und rettet ... rettet mich ...“ In röchelndem Laut erstickte Waldrams Stimme. Schaum trat ihm vor die Lippen, seine Hände, denen Eberwein die Geißel entrissen hatte, griffen ins Leere, stöhnend sank er zu Boden, und die Sinne schwanden ihm.

Mit bleichem Gesicht, die Hände ineinanderschlagend, stand Bruder Wampo unter dem Eingang des Zeltes. „Wasser! Hole Wasser!“ rief Eberwein und hob, während der Bruder verschwand, den Bewußtlosen auf das Moosbett.

Wampo kam und brachte Wasser. Scheu und zitternd reichte er die Schüssel. Mit nassem Tuche kühlte Eberwein die Stirne Waldrams, ein tiefer Seufzer rang sich aus dessen Brust und seine Glieder streckten sich. In der Schwäche war der Schlummer über ihn gekommen. Dem Schlafenden wusch Eberwein den wunden Rücken und träufelte ihm Balsam auf die Striemen, welche die Geißel gerissen. Und während dieses stillen Werkes klangen vom Waldsaum her die krachenden Hiebe der Axt, welche Schweiker führte, und die langgezogenen Rufe, unter denen die Knechte die schweren Balken hoben.

Als Schweiker einmal innehielt in der Arbeit, um sich den perlenden Schweiß von der Stirne zu wischen, sah er, daß Bruder Wampo auf ihn zugesprungen kam, mit geschürzter Kutte, flink hinweghüpfend über das wirr auf der Erde liegende Astwerk.

„Ja was hast denn?“ fragte Schweiker. als der Bruder blasend und schnaubend vor ihm stand. „Und wie schaust mich denn an? Hast ’was angestellt? Hast am End’ gar das Milchkandl umgeworfen?“

„Wie Du nur so ’was reden kannst!“ stotterte Wampo atemlos. „Alles zittert an mir! Denk’ nur, was geschehen ist, denk’ nur ...“

„Aber so red’ doch! Was denn?“

„Pater Waldram ist ein Heiliger ’worden!“

Schweiker riß die blauen Augen auf, und vor Schreck und Staunen fiel ihm das Beil aus den Händen.




14.

Um die Mittagsstunde des folgenden Tages stand Edelrot auf dem Lugaus und spähte die Augen mit der Hand beschattend, über den See hinaus. Früh am Morgen war Sigenot mit dem Einbaum ausgefahren, um von den Legangeln, welche im Weitsee

lagen, die Beute der Nacht zu lösen. Er pflegte sonst von solcher Fahrt lange vor Mittag heimzukehren. Nun aber warteten sie

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