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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Schließlich gerieten sie sich in die Haare und redeten mit den Fäusten weiter. Den Verwundeten hatte man in die Almhütte getragen und Eigel legte ihm den Verband an; dann suchte er noch den Marderecker und brachte ihm als Thingbot die Ladung. Unter der steigenden Sonne zog er weiter. Als er auf dem Rückweg an der Almhütte des Kaganhart vorüberkam, sah er den Fensterladen und die Thür geschlossen. Kaganhart und Hilmtrud holten den in der Nacht versäumten Schlummer nach. Einträchtig lagen sie nebeneinander im Heu, und der Bauer hielt im Schlaf den Arm um den Hals seines Weibes geschlungen. Sie hatten Versöhnung gefeiert, nicht früher freilich, bevor nicht Hilmtrud wußte, was Kaganhart lieber verschwiegen hätte: „Heut’ über zwei Nächt’, wenn Vollmond einsteht!“




13.

Fleißig hatte seit dem frühen Morgen im Walde beim Lokistein der Schlag der Beile geklungen. Neue Bäume lagen gefällt, und über dem Grundriß, welchen Eberwein gezogen, erhoben sich schon, vier Stämme hoch, mit doppelt gelegten Balken, die Mauern der Klause und des Kirchleins. Vor dem einen der Zelte lag, mit dem weißen Holz in der Sonne schimmernd, das seiner Vollendung nähergerückte Kreuzbild; die grobe Arbeit des Meißels war gethan, und das sachtere Werk des Messers hatte begonnen.

Nun ruhten alle Hände, denn die Mittagsglocke hatte geläutet. Die Knechte hatten sich beim Feuer gelagert, und um den aus Stangen gefügten Tisch saßen Eberwein, Waldram und Schweiker, das Gebet war gesprochen, und Bruder Wampo kam mit der dampfenden Schüssel. Eberwein furchte die Brauen, als er die Speise sah. „Bruder! Du bist meinem Wort entgegen nach Milch gegangen?“

„Nein, lieber Herr, die Milch ist zu mir gekommen!“ schmunzelte Wampo. „Heut’ vor Tag, wie ich aufgestanden bin, um Feuer zu schüren, bin ich vor dem Zelt schier darüber gestolpert ... und neben dem Kännlein hat ein Roggenbrot gelegen mit süßen Käslein und ein Butterwecken gar säuberlich eingewickelt in grüne Lattichblätter!“

„Weißt Du, wer die Gabe gespendet hat?“

„Ich mein’ wohl, ich kann mir’s denken! Aber wer weiß, vielleicht irr’ ich mich ...“ Wampo zwinkerte mit den Augen und blickte auf Schweiker, welcher rot wurde bis unter die Haarwurzeln. „Vielleicht war es gar kein Menschenkind, sondern ein Engelein mit Himmelsbrot und mit köstlicher Milch aus dem gelobten Lande, in welchem ja auch noch Honig fließt. Der war aber nicht dabei!“

„Widerlicher Schwätzer!“ schalt Pater Waldram mit finsterem Blick. „Halte Deine Lippen geschlossen, wenn Du sie nicht öffnen kannst, ohne Heiliges zu verletzen mit sündhafter Rede!“

„Ich hab’ ja nur gescherzet, Herr!“ stotterte der erschrockene Bruder.

„Scherze beim Feuer mit den Knechten, aber nicht vor meinem Ohr, dem Deine Rede ein Greuel ist!“

Wampo wollte erwidern, doch Eberwein winkte ihm mit den Augen, zu schweigen. Als das Mahl genommen und das Gebet gesprochen war, ging Schweiker mit der Axt zum Walde und Bruder Wampo räumte den Tisch ab; auf dem Arm die hölzernen Geschirre tragend, schlich er davon, mit verdrossenem Gesicht und hängender Lippe. Waldram wollte sich erheben, da sagte Eberwein: „Ich habe vor dem Ohr der Brüder Deiner zürnenden Rede nicht widersprochen. Jetzt aber, da wir allein sind, höre meine Mahnung: sei duldsamer, Waldram!“

Dunkle Röte färbte die Stirn des Paters. „Willst Du mir wehren, daß ich Worte schweigen mache, die mein Ohr beleidigen und mein heiligstes Empfinden?“

„Ich meine nur, Du solltest die Rede der dienenden Brüder nicht messen an Deinem eigenen Gefühl. Irdische Sorge füllt ihren Tag, sie haben schwer zu schaffen vom frühen Morgen bis in die sinkende Nacht. Hüte Dich, durch Ueberstrenge die Unlust in ihren Gemütern zu wecken! Du kannst ihren Mut zu Boden drücken mit einem einzigen unbedachten Wort ... doch kannst Du ihren verzagenden Herzen nicht auch die Schwingen des Geistes leihen, welche Dich, wenn Dir die Knie brechen, emportragen über den Staub, in den Du niedersinkst.“

„Die Schwingen meines Geistes!“ Waldram richtete sich auf. „Von allen Worten die Du sprachest, hat dieses eine nur den Weg zu meinem Ohr gefunden. Elend und gebrechlich ist mein Leib, zitternd nur umschließen meine Finger den Griff der Axt, doch wie ein Adler, mit rauschenden Flügeln, hebt sich mein Geist hinaus über allen Staub der Erde und strebt den Höhen des Himmels zu, seine Heimat suchend vor Gottes Thron und zu der Heiligen Füßen.“ Waldrams Lippen bebten, und mit zorniger Schärfe klang seine Stimme: „Wahr und ganz erkennst Du wohl meine Art, nicht verborgen ist Dir meine Kraft, mein Eifer im Dienste Gottes. Und so sage ich Dir: übel dienest Du unserer heiligen Sache, da Du mich zwingst, das Beil zu schwingen und das niedere Werk der Knechte zu teilen.“

Eberwein erhob sich und sagte ruhigen Wortes: „Ich zwinge Dich nicht zur Arbeit am Bau der Klause. Bist Du müde, so raste!“

„Ich aber will nicht rasten. Nur weiß ich mir bessere Arbeit als jene, zu welcher Du Dich berufen fühlst. Forme Du das tote Holz zu dem Bilde, dessen Du bedarfst für Deine Sinne! Baue Du, schichte die Mauer, wähle die Balken und prüfe ihren Halt – Du scheinst ja kaum die Stunde erwarten zu können, welche Dir die Ruhe bringt unter sicherem Dach. Ich aber will nicht rasten bei Tage, nicht schlummern bei Nacht ... hinaus will ich ziehen in die Wildnis dieser Thäler, den Weg will ich suchen zu jeder Hütte und mit dem Kreuz in der Hand will ich schlagen an jede Thür, will in heiligem Zorn die Säumigen und Verstockten rufen, welche die Glocke nicht hören und nicht kommen wollen und knien vor ihrem Gott! Ihre Herzen sollen zittern, und ich will sie lehren ...“

„Zu fürchten, wo sie lieben sollen?“ Tiefer Ernst lag auf Eberweins Zügen, als er raschen Schrittes auf Waldram zutrat. „Deine schmähenden Worte wider mich – ich habe sie nicht gehört, sie sind vergeben. Aber nicht stören sollst Du mir das Werk der Liebe, zu welchem Gott mich ausgesendet. Siehe, dorthin führt der Weg ins Thal, und vor diesen Weg strecke ich meine wehrende Hand ... dieselbe Hand, in welche Du bei der Ausfahrt aus dem Kloster die Deine legtest zum Zeichen des Gehorsams!“

Waldram erbleichte, neigte das Haupt und wandte sich wortlos ab. Doch Eberwein faßte seine Hand. „Ich mußte Dich mahnen an Dein Gelöbnis, Du selbst hast mich gezwungen. Ich that es ungern, Waldram. Und nun bitte ich Dich ... höre mich an in Ruhe! Ich selbst hab’ es mit Kummer gewahrt, daß unsere Glocke nicht einen rief, daß ihr freundlicher Ton verklang, ohne Widerhall zu finden auch nur in einem Herzen! Aber ich will geduldig sein und warten, um so geduldiger, da ich erfahren muß, daß Mißtrauen, Furcht und Widerstand uns begegnen auf allen Wegen. Darin suche die Ursache der Hast, mit der ich den Bau unseres heiligen Hauses betreibe! Ich kenne das Volk der Berge – bin ich doch selbst aus ihm hervorgewachsen – und ich rechne mit dem Fühlen und Denken dieser Menschen. Der Fremde erweckt ihre Scheu, unansehnlich ist ihren Augen der Obdachlose. Bevor ich ihre Herdstätten suche, will ich heimisch werden auf ihrer Scholle; unser Kirchlein will ich ihnen zeigen können, damit ich ihnen sage: sehet, ich hause in Eurer Mitte, Euch allen ein Bruder, und das Dach, unter dem ich herberge, ist Gottes Dach – und Euch alle ruft es in seinen Schutz! Nicht für meine Sinne, Waldram, forme ich jenes heilige Bild, ich sehe Gott, wohin ich blicke. Aber das Auge dieser Menschen hat irdischen Blick. Ihnen will ich dieses heilige Bildnis zeigen können, damit ich ihnen sage: schauet auf zu ihm, den dieses Bildnis meint, schauet auf zu ihm, der aus Liebe zu den Menschen starb in Marter und Schmerz ... sehet die Wunden, aus denen sein Blut geflossen, jeder Tropfen wie befruchtender Tau auf des Lebens dürre Not! Meinst Du nicht, Waldram, diese Menschen, die unter harter Faust geschmachtet, unter Greueln und herzlosem Druck – diese Menschen, welche in zähem Kampfe ringen wider eine feindliche Natur ... meinst Du nicht, sie werden das Wort der Liebe williger hören als einen Ruf, der sie zittern und zagen macht? Meinst Du nicht auch?“

Ein kaltes Lächetn glitt über Waldrams bleiche Lippen. „Ich gehorche ... und meine, was Du meinst!“

Eberweins Brauen furchten sich. Aber rasch, wie ein gleitender Wolkenschatten, schwand dieses Zeichen des Unmuts von seiner Stirne und herzlich klang seine Stimme: „Blick’ um Dich her, Waldram! Sieh nur, still und freundlich grünt der Wald, sanft tönt aus dem Thal herauf das Rauschen der Gewässer, und sonnig blicken die Berge auf uns nieder. Mahnt nicht der Wille

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