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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Clémence liebte es, französische Brocken in ihre Rede einzustreuen, sie spielte sich überhaupt mit Vorliebe auf die Französin hinaus und schwärmte von ihrem Pariser Pensionat, in dem sie „göttliche Zeiten“ verlebt haben wollte.

Ilse errötete und wandte leicht den Kopf ab. „Gefällt Ihnen unser Schloß, gnädiges Fräulein?“ fragte sie dann, einfach zur Tagesordnung übergehend.

„O ja, ein ganz stilvoller alter Bau, manches darin sogar überraschend hübsch. Den Stammbaum solltest Du sehen, Papa, und den Ahnensaal! Aber die Rüstkammer ist leider ganz leer; die muß doch eine Menge von interessanten alten Waffen enthalten haben – wo sind die denn alle geblieben?“

„Mein Vater hat sie verkauft,“ entgegnete Ilse ruhig und sah so stolz dabei aus, als gewährte es ihr ein ganz besonderes Vergnügen, gerade diese Antwort zu geben.

Ah vraiment? Sehr schade! Alte Waffen sind eine Specialität von mir!“

„So? Seit wann denn?“ fragte Herr von Montrose trocken.

„Ach, Botho hat mir das Verständnis dafür aufgeschlossen, Botho versteht viel davon, er hat sich ein besonderes Studium daraus gemacht.“

Herr von Montrose trat schweigend an eines der Fenster und hielt einen Rundblick. „Ein schönes Panorama! Darf ich fragen, Baroneß, was die roten Häuser sind, dort hinten, rechts hinüber – man sieht nur die Dächer!“

„Das ist Gnadenstein, eine kleine Besitzung, die früher gleichfalls zu ‚Perle‘ gehört hat, dann aber abgelöst worden ist.“

„Ah!“ machte er überrascht. „Ich dachte nicht, daß man das von hier aus sehen könnte!“

„Gnadenstein?“ rief Clémence dazwischen und hob eifrig das Lorgnon vor die Augen. „Das ist das Gut, wo Du unsere beiden Herren kaltgestellt hast, Papa? Sie müssen nämlich wissen,“ wandte sie sich an Ilse. „daß mein Bruder und mein Verlobter, zwei Husarenoffiziere, mit uns herausgefahren sind; aber Papa hat sie nicht mit hierher genommen, er hat sie einfach in diesem Gnadenstein gelassen.“ Sie hatte die letzten Worte in gereiztem Tone gesprochen und trat nun mit übellaunigem Gesicht an das andere Fenster. „Es giebt noch unendlich viel hier zu erneuern, auszubessern, anzuschaffen!“ sagte sie dann, sich wieder umdrehend. „Vieles hier im Schloß ist ganz altmodisch, absolument nicht zu gebrauchen. Tapezierer und Dekorateur werden vollauf Arbeit bekommen – ich hab’ mir schon eine Menge Notizen gemacht, willst Du sie sehen, Papa?“

„Später, später! Wenn es Ihnen recht ist, Baroneß, beenden wir jetzt rasch unseren Rundgang und Clémence wie ich rüsten zur Abfahrt!“

„Ganz wie Sie wünschen!“

Unter den drei Menschen wollte kein Gespräch mehr in Fluß kommen; eine einsilbige und erzwungene Unterhaltung zwischen den jungen Damen wurde nur durch Frau Köhler mühsam zusammengehalten. Es ging alles ruhelos, überhastet – die letzte Besichtigung des Schlosses wie der Abschied. Trotzdem konnte Ilse das Ende dieses Besuches kaum erwarten, und als Vater und Tochter endlich weggefahren waren, da stürmte sie in den Garten mit einer Hast, wie wenn jemand sie verfolgte. Sie mußte eine Weile mit sich allein sein, mußte versuchen, Klarheit in diese verworrene Stimmung zu bringen, mit der sie rang!

Was war ihr nur geschehen? Die „Perle“ sollte einen neuen Besitzer bekommen, sie hatte ihn gesehen, sein Anblick hatte sie frappiert, dies schmale feingeschnittene Gesicht mit den merkwürdigen Augen – und sie hatte sich unwillkürlich davor gefürchtet, dieses Gesicht wiederzusehen. Das aber war nicht zu vermeiden gewesen, sie mußte den Mann aufsuchen, mußte ihn bitten, unter einem Dach mit ihm leben zu dürfen. Er war vornehm und liebenswürdig gewesen, sie konnte das nicht leugnen, er hatte ihr die schwere Aufgabe erleichtert – sie war ihm Dank schuldig! Aber – und das fühlte sie mit der größten Deutlichkeit – sie wollte ihm nicht danken, wollte ihm nichts schuldig sein; alles in ihr bäumte sich dagegen auf. War das etwa Haß? Was hatte der Mann ihr gethan? Unerklärliche Abneigung? Die hatte ihre gesunde klare Natur bisher noch nie gefühlt, sie war bis jetzt immer imstande gewesen, sich Rechenschaft abzulegen über ihr Empfinden. Was konnte es also sein, das sie hier in so unerklärlicher Weise abtieß? Abstieß, und auch wieder anzog! Denn sie mußte unausgesetzt des Mannes denken, der diesen Zwiespalt in ihr heraufbeschwor. Immer sah sie seine Züge vor sich, den trauervollen Ausdruck seiner Augen, die es aufgegeben zu haben schienen, das zu suchen, was sie doch nicht fanden, nicht gefunden hatten in all den langen Jahren. Ilse atmete trotzig auf mit halboffenen Lippen. Was ging das alles sie an! Mochte er suchen und finden oder vermissen, was er wollte! Wie konnten die Gefühle des fremden Mannes Einfluß auf die ihrigen haben? Trug sie nicht den stärksten Talisman bei sich, die treue Liebe zu ihrem Albrecht? Hatte sie nicht erst kürzlich zu Onkel Erich gesagt, und wenn alles noch viel schlimmer und trauriger komme, sie selbst sei glücklich und geborgen in ihrer Liebe? Und war das nicht lautere Wahrheit gewesen? Was also hatte sie zu fürchten?

Und während sie das dachte, fühlte sie plötzlich mit heißer Angst, daß sie sich Albrechts Gesicht nicht deutlich vergegenwärtigen könne.

Sie hätte ihn andern genau zu beschreiben vermocht, seinen hohen Wuchs, das gebräunte Gesicht, die stolz und frei blickenden blauen Augen – aber sie sah das alles nicht wie sonst handgreiflich vor sich, es war etwas Fremdes dabei, sie fand den Gesamteindruck nicht, der ihr das Ganze lebendig machte. Wie angewurzelt stand sie mitten im hastigen Gehen still, knöpfte mit bebenden Fingern ihr Kleid auf und zog das Medaillon hervor, das sie beständig bei sich trug. Ein Druck auf den Deckel ... Heiße Thränen stürzten ihr aus den Augen, als sie das kleine Bild wieder, immer wieder an den Mund preßte. „Hilf mir, hilf mir!“ stammelte sie und wußte doch nicht, wozu sie seine Hilfe wollte. Es war dunkel, dunkel in ihr!

*      *      *

Herrn von Montroses englischer Kutscher verhielt die Rappen mit einem kraftvollen Zügeldruck, der ein „Kniff“ von ihm war, unweit des Gnadensteiner Pächterhauses. Clémence blieb im Wagen, ihr Vater stieg aus und wandte sich dem Wohnhause zu.

„Bleibst Du lange, Papa?“

„Nein – zehn Minuten, eine Viertelstunde höchstens!“

„Wenn Du Botho und Georges triffst, dann schick’ sie mir, bitte! Wir Drei dürften bei Deiner Unterredung mit dem Besitzer des Hofes über den Kaufschilling und ähnliche interessante Dinge vollkommen übrig sein. Ich will Georges ein wenig den Mund wässern machen, er wird sich ja wie ein Narr in das blonde Wunder auf ‚Perle‘ verlieben!“

Montrose runzelte finster die Stirn, erwiderte aber nichts.

„Augenblicklich hat er freilich die Brünetten in Affektion genommen, eine Prima Ballerina glaub’ ich – in Berlin hatte er auch schon immer Neigungen fürs Ballett.“

„Clémence! Es steht einer jungen Dame sehr schlecht an, eine solche Sprache zu führen!“

„Ach Papa, was Du von den jungen Damen denkst! Die reden oft noch ganz andere Dinge. Sich immer blind und taub stellen und die Unschuld spielen, das ist nichts für Deine Tochter. Um zu glauben, daß Georges ein Heiliger ist, müßte ich wirklich ein Kind sein!“

Herr von Montrose zog seine Hand vom Wagenschlag zurück und ging; er hatte, während seine Tochter sprach, unverwandt in ihr Gesicht gesehen, als wollte er es studieren. Ja, sie war ihre Mutter, Zug um Zug: dünkelhaft, kleinen Geistes, reizlos und malitiös, dieselbe hochfahrende Art, die Augenbrauen emporzuziehen, dieselbe Stimme, die in der Erregung so leicht umschlug, dasselbe Geschick, kleine Nadelstiche scheinbar harmlos auszuteilen ... aber gottlob nicht dieselbe Macht, ihn zu quälen!

Das hübsche Pächterhaus von Gnadenstein lag friedlich mitten im hellen Sonnenschein. Auf dem roten Dach war ein zierlich gearbeiteter Taubenschlag angebracht, die Tauben trippelten kokett auf den Querstangen umher und ließen ihr werbendes Gurren vernehmen. Aus einem Stall kam eine ältliche Magd mit einem blankgescheuerten Eimer voll schaumiger Milch, den sie langsam, den freien Arm weit von sich gestreckt,

über den Hof trug. Aus der niedrigen Gartenpforte, über der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_146.jpg&oldid=- (Version vom 5.2.2020)