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verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Das erste, was der Pater nach der Messe begonnen hatte, stand lange schon vollendet: über dem zum Altar geweihten Heidenstein erhob sich das weiße Kreuz, in welches Eberwein den halb verbrannten Eichstamm mit der Axt verwandelt. Dann hatte er, Richtscheit und Meßschnur führend, den Grundriß der Klause und des Kirchleins abgesteckt und mit dem Spaten die Mauerfurchen ausgehoben; schwarz zogen sich die breiten Streifen durch den grünen Rasen und zeigten die Einteilung, welche die Klause erhalten sollte – einen größeren Mittelraum und ihm zur Rechten und Linken je zwei kleinere Kammern; an die Rückwand der Klause sollte das Kirchlein sich anlehnen, mit den Balkenmauern seiner länglichen Halle den zum Altar geweihten Heidenstein und das Kreuz umschließend. Als der letzte Stich mit dem Spaten gethan war, hatte Eberwein im Wald einen jungen Ahornstamm gefällt und aus ihm ein mannslanges Stück herausgeschlagen, mit zwei kreuzförmig stehenden Aststümpfen. Auf der Schulter hatte er das schwere Holz zu den Zelten getragen und begonnen, es mit Hammer und Meißel zu behauen. Und als jetzt der Abend dämmerte und Bruder Schweiker die Glocke zog, trat aus dem weißen Holze schon in rauhen Formen das entstehende Bildnis hervor – das Abbild des Gekreuzigten. Beim ersten Glockenton legte Eberwein Hammer und Meißel nieder und faltete die Hände im Schoß; seine Augen streiften die schwarzen Furchen, die er gezogen, das Gewirr der gefällten Bäume am Waldsaum, von welchem die Knechte mit geschulterten Beilen einherkamen, und den Blick zu dem vom letzten Sonnenglanz umflossenen Himmel erhebend, sagte er lächelnden Mundes: „Nisi Dominus aedificaverit domum, in vanum laboraverunt, qui aedificant eam.“[1]

Die Glocke schwieg; Eberwein erhob sich und trug das begonnene Schnitzwerk unter das Zelt. Als er dann mit den Brüdern den Imbiß genommen hatte, ordnete er für den kommenden Morgen die Arbeit an und begab sich zur Ruhe. Die Knechte schlüpften unter die Reisighütten. Schweiker und Wampo standen noch beim erlöschenden Feuer und spülten die Geschirre.

Die graue Dämmerung kam; am Waldsaum verstummten die letzten Vogelstimmen, und ein zarter Nebel dampfte aus dem Weiher; nahe seinem Ufer trat ein Reh unter den Bäumen hervor. Es stutzte beim Anblick der weißleuchtenden Zelte und des roten Feuerscheines, wandte sich mit langen Sprüngen zur Flucht, und laut schreckend verschwand es im dunkelnden Wald.

„Was war denn das?“ fragte Wampo.

„Ein Reh muß dagewesen sein.“

„So? Das ist aber auch alles, was heut’ gekommen ist.“

„Gelt? Ich hab’ auch schon dran gedacht!“ flüsterte Schweiker. „Nicht ein einziger hat sich schauen lassen. Wie man die Raitenbucher Klaus’ gezimmert hat, da war ich auch dabei, und da sind sie aufs erste Läuten haufenweis gekommen, Männer, Weiberleut’ und Kinder. Und heut’ keine Seel’! Was sagst?“

„Was ich schon lang’ gesagt hab’: eine schieche Gegend, das! Paß nur auf, was man da noch alles erleben wird! Es fangt schon gut an heut’!“ Mit unmutigem Griff packte Wampo eine hölzerne Schüssel und scheuerte mit dem nassen Grasbüschel drauf los, als hätte er die ganze böse Gegend unter seinen Händen. „Sterz mit Wasser … gleich am ersten Tag!“

Schweiker überhörte die letzten Worte; er starrte in die Kohlen, dann sagte er langsam: „Vielleicht hausen die Leut’ so weit auseinander, daß sie das Glöckl nicht haben hören können.“

„Laß mich aus! Das Glöckl ruft eine halbe Stund’ weit. Es hat halt keiner kommen mögen. Die Heidenschüppel, die unchristlichen! Denen wird man den Gottesglauben auch mit dem Muslöffel eingeben müssen.“

Schweiker schüttelte den Kopf. „Steht ja der Wald herum wie eine Wand … so eine Wehr frißt halt den Hall. Wirst sehen, sie haben das Glöckl nicht gehört. Wie die andern sind, weiß ich nicht, aber eine – wenn die das Glöckl gehört hätt’, die wär’ gekommen!“

Da lauschten sie alle beide. Ferne Stimmen klangen im Wald; es waren Wazemanns Söhne, die sich anriefen zum Heimritt. „Es müssen doch Leut’ in der Näh’ sein!“ murmelte Schweiker.

Während sie noch lauschten, tauchte hinter den fernen schwarzragenden Bergen die fast volle Scheibe des Mondes empor und warf einen blassen Schimmer über die Lichtung. „Lug’ hin, Bruder, lug’ hin,“ stotterte Wampo und deutete mit dem Arm, „sell rührt sich ’was!“

„Wo?“

„Beim Kreuz! Und schleichen thut’s wie ein Wolf!“

Schweiker packte die Axt und rannte mit langen Sprüngen hinaus in den Mondschein. Am Waldsaum sah er einen Schatten gleiten, er schwang die Axt zum Wurfe, doch mitten im Schwung hielt er inne, wie versteinert. Hinzula stand vor ihm. „So, schön … wenn ich jetzt geworfen hätt’!“ stotterte er. „Ja Dirnlein, sag’ nur, wie kommst denn Du daher?“

„Hast ja geläutet!“ lispelte das dünne Stimmlein.

„Aber ich hab’ doch auch geläutet zur Meß’ Warum bist denn nicht am Tag gekommen?“

„Da hab’ ich nicht her dürfen! Ich hab’ warten müssen, bis …“

Er unterbrach sie. „Aber das ist doch jetzt keine Zeit, bei der ein Kindl … will sagen: ein Dirnlein wie Du noch umlauft im wüsten Wald.“ Er trat zur Seite, denn sein Schatten fiel schwarz und breit über Hinzulas schmächtige Gestalt; doch auch im vollen Mondschein wurde ihr Gesicht nicht heller; wie ein dunkler Kohlklumpen war es anzusehen – nur die Augen glänzten.

Eine Weile standen sie schweigend voreinander; dann sagte er, einen salbungsvollen Ton versuchend: „Geh’ heim, Dirnlein, denn ich muß Dir sagen: es ziemet sich gar nicht für mich, daß wir da bei einander stehen in mondscheiniger Zeit … wenn auch gleich die guten Heiligen vom Himmel herunterschauen dürften auf uns all’ beid’. Geh’ heim! Und komm’ ein andermal bei Tag!“

„Thust morgen wieder läuten?“

„Wohl wohl!“

„Nachher komm’ ich!“ fuhr es mit flinkem Wort über ihre Lippen. „Ich fürcht’ mich nicht … und ich find’ schon einen Weg.“

Diese Worte waren freilich anders gemeint, als Schweiker sie deutete. „Brav, Dirnlein, brav! Gottes Weg’ darfst allweil gehen ohne Furcht! Ja, Dirnlein, komm nur! Dann will ich einmal scharf nachschauen, wie’s bestellt ist mit Deinem Seelgerät.“

„Mit was?“ stotterte Hinzula.

„Mit Deinem Seelgerät!“ wiederholte er mit ernstem Ton. „Denn ich mein’ schier, es müßt’ bei Dir einwendig nicht viel besser ausschauen als auswendig. Wohl wohl, ich hab’ schon allweil dran denken müssen. Und daß Du’s nur weißt: heut’ nacht hab’ ich geträumt von Dir.“

„Ich von Dir auch!“

„So? Aber mein Traum wird wohl der besser’ gewesen sein! Daß Du’s nur weißt: Gott, der liebe Herre, ist mir erschienen im Traum und hat mir aufgegeben als gutes Werk, daß ich Dich weißwaschen soll.“

„Das hab’ ich heut’ schon von selber thun wollen,“ sagte sie. „Aber die Mutter hat’s gemerkt, im hellen Zorn hat sie mich weggerissen vom Brunnen und hat gesagt, sie haut mir alle Knochen im Leib auseinander, wenn ich’s thu’.“

Bei der unerwarteten Wendung, welche Hinzulas Rede nahm, schlug Schweiker entsetzt die Hände zusammen und rief: „Dirnlein! Dirnlein! Wenn Deine Mutter den Teufel fürchten möcht’, wie sie den Dreck lieb hat, dann müßt’ sie eine gute Christin sein!“ Kopfschüttelnd nahm er die Axt wieder auf, die er hatte sinken lassen, und ging davon; nach einigen Schritten rief er über die Schulter zurück. „Geh’ weiter, Dirnlein, und mach’, daß Du heimkommst, so lang’ Dir der Mond noch auf den Weg scheint!“ Und den Zelten entgegenschreitend, murmelte er vor sich hin: „So eine Mutter! Alle Knochen im Leib! Ist das auch noch eine Mutter?“

Hinzula stand regungslos und blickte ihm nach.

Als Schweiker die Feuerstatt erreichte, auf welcher nur wenige Kohlen noch in der Asche glosteten, schlüpfte Bruder Wampo aus dem Zelt, in das er sich geflüchtet hatte. „Es muß doch kein Wolf gewesen sein … ich mein’, ich hätt’ Dich reden hören.“

Schweiker nickte nur.

„Wer ist denn nachher das gewesen?“

„Mein Saubartele!“

„Das Bartele!“ rief Bruder Wampo, als hätte er die freudigste Botschaft vernommen. „Ja warum hast mich denn nicht gleich gerufen?“ Mit hurtigen Händen tappte er auf dem dunklen Rasen umher, und als er einen Span erwischte, stieß er ihn zwischen die Kohlen und blies in die Glut.

„Aber was thust denn?“ fragte Schweiker.

Der Bruder gab keine Antwort; er blies und fauchte, bis

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verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_135.jpg&oldid=- (Version vom 31.3.2021)
  1. „Wo der Herr nicht das Haus bauet, so arbeiten umsonst, die dran bauen.“