Seite:Die Gartenlaube (1894) 126.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

der den Herzögen viel zu schaffen machte, indem er ihnen oft die Unterwerfung versagte. Viele heftige Fehden sind darob zwischen den Bürgern und den Fürsten entbrannt und manche Erinnerung an diese Kämpfe hat sich bis heute an den öffentlichen und privaten Bauten der Stadt erhalten. Eine der bemerkenswertesten finden wir an der schmucklosen, aber durch ihr hohes Alter ehrwürdigen Magnikirche, der ältesten Braunschweigs, die durch die Ungleichartigkeit ihrer Türme auffällt. Den einen, der jetzt nur einen kümmerlichen Stumpf darstellt, ließ der Herzog Heinrich Julius im Jahre 1615 beschießen. Es sollen innerhalb acht Tagen nicht weniger als 1014 Schüsse auf diesen Punkt abgegeben worden sein, die aber sehr schlecht gezielt gewesen sein müssen, denn erst in den letzten Tagen gelang es, den Turm so zu beschädigen, daß die Hälfte von ihm in Trümmer fiel. Man hat ihn nicht wieder aufgebaut, sondern jenes merkwürdig ungeschlachte Dach darauf gesetzt, welches einer Tischglocke gleicht und in gar seltsamem Gegensatze zu dem Dachstuhl und Glockenhause des andern Turmes steht. Die Kirche wurde im Jahre 1031 vollendet, stürzte aber 1251 ein und mußte dann (1290) wieder aufgebaut werden. - Nach der bereits genannten herrlichen Katharinenkirche, die im Jahre 1252 begonnen und im Jahre 1379 vollendet wurde, ist der Dom das architektonisch bedeutsamste Gotteshaus Braunschweigs; im Jahre 1194 vollendet, ist er ein „Denkmal dauernder als Erz“, welches sich der Herzog Heinrich der Löwe, der Urheber der nochmaligen Größe Braunschweigs als Hansestadt, selbst gesetzt hat. Hier hat der Herzog auch seine letzte Ruhestätte gefunden und neben ihm sind in einem Gewölbe die Gebeine einer ganzen Anzahl von Fürsten, und Großen dieser Erde gebettet; deren Namen die Geschichte mit vollem Klänge nennt.

In der Mitte des Hauptschiffes befindet sich das Grabmal des Herzogs Ludwig Rudolph und seiner Gemahlin, der Großeltern der, Maria Theresia, ein prunkvoller Marmorsarkophag mit den Bildnissen beider in Zinkguß. In der Krypta im Chor sieht man die Särge von 45 braunschweigischen Fürsten nebst ihren Gemahlinnen und Anverwandten. Das Innere der mächtigen Kirche, die von einem gotischen Kreuzgewölbe überdeckt wird, macht einen mächtigen Eindruck durch die Schönheit der kühn sich erhebenden Bogen wie durch die Fülle des Bilderschmucks, den die neuere Zeit hinzugefügt hat.

Mancherlei Merkwürdigkeiten, die angeblich von Heinrich, dem Löwen aus dem Morgenlande mitgebracht wurden, werden hier aufbewahrt. Von eigentümlicher Massigkeit ist ein siebenarmiger Leuchter, der nach dem Muster des einst im Salomonischen Tempel befindlichen Urbilds hergestellt worden ist. Reiche gotische Ornamentik ziert auch außen das schöne Bauwerk, bei dem nur zu bedauern ist, daß es zwei unvollendete, das Glockenhaus kaum überragende Türme besitzt, die gar übel zu dem übrigen passen.

In dem Glockenhaus sind zwölf Glocken von ausgezeichnetem Klange aufgehängt, darunter eine von gewaltiger Tiefe, deren ernste Harmonie sich an Sonntagen durch die ganze Stadt vernehmbar macht.

Auf der Südseite des Domes erblickt man das traurig stimmende Sinnbild der älteren Linie des Hauses Braunschweig-Lüneburg, die alte Heinrichslinde, der man ein Alter von mehr als 800 Jahren beilegt, ein trübseliger Rest eines mächtigen Baumes, der jetzt im Absterben begriffen ist, einst aber zu den stolzesten seinesgleichen gehörte, denn sein Stamm besitzt einen Umfang von mehr als 5 Metern. Allen Bemühungen zum Trotz schreitet der Verfall so unaufhaltsam fort, daß in diesem Jahre wohl nur noch der blätterlose Stumpf übrig sein wird.

Auf der andern Seite des Domes steht auf hohem, ungeschlacht massigem Steinsockel das Wahr- und Merkzeichen der Stadt Braunschweig, der bronzene Löwe, den Heinrich der Löwe als Zeichen seiner Herrschaft errichtete, ein höchst seltsames Gebild der Metallgießerkunst, von so primitiver Form, daß man es zoologisch nur sehr schwer würde bestimmen können. Der Unterbau ist übrigens jüngeren Ursprungs; er wurde im Jahre 1721 hergestellt und 1858 erneuert. Eigentümlich berührt es, daß der Löwe der Stadt den Rücken wendet und mit dem Gesichte nach der Stätte gekehrt ist, wo einst die alte Burg Heinrichs des Löwen, das Schloß Dankwarderode sich erhob. Auch jetzt noch hat er die Burg vor sich, aber es ist ein Bauwerk, welches erst in den letzten Jahren entstanden ist. Prinz Albrecht, der Regent von Braunschweig, hat es dort errichten lassen, wo bisher nur eine alte verfallene Reitbahn stand, ein abscheuliches kaserneartiges Bauwerk aus dem 17. Jahrhundert, das abgebrochen werden mußte. Einige Reste der alten Burg, die mit diesem Bau verschmolzen sich beim Abbruch vorfanden, und alte Pläne und Beschreibungen dienten dem Architekten als Wegweiser für die Wiederherstellung der Heinrichsburg und setzten ihn in stand, ein Bauwerk zu errichten, das wenigstens im Stil und in der Anlage der alten Burg des Löwenherzogs ähnlich sein dürfte. Dasselbe schließt sich rechtwinkelig an den Dom an, mit dem es durch einen Galeriegang verbunden ist, und soll als Ballei für die Johanniterritter dienen, deren Ordensmeister der Prinz Albrecht ist. Kenner des frühgotischen Stils rühmen von dieser neuen Herzogspfalz die Treue in der Nachahmung und die Strenge, mit der sie im Geiste der alten Zeit gehalten ist. Jedenfalls bildet sie eine architektonische Sehenswürdigkeit Braunschweigs, die ihrem geistigen Urheber, dem Stadtbaurat Winter, zur Ehre und den Braunschweigern zum Stolze gereicht.

Der Burg gegenüber liegt ein mächtiges Gebäude, das einem Herrensitze aus dem Anfang dieses Jahrhunderts ähnlich sieht, ein architektonisch unansehnliches, mit einem mächtigen, von Säulen getragenen Balkon versehenes, altersgraues und mürrisch dreinschauendes Haus, das allenfalls ein Regierungsgebäude vorstellen könnte. Es ist das Stammhaus des bekannten Verlegers Friedr. Vieweg, der, ein Schwiegersohn des nicht minder bekannten Pädagogen und Schriftstellers Joach. Heinr. Campe, hier eine Schulbuchhandlung errichtete und damit den Grundstock zu seinem späteren Reichtum legte. Das dicht daneben belegene Haus mit der mittelalterlichen Fassade und dem behaglichen Risalit, ein malerisches Stückchen Romantik, welches seltsam von dem nüchternen Nachbar absticht, gehört der Familie von Veltheim, und zwar der gräflichen Linie. Es zählt zu den Bauten der Stadt, vor denen der poetisch gestimmte Beschauer in der Regel mit dem stillen Seufzer verweilt: „Ach, wenn du wärst mein eigen!“ so heimisch, so lauschig mutet es an und so freundlich ladet es zum Eintritt ein.

Obschon Braunschweig der bedeutenden Männer eine ganze Zahl hervorgebracht hat, ist es doch merkwürdig arm an monumentalen Bildwerken. Erst in neuerer Zeit hat es mehrere solcher Zierden erhalten, unter denen das Lessingdenkmal von Rietschel eine Schöpfung ersten Ranges ist. Dasselbe verdankt seine Entstehung der Anregung des verdienstvollen Stadtarchivars Dr. Carl Schiller und ist aus freiwilligen Beiträgen entstanden. Lessings scharfer kritischer Geist, seine hohe Denkernatur wie sein Dichtergenius sind in dieser kraftvollen Gestalt, auf deren Stirn der Adel einer freien Gesinnung thront, in gleicher Vollendung zum Ausdruck gelangt. Unweit davon, am Egidienmarkt, liegt ein wohlerhaltenes Haus aus der Zopfzeit. in dem sich jetzt die braunschweigisch-hannoversche Hypothekenbank befindet. Hier hauchte Lessing in einem Zimmer des oberen Stockes seinen Geist aus. Ein anderer Denker, der die Gesetze des Weltalls ergründen half und neue Bahnen in der Welt der Zahlen fand, der große Mathematiker und Astronom Gauß, hat am entgegengesetzten Ende der Stadt ein Erzbild erhalten. An einem der schönsten Punkte der sich um den inneren Kern der Stadt herumziehenden mit Gärten und Villen geschmückten Promenade, vor dem sogenannten „Anatomieberge“, hat das Denkmal, das im Jahre 1880 nach einem Modell von Schaper durch den Erzgießer Howaldt ausgeführt wurde, einen idyllischen Platz gefunden. Auch dieses Standbild ist zur Hälfte aus freiwilligen Beiträgen bestritten worden; die noch fehlende Summe zahlte die Staatskasse. Zwei mächtige Reiterstatuen, die Kolossalbilder der Heldenherzoge Carl Wilhelm Ferdinand und Friedrich Wilhelm, die ihr Leben auf dem Felde der Ehre opferten, zieren seit 1874 den großen Schloßhof vor dem mächtigen Monumentalbau des im Jahre 1868 nach einem Brande teilweise wieder neu aufgeführten Residenzschlosses. Sie sind nach Modellen von Hähnel und v. Pönninger von Howaldt, Vater und Sohn, in Kupfer getrieben und gehören zu den vollendetsten Schöpfungen der neueren bildenden Kunst. Das in reinem griechischen Stil gehaltene Residenzschloß ist ein moderner Prachtbau vornehmster Gattung, dessen schöne Verhältnisse und großartige architektonische Gliederung die ungeteilte Bewunderung aller Sachkundigen finden., Eine von der „Brunonia“ geführte Quadriga,

ähnlich der auf dem Brandenburger Thor in Berlin, krönt den

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_126.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)