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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

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Deutsche Städtebilder.

Braunschweig.
Von Dr. Eugen Sierke.0 Mit Zeichnungen von R. Püttner.

Das Residenzschloß mit dem Viergespann.

Es giebt ein altes berühmtes Lied, das von „Bronsewyck, der leiwen Stadt,“ zwei Dinge zu rühmen weiß. die „Mumme“, d. h. ihr Bier, und die Schlackwurst. Für die malerische Pracht und den poetischen Reiz mittelalterlicher Romantik, den die tausendjährigen Baudenkmäler der altehrwürdigen Hanse- und Residenzstadt in überreicher Fülle entfalten, hat der treffliche Sänger kein Wort des Preises. Wie so mancher die Schönheiten seiner Heimat mit einer beinahe an Gleichgültigkeit grenzenden Teilnahmlosigkeit betrachtet, so sind auch manchem weniger ästhetisch angelegten Braunschweiger diese stolzen Zeugen einstiger Bürgermacht und städtischer Selbstherrlichkeit „Wurst“. Und doch giebt es außer Nürnberg, Hildesheim und einigen kleineren Orten im Süden, wie z. B. Rothenburg, kaum eine zweite Stadt, die so reich an architektonischen Schätzen und bedeutsamen Erinnerungen an unsere deutsche Vorzeit ist wie gerade Braunschweig.

Wer Sinn für Romantik hat und sich gerne in längst vergangene Zeiten zurückträumt, der findet in Braunschweig die üppigste Nahrung für seine in die früheren Jahrhunderte zurückschweifende Phantasie; denn wie von einem Zauberbann gefesselt liegt die Stadt da in ihrer ganzen unveränderten Merkwürdigkeit, in der sie uns der Ausgang des Mittelalters hinterließ. Wie ein seltsamer Widerspruch mutet es uns an, wenn wir in den altertümlichen engen Straßen und Gassen modisch gekleidete Menschen mit großstädtischer Hast dahineilen sehen; und es will uns bedünken, als müßten aus den kleinen Häusern mit ihren treppenartig vorspringenden niedrigen Stockwerken und den klugen, hellen Fensteraugen, die ohne Pfeiler dicht aneinander gereiht die ganze Front einnehmen in jedem Augenblick ehrbare Matronen mit ihren sauberen Häublein und hochgepufften faltenreichen Gewändern heraustreten, um gottesfürchtigen Sinnes zur Andacht in eine der nahen Kirchen zu wandeln. Die bescheidene Genügsamkeit und das behaglich behäbige Stillleben bürgerlicher Wohlhabenheit mit ihrem stark ausgebildeten Sinne für Bequemlichkeit und handfeste Gediegenheit in allen Lebenseinrichtungen spricht aus diesen Wohnstätten auf Schritt und Tritt zu dem verständnisinnigen Beschauer, aber auch der Hang zu dem zähen Beharren bei dem Altgewohnten und von den Vätern Ueberkommenen, die Liebe zu der Urväter Hausrat und die Pietät für das durch die Jahrhunderte Geweihte.

Daß Braunschweig von jeher ein Sitz bürgerlichen Wohlstandes gewesen ist, das bezeugen die prächtigen Kirchen, die Rats- und Gemeindebauten, wie auch die für damalige Zeiten reiche Zier, mit der man die Fassaden der Häuser schmückte. Bunt bemalte, figurenreiche und mit Holzschnitzerei prunkvoll ausgestattete Häuserfronten waren überall, selbst in den weniger vornehmen Stadtvierteln, gäng und gäbe. Ja gerade dort, wo der kleine Bürger sich anzusiedeln pflegte, zeigte sich eine ausgesprochene Vorliebe für eine stattliche Außenseite. Auch der weniger begüterte Mann durfte es sich erlauben, hierin einen gewissen Luxus zu entfalten. auf den sein Bürgersinn stolz war, denn sein Heim war die Freude seines Herzens. Werfen wir einen Blick auf unser doppelseitiges Bild S. 128 und 129! Die enge Gasse, in deren Hintergrund wir einen der höchsten Türme Deutschlands, den schlank und kühn sich erhebenden Andreasturm, Braunschweigs Feuerwarte, mit dem davorliegenden Gebäude der Alten Wage erblicken, zeigt uns eine Flucht von Häusern mit staffelartig vorspringenden Stockwerken, die ehedem wie auch heute noch von den Kleinbürgern bewohnt sind. Wie einfach auch ihr Aussehen und wie bescheiden auch ihre Größenverhältnisse erscheinen mögen, in ihrem sauberen und gefälligen Aufputz und in ihrem artigen architektonischen Schmuck verkünden sie doch einen gewissen Grad von Wohlbehäbigkeit. Noch deutlicher erkennt man dies aus einer andern, dicht daneben wiedergegebenen Straßen anficht, der Hagenbrücke. die von der herrlichen Katharinenkirche, mit prächtig geschmücktem gotischen Hauptschiff, abgeschlossen wird. Hier hatten kleinere Handwerksmeister ihre Sitze, und sie strebten danach, auch nach außen zu bekunden, daß das Handwerk noch einen goldenen Boden habe.

Den Glanzpunkt und den Stolz des braunschweigischen Gemeinwesens bildete und bildet noch heute noch der malerische Altstadtmarkt (S. 117) mit seinem reich in Maß- und Figurenwerk geschmückten und von schon gewölbten, in reinstem gotischen Stil

gehaltenen Arkaden umgebenen Rathause, dessen edle Gliederung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_124.jpg&oldid=- (Version vom 1.9.2023)