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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

entspricht am besten diesen Anforderungen. Mit Milchglasglocke versehen, blendet sie nicht, sie ist, in richtige Entfernung gestellt, auch nicht zu heiß, ihr Licht zuckt nicht; nur in einer Beziehung muß man auf ihre richtige Verwendung achten: sie muß so gestellt werden, daß sie genügende Helligkeit auf den Arbeitsplatz wirft. Das hängt wieder von der Leuchtkraft der Lampe ab. Zahlreiche Prüfungen der im Handel vorkommenden, für den Familiengebrauch bestimmten Lampen haben nun ergeben, daß eine gute Petroleumlampe in einem halben Meter Entfernung noch genügendes Licht giebt, darüber hinaus sollte man aber nicht gehen; sonst schädigt man das Auge durch eine zu schwache Beleuchtung. Nur bei wenigen Lampen wie z. B. bei den hygieinischen Normallampen oder bei den „Mitrailleusenbrennern“ kann man auch bei einer Entfernung des Lichts von 0,75 m und mehr genügende Helligkeit erzielen. Solche Lampen sind darum dort zu empfehlen, wo mehrere Kinder an einem Tische arbeiten. Das Ideal, daß jedes Kind seine eigene Arbeitslampe haben solle, wird sich im praktischen Leben nicht gut durchführen lassen.

Daß das Licht beim Schreiben stets von der linken Seite auf das Heft fallen müsse, ist so bekannt, daß man es hier nur zu erwähnen braucht.

Eine schlechte, namentlich eine zu schwache Beleuchtung übt hauptsächlich darum einen verderblichen Einfluß aus, weil das Auge durch sie gezwungen wird, sich dem Sehgegenstand übermäßig zu nähern, wodurch das Anpassungsvermögen des Auges überangestrengt wird. Diese Ueberanstrengung findet aber auch bei guter Beleuchtung statt, wenn wir unnötigerweise die Augen zu nahe an das Heft oder das Buch bringen. Auch in dieser Beziehung giebt es einen Maßstab für das richtige Verhalten.

Medizinalrat Rembold erklärt, daß eine Annäherung des Sehobjektes um mehr als 25 cm an das normale Auge unter allen Umständen als gefährlich zu bezeichnen ist; geschieht dies dauernd, so kann es zur Entwicklung der Kurzsichtigkeit Veranlassung geben.

Nun ist diese übermäßige Annäherung des Sehobjekts gerade bei Kindern am meisten üblich. Nach den Beobachtungen Rembolds, die sich auf über 500 Schulkinder im Alter von 6 bis 14 Jahren erstreckten, hielt nur ein Drittel derselben beim Schreiben die Augen 25 cm oder mehr von der Federspitze entfernt, zwei Drittel näherten ihre Augen dem Papier in unmittelbar gesundheitsschädlicher Weise. Je jünger die Kinder, desto schlimmer mitunter das Verhältnis; in einer Klasse sechsjähriger Mädchen hielt nicht ein einziges die Entfernung von 25 cm ein, fast alle kamen mit dem Auge auf 15 cm und noch näher heran. Beim Lesen ist es nicht besser: auch hier stecken die Kinder die Köpfchen viel zu tief in die Bücher hinein. So wird schon in den frühesten Jahren der Grund zur Kurzsichtigkeit gelegt.

Zu einem derartigen gesundheitswidrigen Lesen und Schreiben werden die Kinder in erster Linie durch unzweckmäßige Bänke, Stühle und Tische verleitet oder geradezu gezwungen. Darum ist zwischen Tisch und Stuhl eine richtige Uebereinstimmung herzustellen; ein Stuhl, der für ein Erwachsenes paßt, eignet sich nicht als Arbeitssitz für ein Kind. Es giebt nun eine ganze Anzahl von Arbeitstischen, die gleich mit verstellbaren Sitzen verbunden sind und für eine Reihe von Altersstufen ausreichen; aber abgesehen vom Kostenpunkt, lassen sich solche Möbel nicht immer zweckmäßig im Wohnzimmer unterbringen, namentlich da, wo eine kinderreiche Familie mit dem Raume sparen muß. Dagegen giebt es höher und niedriger zu stellende Stühle von so einfacher Einrichtung, daß selbst ein sechsjähriges Kind das Stellen besorgen kann. Dieselben kosten nur wenige Mark und lassen sich leicht in ein richtiges Verhältnis zur Höhe des Familientisches bringen. Einen solchen Stuhl sollte zu Hause ein jedes Kind besitzen.

Ist die Sitzfrage erledigt, so kommt es darauf an, daß das Kind auch dann noch die richtige Haltung bewahrt, daß es sich nicht überbeugt und das Auge so wieder dem Papier oder dem Buche zu sehr nähert. Um das zu verhüten, hat man eine ganze Anzahl Geradehalter, Kinnstützen u. dergl. empfohlen. Wir möchten denselben nicht das Wort reden, nur im äußersten Notfall sollte man zu ihnen greifen. Ebenso dürfte den wenigsten ein Vorschlag Schmidt-Rimplers annehmbar erscheinen, welcher lautet: „Mädchen kann man auch mit ihrem Zopfe an die Stuhllehne binden.“

Die Haltung des Körpers hängt ab von der Lage des Heftes und der Art der Schrift. In dieser Beziehung ist nun leider unter den Pädagogen keine Einigkeit zu finden. Bald wird die Schrägschrift, bald die Steilschrift empfohlen, bald wird das Heft so gelegt, daß dessen unterer Rand mit der Tischkante gleich läuft, bald so, daß er mit dieser einen Winkel von etwa 45° bildet.

Mit Rücksicht auf diese Verschiedenheit ist es zweckmäßig, im Hause diejenige Methode zu üben, die in der betreffenden Schule gehandhabt wird. Die Schule ist hier maßgebend, das Haus muß sich ihr unterordnen; denn die Einwirkung auf die Schüler muß einheitlich sein, damit keine Verwirrung entstehe.

Nun hat Professor Schmidt-Rimpler einen Vorschlag zur Bekämpfung der Kurzsichtigkeit gemacht, welcher die höchste und dringendste Beachtung verdient. Er lautet: „Den Eltern ist eine gedruckte Belehrung über gesundheitsgemäßen Sitz und Haltung der Kinder beim Arbeiten, über Subsellien und Beleuchtung zu geben. Es läßt sich das Wichtigste in einige Sätze fassen und es könnten dieselben der Schulordnung, die fast überall bei der Aufnahme den Schülern übergeben wird, beigefügt werden. Die ungünstigen Verhältnisse im elterlichen Hause schädigen sicher oft mehr die Augen als die Arbeit in der Schule; wenn man die Aufmerksamkeit hierauf besonders lenkt und die erforderlichen Maßnahmen angiebt, so wird recht oft der gewünschte Erfolg erreicht werden.“

Der Schutz der Augen, den die Eltern im Hause anstreben müssen, soll sich aber auch auf andere Beschäftigungen erstrecken, die mit den Schularbeiten nicht zusammenhängen. Man klagt über das Uebermaß der Arbeit in der Schule und für die Schule, überbürdet aber die Jugend mit verschiedenen Nebenstunden, von denen vor allem der Musikunterricht in Betracht kommt. Dieser sollte nur dann durchgesetzt werden, wenn wirkliche Begabung und Lust vorhanden sind. Auch allerlei Liebhaberkünste, welche die Schüler betreiben, können die Augen übermäßig anstrengen; hier ist ebenso darauf zu achten, daß des Guten nicht zuviel geschehe. Man verlangt, daß die Kinder die Nachmittage frei bekommen; aber diese Zeit soll dann nicht zum Stubenhocken verwendel werden. Die Jugend muß hinaus in die freie Natur, wo sich der Blick erweitert und stärkt, wo er an die Fernsicht gewöhnt wird.

Eine besonders gefährliche Rolle spielt die Privatlektüre der „reiferen“ Jugend, die Indianergeschichten und Erzählungen aller Art. Auch sie ist vom augenpolizeilichen Standpunkt zu überwachen. Bücher mit schlechtem Papier, auf dem der Druck von der anderen Seite durchscheint, sollten verbannt sein, ebenso solche mit kleiner Druckschrift. Diese augenmörderischen Erzeugnisse passen nicht für die Jugend; denn wir dürfen nicht vergessen, daß gerade das jugendliche Auge am leichtesten die Kurzsichtigkeit erwerben kann, und diese Empfänglichkeit reicht bis in das fünfzehnte und sechzehnte Lebensjahr, unter Umständen noch darüber hinaus.

Den Müttern gegenüber muß betont werden, daß auch die weiblichen Handarbeiten ebenso behandelt werden müssen wie das Lesen und Schreiben. Die Nähterin oder die Stickerin ist im frühen Alter der Gefahr, kurzsichtig zu werden, in erhöhtem Maße ausgesetzt.

Für die jugendlichen Fabrikarbeiter wird von allen Parteien ohne Ausnahme ein besonderer Schutz angestrebt. Diesen Schutz verdienen die kleinen geistigen Arbeiter um so dringender, denn die geistige Arbeit ist angreifender als die körperliche. Der Staat thut augenblicklich, was in seinen Kräften steht, überall wird die bessernde Hand angelegt, damit ein thatkräftiges, lebensfrohes, mit gesunden Sinnen begabtes Geschlecht herangezogen werde. Den Eltern fällt die dankbare Aufgabe zu, dieses Reformwerk zu Hause zu fördern. Der Gegensatz zwischen Haus und Schule, von dem mitunter so viel gesprochen und geschrieben wird, ist in der Natur der Sache nicht begründet. Schule und Haus müssen sich in ihrem Wirken ergänzen.

Alle Erfahrungen der hervorragendsten Aerzte haben erwiesen, daß ein Kampf gegen das weitere Umsichgreifen der Schulkurzsichtigkeit auf Erfolg rechnen kann, wenn Staat, Lehrer und Eltern sich zielbewußt vereinigen. „Aber,“ möchten wir mit den Worten Schmidt-Rimplers schließen, „man stelle dabei auch alle selbstsüchtigen Erwägungen, wer mehr zu leisten habe oder mehr verschulde, hintan und gehe in guter Kameradschaft und Energie dem Feinde zu Leibe!“ C. F.     


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_123.jpg&oldid=- (Version vom 17.5.2020)